Parlamentarisches Treffen zur Zukunft Europas am 8. und 9. Mai
Brüssel/Wien (pk) - Am Nachmittag des 08. 05. wurde in Brüssel die zweitägige
Konferenz zur Zukunft Europas eröffnet. Bei der gemeinsam vom österreichischen und vom Europäischen
Parlament veranstalteten Tagung soll im Rahmen von vier Arbeitsgruppen eine Grundsatzdiskussion darüber geführt
werden, wohin der europäische Weg führen soll. "Das Stocken des europäischen Integrationsprozesses
war die indirekte Folge der negativen Verfassungsreferenden in den Niederlanden und Frankreich", konstatierte
Nationalratspräsident Andreas Khol in seiner Begrüßungsrede. Deshalb sei es wichtig, dass gewählte
nationale sowie europäische Parlamentarier zusammentreffen, um über die zentralen Fragen zu diskutieren
und um ihre gegenseitigen Standpunkte kennenzulernen. "Dies sei der erste Schritt einer längeren Reise",
so Khol, aber er sei zuversichtlich, dass "wir auch die nächsten Schritte schaffen werden".
Bundesratspräsidentin Sissy Roth-Halvax appellierte daran, dass bei all den Diskussionen um die Zukunft Europas
das Subsidiaritätsprinzip sowie das Europa der Regionen nicht aus den Augen verloren wird.
Der Gastgeber der Konferenz und Präsident des Europäischen Parlaments, Josep Borrell Fontelles, begrüßte
die über 250 Abgeordneten aus den Mitgliedstaaten, die Vertreter aus den beiden Beitrittskandidatenländern
Rumänien und Bulgarien sowie aus Kroatien, Mazedonien und der Türkei.
Borrell Fontelles erinnerte zunächst daran, dass der Vertrag von Nizza schon einen Tag nach seiner Unterzeichnung
als unzureichend betrachtet wurde. Auch das Europäische Parlament habe zum Ausdruck gebracht, dass dieser
Vertrag keine Grundlage für eine effiziente Fortsetzung des Integrationsprozesses darstelle. Der Ausgang der
Referenden in Frankreich und Niederlande haben Europa in eine Sackgasse geführt, und es stelle sich heute
die Frage, ob die Verfassung in Kraft tritt, oder ob nur Teile davon umgesetzt werden sollen oder ob sie ganz anders
konzipiert werden soll. Außerdem stehe Europa vor großen Herausforderungen und müsse Antworten
finden auf die Globalisierung und den internationalen Wettbewerb, die Bedrohung der sozialen Standards, die Überalterung,
die Einwanderung, die Probleme in der Energieversorgung und den Terrorismus. Eine sektorale Politik und die bloße
Umsetzung von Projekten sei sicherlich zu wenig, war Borrell überzeugt, denn gute Politiken brauchen auch
gute Institutionen. Das Jahr der Reflexionsphase sei nun vorbei, jetzt müssen Taten folgen. Diese heutige
Konferenz soll dazu dienen, das europäische Aufbauwerk neu zu aktivieren und den Bürgern das Vertrauen
in Europa wieder zu geben. Wir müssen den Menschen klar machen, dass Europa nicht das Problem ist, sondern
Teil der Lösung, und zwar in allen Bereichen.
Bei der Konferenz, an der sowohl nationale als auch europäische Parlamentarier teilnehmen, soll über
zentrale Problemfelder, die eng mit dem europäischen Integrationsprozess zusammenhängen, ausführlich
beraten werden, meinte Nationalratspräsident Andreas Khol. Es sollte klar gemacht werden, dass eine Weiterentwicklung
der europäischen Verfassungslage unabdingbar ist. Notwendig sei auch eine Diskussion über eine gemeinsame
Außenpolitik, über die Aufrechterhaltung des europäischen Wirtschafts- und Sozialmodells, über
Sicherheitsfragen sowie über die Finanzmittel.
Sodann ließ Khol den europäischen Verfassungsprozess Revue passieren, der im Jahre 1956 mit der Erklärung
von Adenauer und Schuman zur Errichtung einer Gemeinschaft für Kohle und Stahl seinen Ausgang nahm. Wenn man
sich anschaut, was seitdem geschaffen wurde, dann sollte man nicht von Krise reden, unterstrich Khol. 50 Jahre
sind nur ein "Wimpernschlag in der Geschichte", und er hätte sich als junger Student nie vorstellen
können, dass es einmal ein voll integriertes Europa der 25 - und bald 27 - Länder gibt, wie dies heute
der Fall ist.
Was die Verfassungsfrage angeht, so brauche man jetzt Zeit und Geduld, meinte Khol. Allerdings sollte nicht einfach
abgewartet und die Krise zelebriert werden, sondern es muss alles getan werden, was möglich ist, bis die Verfassung
kommt. Er sei der festen Überzeugung, dass der Text ausgezeichnet ist und dass es nicht leicht sei, einen
besseren zu finden.
Khol gab sodann zu bedenken, dass jedes Land vor seiner eigenen Tür kehren müsse. Er warnte davor, Europa
zum Sündenbock für die eigenen Versäumnisse auf nationaler Ebene zu machen. Allerdings können
die staatlichen Parlamente auch sehr viel beitragen, und zwar sowohl auf nationaler Ebene als auch im Rahmen der
COSAC. Von der Europäischen Kommission wünsche er sich, dass die nationalen Parlamente umfassend über
die geplanten Rechtsakte informiert werden. Die Kommission müsse sich ebenso wie der Europäische Gerichtshof
über die gesteigerten Sensibilitäten der Bevölkerung bewusst sein.
Europa befinde sich heute in einer Phase der Reflexion, von der wichtige Impulse für das gemeinsame Projekt
Europa ausgehen werden, konstatierte Bundesratsprasidentin Sissy Roth-Halvax. Dabei nehmen die nationalen Parlamente
eine unverzichtbare Rolle als Mediatoren zwischen den Anliegen und Erwartungen der Bevölkerung auf nationaler
und regionaler Ebene sowie den Repräsentanten auf europäischer Ebene ein. Gerade angesichts der gescheiterten
Verfassungsreferenden sei die Methode der Kommunikation ebenso wichtig wie daraus resultierende politische Weichenstellungen.
Den Vertretern der nationalen Parlamenten komme dabei die besondere Verantwortung zu, das Europabewusstsein der
Bürger auf allen Ebenen zu fördern, insbesondere auf regionaler Ebene. In diesem Zusammenhang wies Roth-Halvax
auf die Bedeutung der Förderung der Subsidiarität und das Europa der Regionen hin. Der österreichische
Bundesrat fühle sich immer mehr dazu berufen, die regionalen Bezugspunkte nicht nur im nationalen, sondern
auch im europäischen Willensbildungsprozess zu vertreten; dies sei Ausdruck einer bürgernahen Politik.
Das Europa der Regionen sei Kernstück des Integrationsprozesses und dürfe daher nicht aus den Augen verloren
werden, betonte Roth-Halvax.
Nach der Eröffnung ging es mit den Beratungen in den Arbeitsgruppen weiter, wobei sich die Teilnehmer mit
folgenden Themen befassten: "Die Europäische Union in der Welt und die Grenzen der EU”, "Globalisierung
und das europäische Wirtschafts- und Sozialmodell”, "Perspektiven für den Raum der Freiheit, der
Sicherheit und des Rechts” sowie "Die künftigen Finanzmittel der Union”. Morgen, am Europatag, werden
dann die Ergebnisse der Arbeitsgruppen im Plenum präsentiert und diskutiert. Am Nachmittag werden dann Bundeskanzler
Wolfgang Schüssel und Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso eine Rede halten. |