EU-Kommission fühlt sich dem Subsidiaritätsprinzip verpflichtet
Wien (pk) - Der Hauptausschuss in Angelegenheiten der Europäischen Union erlebte heute eine
Premiere. Erstmals seit der Mitgliedschaft Österreichs in der EU besuchte ein Kommissionspräsident das
Parlament, um mit Abgeordneten zu diskutieren. Jose Manuel Barroso nützte die Gelegenheit zu unterstreichen,
wie ernst ihm die Umsetzung des Subsidiaritäts- prinzips ist. Er bekräftigte in diesem Zusammenhang nochmals
die Zusage der Kommission, den nationalen Parlamenten direkt die Gesetzesvorschläge sowie andere wichtige
Dokumente zu übermitteln, um diese so früh wie möglich in den Entscheidungsprozess einbinden zu
können. Nationalratspräsident Andreas Khol bedankte sich ausdrücklich für diese Bestätigung,
denn damit habe der Kommissionspräsident einen der wesentlichsten Wünsche der nationalen Parlamente erfüllt,
sagte Khol.
Kommissionspräsident Barroso sprach sehr offen die Vertrauenskrise in der Union an und hielt aus seiner Sicht
fest, dass das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger nur dann zurück gewonnen werden könne,
wenn Europa zu einem Europa der Ergebnisse werde und die Politik konsequent das strategische Ziel des Wohlstands,
der Solidarität und der Sicherheit verfolge. Er räumte durchaus ein, dass seitens der Menschen der Eindruck
entstehen könne, die Union fühle sich nur dem Binnenmarkt und der Wettbewerbsfähigkeit verpflichtet.
Dies sei auf die Verträge zurückzuführen, die der EU im sozialen Bereich weit weniger Kompetenzen
zuschreiben. Die soziale Dimension sei in erster Linie ein nationales Thema, aber die Kommission werde mit Engagement
und Nachdruck die Sozialagenda weiterführen. Sie beabsichtige daher auch, hinsichtlich der sozialen Agenda
parallel zur Überprüfung des Binnenmarkts eine Bestandsaufnahme durchzuführen. Die Werte und Prinzipien
des europäischen Lebensstils könnten nur dann verteidigt werden, wenn man mit der Globalisierung richtig
umgehe, sagte Barroso.
Der Kommissionspräsident kündigte auch einen weiteren Bürokratieabbau und eine Verbesserung der
Rechtsvorschriften im Interesse sowohl der Menschen als auch der Unternehmen an.
Barroso: Wir brauchen ein Europa der Ergebnisse
Der intensive Gedankenaustausch wurde durch die Feststellung von Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso
eingeleitet, Europa könne nur dann Fortschritte erzielen, wenn es in einem direkten Dialog mit den Bürgerinnen
und Bürgern eintritt, und deren Vertretungen, die Parlamente, aktiv mit einbezieht. Die Menschen wollten nicht
weniger Europa, betonte Barroso, ihnen gehe es in erster Linie um ein besseres Europa, das funktioniere und Ergebnisse
erziele. Der Verfassungsentwurf, so der Kommissionspräsident weiter, beruhe auf diesen Werten. Die Verfassung
hätte die Union demokratischer und effizienter gestaltet, so wie es sich die Bürgerinnen und Bürger
erwarten. Man müsse aber akzeptieren, dass derzeit kein Konsens darüber bestehe, wie es weitergehen soll.
Dennoch dürfe man nicht die Hände in den Schoß legen, denn die EU verfüge über ein funktionierendes
politisches Rahmenwerk und dieses müsse man bestens nützen. Als Beispiele für die Handlungsfähigkeit
der Union nannte Barroso den Kompromiss über die finanzielle Vorausschau für die nächsten sieben
Jahre, die Reform des Lissabon-Prozesses, den Kompromiss über die Dienstleistungs-Richtlinie und den neuen
Stabilitäts- und Wachstumspakt. Barroso hob in diesem Zusammenhang die Arbeit der österreichischen Ratspräsidentschaft
positiv hervor.
Als wesentlichste strategische Ziele der EU müssten die Sicherung des Wohlstands, der Sicherheit und der Solidarität
verfolgt werden, denn dies stünde auch im Zentrum der Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger, so
Barroso weiter. Um Wohlstand zu sichern, bedürfe es der Realisierung des Binnenmarktes, denn dieser schaffe
Arbeitsplätze und stärke die Wirtschaft. Gleichzeitig dürfe man den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft
und die Solidarität zwischen den Regionen nicht aus den Augen verlieren, denn das seien die Werte, die Europa
verbinden. Die Kommission werde daher eine Bestandsaufnahme der sozialen Dimension parallel und in enger Zusammenarbeit
mit einer Überprüfung des Binnenmarktes vornehmen.
Priorität werde auch die Sicherheitsfrage haben, bestätigte Barroso. Dazu zähle eine Verbesserung
der Antiterrorismus-Politik, eine engere Zusammenarbeit der Exekutive und eine bessere Sicherung der Außengrenzen.
Der Kommissionspräsident sah auch die Notwendigkeit, Wohlstand, Solidarität und Sicherheit auf globaler
Ebene zu fördern, um die eigenen Ziele der Union erreichen zu können. Daher bedürfe es einer kohärenteren
Zusammenarbeit der Kommission mit den anderen europäischen Institutionen und den Mitgliedstaaten.
Obwohl die Erweiterung ein Erfolg sei, habe die Geschwindigkeit und das Ausmaß der Erweiterung bei den Bürgerinnen
und Bürgern Befürchtungen und Unsicherheit ausgelöst, stellte Barroso mit Bedauern fest. Die Kommission
werde aus diesem Grund die Diskussion über die Kapazität und Aufnahmefähigkeit der Union weiterführen.
Aufhorchen ließ der Präsident mit seiner Ankündigung, den Bürokratieabbau weiter forcieren
zu wollen. Um die Aufgaben erfüllen zu können, brauche man eine neue Arbeitsweise, die kostenintensive
und kontraproduktive Überregulierung vermeidet. "Wir brauchen keine Bürokratie, sondern Investitionen,"
so Barroso. Verbesserungen würden auf allen Ebenen des politischen Kreislaufs angestrebt und Strategien für
eine bessere Rechtsetzung für eine Vereinfachung der Vorschriften und für eine Folgenabschätzung
der Gesetze entwickelt. Unter dieser Prämisse habe die Kommission bereits einige Vorschläge zurückgezogen,
weil sie nicht notwendig gewesen seien.
Barroso bekräftigte auch den Willen der Kommission über "den Tellerrand hinauszuschauen". Sie
sei dem Subsidiaritätsprinzip verpflichtet, bestätigte er, die Partnerschaft könne nicht einseitig
sein, sondern bedürfe einer engen Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten.
Das werde einen Mehrwert bringen, zeigte er sich überzeugt, denn mit der Einbindung der jeweiligen Volksvertretungen
bestehe auch die Chance einer besseren Akzeptanz der EU durch die Bürgerinnen und Bürger. Daher sei die
Kommission überein gekommen, auf der zur Verfügung stehenden rechtlichen Basis des Amsterdamer Vertrages
alle Gesetzesvorschläge und relevanten Dokumente den nationalen Parlamenten direkt zu übermitteln. Dies
könnte eventuell auf dem Weg des interparlamentarischen Dokumentationsaustausches (IPEX) geschehen.
Um den Kontakt mit den nationalen Parlamenten möglichst eng zu gestalten, werde er alle Parlamente besuchen,
kündigte Barroso an, da er an deren Meinung außerordentlich interessiert sei. Er hoffe, dadurch verlorenes
Vertrauen wieder zu gewinnen, denn man müsse zugeben, die derzeitige Vertrauenskrise sei durch ein zu technokratisches
Europa entstanden. "Wir brauchen Demokratie, Offenheit, Transparenz und Rechenschaftspflicht", fasste
Barroso seine Bemühungen als Kommissionspräsident zusammen.
Parallel dazu müsste auch die institutionelle Frage weiter entwickelt werden, hielt Barroso fest und regte
an, eine entsprechende Entscheidung beim Rat im Juni zu treffen. Als weiteren Schritt zu einer institutionellen
Festigung schlug er vor, im nächsten Jahr, 50 Jahre nach der Unterzeichnung des Vertrags von Rom, eine politische
Erklärung zu veröffentlichen, die eine Selbstverpflichtung enthält, die europäischen Werte
und Zielsetzungen zu stärken. Darauf könnte eine so genannte Roadmap für die weitere Lösung
der institutionellen Frage aufbauen.
"Wir haben bemerkenswerte Stärken. Nützen wir sie!" appellierte der Kommissionspräsident
abschließend. Die Politik habe die Verpflichtung, den Wohlstand, die Sicherheit und die Solidarität
unter allen Europäerinnen und Europäern zu gewährleisten.
Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso dankte dann für die Möglichkeit, dem österreichischen
Parlament gegenüber die Positionen der EU-Kommission darstellen und seinerseits die Positionen des Parlaments
kennen lernen zu können. "So arbeitet die Kommission, und so ist es möglich, Konsens zu bilden",
sagte Barroso. Er kündigte an, dass die Kommission den Parlamenten legistische Vorhaben kommunizieren werde,
sodass die Parlamente in jeder Phase die Möglichkeit hätten, ihre Meinung auszudrücken. Dies sei
die Verwirklichung des Subsidiaritätsprinzips, und damit eines guten Prinzips, betonte der Kommissionspräsident. |