Avantgarde im Wien der 20er Jahre  

erstellt am
11. 05. 06

Revolutionär, aber kaum bekannt: Der Wiener Kinetismus war die erste österreichische Avantgardebewegung mit radikal-abstrakten Ansätzen
Wien (wienmuseum) - Formen und Farben in rotierender Bewegung, rhythmische Dynamik als Ausdruck einer neuen Sensitivität: Der Wiener Kinetismus war die erste Kunstrichtung Österreichs mit radikal-abstrakten Ansätzen. Er entwickelte sich im Verborgenen, seine große Bedeutung für die österreichische Moderne wurde erst im Nachhinein sichtbar.

Es waren vor allem enthusiastische junge Frauen, die in den frühen 1920er Jahren in der Laboratmosphäre von Franz Cizeks Kurs für "Ornamentale Formenlehre" nach einem neuen künstlerischen Ausdruck suchten. Der Kinetismus entstand als revolutionäres pädagogisches Experiment an der Kunstgewerbeschule, als Ziel nannte der charismatische Lehrer Cizek einen "vom modernen Leben durchpulsten Aktivismus". Aus diesem geschlossenen Milieu kam die Energie, die heute noch spürbar ist.

Frei von formalen Gesetzen brachten Cizeks Schülerinnen und Schüler ihre innersten Gefühle, ihre "Seele" aufs Papier. Wut, Neid und Trauer wurden in dynamisches Formenspiel ebenso übersetzt wie Kälte und Glut, ja selbst Geruch oder Lärm. Was expressionistisch begann, verfeinerte man mit Kubismus und Futurismus: Der Kinetismus (griech. "kinesis" = "Bewegung") war geboren.

Die Stars der Bewegung waren exzentrische Persönlichkeiten wie Erika Giovanna Klien, My Ullmann und Elisabeth Karlinsky, die sich auch privat für ein Leben abseits der Normen entschieden. Viele ihrer Kolleginnen mussten jedoch mit dem Image als "Kunstgewerblerinnen" leben. 1924 erreichte der Kinetismus seinen Höhepunkt. Die besten Schülerinnen schlossen ihr Studium ab, Cizeks Kurs wurde aufgelöst, Klien, Ullmann und Karlinsky versuchten ihr Glück im Ausland. Bald darauf war der Kinetismus vergessen – erst in den 70er Jahren begann man, sich vor allem für das Werk Erika Giovanna Kliens zu interessieren.

Zwei Schülerinnen der Abteilung für Ornamentale Formenlehre beim Zeichnen, um 1926/27, Copyright: Wien Museum Die Ausstellung erlaubt nun erstmals, sich ein umfassendes Bild des Kinetismus zu machen. Das Wien Museum besitzt mit dem Nachlass Franz Cizeks die bedeutendste Sammlung kinetistischer Kunst. Ergänzt wird diese um wertvolle Leihgaben.

Gezeigt werden die Hauptwerke von Klien, Ullmann und Karlinsky sowie zahlreiche Dokumente, unter ihnen Übungsblätter aus der Cizek-Klasse und Atelierfotos. Nach mehr als 80 Jahren ist nun Wiens wichtigste Avantgardebewegung der Zwischenkriegszeit neu zu entdecken.

Der Kinetismus entstand in der energiegeladenen Laboratmosphäre von Cizeks Klasse an der Kunstgewerbeschule. Angelehnt an deren Impulse veranstaltet der Künstler Rolf Laven für Schülerinnen und Schüler ab 14 Jahren im Rahmen der Ausstellung einen „Speed-Workshop“ zu den Themen Bewegung – Tempo – Beschleunigung. Als Gemeinschaftsprojekt aller SchülerInnengruppen wird in der Ausstellung ein „Endlos-Fries“ geschaffen, wobei die kreative Arbeit der TeilnehmerInnen unter anderem durch Musik und Rhythmus angeregt wird.

Die Ausstellung "Kinetismus. Wien entdeckt die Avantgarde" erlaubt im Wien Museum Karlsplatz erstmals eine umfassende Auseinandersetzung mit der Kunstrichtung. Eröffnung: Mittwoch, 24. Mai, um 18.30 Uhr.

Informationen: http://www.wienmuseum.at
     
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