Städtetag 2006 diskutiert den demographischen Wandel in Österreichs
Städten
Wien (rk) - Entgegen der teilweise unkritisch transportierten Vorstellung einer "aussterbenden
Gesellschaft" ist ganz das Gegenteil der Fall: Österreich wird einwohnermäßig auch in Zukunft
wachsen, jedoch tendenziell eine ältere Gesellschaftsstruktur aufweisen. In Österreich werden in erster
Linie die Städte und die Umlandräume mittel- und langfristig deutliche Bevölkerungs- zuwächse
zu verzeichnen haben. Die Wanderungsbewegungen laufen regional und überregional jeweils auf städtische
Zentren, Ballungsräume, Bezirksstädte und zentrale Orte zu. Eindeutiger Trend: Die Menschen zieht es
in die Städte - mehr denn je. Die Zahl der unter 15jährigen steigt von 2001 bis 2030 in städtischen
Räumen um 11 %. Ähnlich ist die Entwicklung im Segment der 15-19jährigen. Von 2001 bis 2030 verzeichnen
die städtischen Bezirke bei den Personen im erwerbsfähigen Alter (20-64) leichte Zuwächse.
Bilanz Geburten/Sterbefälle ausgeglichen - Zuwanderungssaldo positiv
Alleine bis 2030 wird Österreichs Bevölkerungsstand einen Wert von etwa 8,8 Millionen Menschen erreichen
(dzt. 8,0 Mio.). Aufgrund der steigenden Lebenserwartung ist die Bilanz von Geburts- und Sterbefällen ausgeglichen.
Österreichs Einwohnerplus wird durch Zuwanderung zustande kommen. Nach Expertenschätzungen wird der jährliche
positive Zuwanderungssaldo zwischen 25.000 und 30.000 Personen betragen.
Die Anzahl der über 85-Jährigen steigt von 133.000 im Jahr 2005 auf etwa 300.000 im Jahr 2030. Das statistische
Durchschnittsalter steigt von aktuell 40 Jahren auf 45 Jahre im Jahr 2030. Die Lebenserwartung erreicht bei Männern
2030 den Wert von 81,3 Jahren, bei Frauen den Wert von 86,4 Jahren.
"Während sich Städte in anderen Ländern über das Schrumpfen den Kopf zerbrechen, machen
sich Österreichs Städte Gedanken über den Bevölkerungszuwachs, den erforderlichen Wandel in
der kommunalen Infrastruktur - vor allem die Finanzierung - und neue generationsgerechte Betreuungsangebote",
erklärte Städtebund- Präsident Bürgermeister Dr. Michael Häupl in Anwesenheit von Mag.
Siegfried Nagl, Bürgermeister der Stadt Graz und Österreichs Städtebund-Generalsekretär Dr.
Erich Pramböck am Mittwoch im Rahmen eines Mediengespräches.
Die Jugend folgt der Anziehungskraft der Städte
"Die Botschaft ist klar: Österreichs Städte sind künftig mehr denn je die Zentren,
denen junge Menschen zustreben. Österreichs Städte bieten Ausbildungsplätze, gute Sozial- und Wohninfrastrukturen,
hochwertige Dienstleistungen der Daseinsvorsorge sowie darüberhinaus durch eine strategische Standort-, Innovations-
und Wirtschaftspolitik zukunftsträchtige Arbeitsplätze", erklärt Städtebund-Präsident
Bgm. Häupl den "Run" auf die Städte.
"Das ist eine strukturelle Zukunftsentwicklung, ein klares Votum und politischer Auftrag für den Lebens-
und Arbeitsraum Stadt", so Präsident Häupl. Allerdings müsse man dabei ebenso die Situation
der Städte wie jener Räume im Auge behalten, aus denen Menschen zuwandern: "Österreichs Städte
müssen damit weitere Betreuungs- und Serviceleistungen übernehmen, haben aber mittel- und langfristig
nicht jene Finanzausstattung, die dafür erforderlich ist", gibt der Städtebund-Präsident zu
bedenken.
Nagl verwies am Beispiel von Graz auch auf die großen Infrastruktur-Erfordernisse, die hinsichtlich der städtischen
Umlandgemeinden zu Leisten seien. Offiziell würden aktuell in Graz 230.000 Menschen wohnen, rechnet man die
Einwohner des Grazer Umlandes realistisch hinzu, dann müsse Graz eine Infrastruktur für rund 500.000
Menschen bereitstellen. Beide Politiker betonten, dass man in Österreich insgesamt mit Bezug auf die Demographie
erst am Beginn eines gesellschaftlichen Diskussionsprozesses stehe.
Die junge Stadt - Bedarf für Ganztagsbetreuung von Kindern steigt
Eine optimale Kinderbetreuung wird von Österreichs Städten als zentrale Komponente für die Schaffung
zukunftsträchtiger Wirtschaftsstandorte und eine verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie als
wichtige Stütze für AlleinerzieherInnen gesehen.
Sowohl BürgermeisterInnen als auch die Bevölkerung erwarten laut zweier aktueller Städtebund-Umfragen
einen erhöhten Bedarf im Bereich der Nachmittagsbetreuung. Bei der Nachmittagsbetreuung übernimmt der
Bund bei der ab Herbst 2006/07 vorgeschriebenen Nachmittagsbetreuung ab 15 angemeldeten Kindern finanziell lediglich
eine Betreuungsstunde pro Nachmittag. Drei bis vier Betreuungsstunden am Nachmittag müssen laut Städtebund
durch Städte/Gemeinden und Eltern gedeckt werden. Dazu das KDZ - Zentrum für Verwaltungsforschung in
einer aktuellen Studie: "Die Städte und Gemeinden bleiben auf den durch den Bund induzierten Zusatzkosten
sitzen." Analog zur Kindergartenmilliarde 1997 muss es ein "kommunales Kinderbetreuungspaket" für
Städte und Gemeinden geben. Zusätzliche Mittel sind im Bereich der frühen Sprachförderung in
Kindergärten erforderlich. Die derzeit seitens des Bundes aufgebrachten 0,66 Euro pro Kind und Unterrichtseinheit
sind kein ernst zu nehmender Förderbeitrag.
Städtische Perspektiven und Trends 2006 - Die junge Stadt:
* Ausbau der Angebote in großen Städten nur mit Unterstützung
durch Bund/Länder möglich (Verringerung von
Ferienschließzeiten/Dauer der Öffnungszeiten)
* Kindergärten werden immer mehr zu Bildungseinrichtungen des
sozialen und individuellen Lernens
* Sprachförderung als wichtiges Element der Ausbildung im Kindergarten
Die Bevölkerung bewertet die kommunale Kindergärtenstruktur grundsätzlich sehr positiv. Künftige
Schwerpunkte werden im Bereich der Betreuung in Krippen (Betreuung der 0-2-Jährigen) und in der Nachmittagsbetreuung
gesehen. Österreich hat sich in der EU zu den Barcelona-Zielen verpflichtet. Damit sollen 2010 etwa 33 % der
0-2-Jährigen in Krippen betreut werden. Diese Zusage wird allerdings ohne finanzielle Unterstützung für
Städte/Gemeinden durch den Bund eine reine Absichtserklärung bleiben.
Die älter werdende Stadt - Mobile bzw. ambulante Betreuung ausbauen
Aufgrund der Grundtendenz der demographischen Entwicklung werden in Österreichs Städten zunehmend
mehr ältere Menschen leben. Die Zahl der über 60-Jährigen steigt von 2005 mit 1,8 Millionen auf
etwa 2,7 Millionen Personen im Jahr 2030 an. Österreichs BürgermeisterInnen sind sich der Gesamtentwicklung
absolut bewusst - 89 % sehen eine Notwendigkeit für einen stärkeren Ausbau der mobilen bzw. ambulanten
Betreuung.
Das Älterwerden wird dabei mehrfache Ausprägungen haben: Dazu gehören die Entstehung eines "dritten"
("Alte") und "vierten" ("Ältere") Lebensabschnitts und eine steigende Zahl von
Ein- oder Zweipersonenhaushalten. "Damit einher gehen eine Verringerung des familiären Pflegepotenzials
und neue, viel stärkere Infrastrukturanforderungen auf kommunaler Ebene als bisher. Hier muss allerdings von
einer weit klaffenden Finanzierungslücke im Bereich Soziales und Pflege gesprochen werden - diese Herausforderungen
können Städte alleine nicht erfolgreich annehmen", so Städtebund-Generalsekretär Erich
Pramböck. Gerade eine stationäre Betreuung sei sehr budgetbelastend. Daher müssen mobile, ambulante
und teilstationäre Dienste ausgebaut werden. Ziel ist es, möglichst viele Menschen in ihrer angestammten,
vertrauten Umgebung - also zu Hause - so lange wie möglich optimal betreuuen zu können.
Städtische Perspektiven und Trends 2006 - Die älter werdende Stadt:
* Forcierung von mobilen, ambulanten und teilstationären Diensten
im Bereich der Betreuung älterer Menschen - z. B. Ausbau des
"betreuten Wohnens" bzw. neuer Wohnformen (Mehrgenerationenhaus)
* Herstellen einer durchgängigen Pflegekette und Schaffung einer
altersgerechten Infrastruktur im Rahmen von Betreuungskonzepten
der Länder
* Starke Stellung der Städte als Koordinationsdrehscheibe und
Ansprechpartner von Vereinen, Netzwerken etc.
Die bunte Stadt - Österreichs BürgermeisterInnen für Sprachoffensive
Etwa 15 % der österreichischen Wohnbevölkerung weisen aktuell einen Migrationshintergrund auf. Die Zukunft
der Städte ist eindeutig multiethnisch. Städte sind dabei seit jeher das präferierte Ziel von ZuwandererInnen.
Dazu das KDZ - Zentrum für Verwaltungsforschung: "Für die Städte und Gemeinden ist - im Sinne
des sozialen Zusammenhalts - eine erfolgreiche Integration lebenswichtig."
"Die Hauptverantwortung für eine koordinierte Integrationspolitik liegt klar beim Bund. Städte und
Gemeinden leisten vor Ort ihren unersetzlichen Beitrag im Rahmen einer übergreifenden, lokal vernetzten Integrationspolitik.
Einen Fehler darf man dabei allerdings nicht machen und Städte und Gemeinden in dieser essenziellen Frage
alleine lassen", mahnt Städtebund- Generalsekretär Erich Pramböck. Vor allem die zunehmende
Institutionalisierung der kommunalen Integrationspolitik bewährt sich laut einer aktuellen KDZ-Umfrage unter
den BürgermeisterInnen der Städtebund-Mitgliedsgemeinden.
Neben den Fragen Beschäftigung, Spracherwerb bzw. Befähigungsunterstützung ist gerade der Bereich
der Sprachkompetenz bei Kindern entscheidend.
In allen größeren Städten Österreichs ist ein merklicher Anstieg von Kindern mit Migrationshintergrund
zu beobachten. Parallel dazu steigt der Anteil der Kinder in Kindergärten, die Deutsch nicht als Muttersprache
haben. "Österreichs BürgermeisterInnen sprechen sich mit 92 % für mehr Fördermaßnahmen
beim Spracherwerb bei Kindern mit Migrationshintergrund aus", so Pramböck. Diese Haltung ist deckungsgleich
mit der Bevölkerungsmeinung: 90 % der Befragten (IFES-Umfrage Mai 2006) sprechen sich für Sprachförderung
im Kindergarten aus, 89 % für Sprachkurse für ZuwandererInnen.
Städtische Perspektiven und Trends 2006 - Die bunte Stadt:
* Städte und Gemeinden müssen in eine künftig zu entwickelnde
Bund-Länder-Strategie im Bereich Integration "integriert" werden
* Berücksichtigung der Integrationserfordernisse in
Ballungszentren im nächsten Finanzausgleich unumgänglich -
Pilothafte Förderung von konkreten Integrationsprojekten auf
kommunaler Ebene durch den Bund
* Ausbau der Sprachförderung im Kindergarten als zentrale Maßnahme
der Integrationspolitik - Kindergärten als Orte der Integration
nutzen
Ausbau der kommunalen Diversitätspolitik (Beschäftigung von Personen mit Migrationshintergrund; dadurch
leichtere Zugänglichkeit von Kommunalstrukturen für MigrantInnen) - Stärkere Institutionalisierung
der kommunalen Intergrationspolitik (Integrationsbeauftragte/r, Integrationsleitbilder, Beiräte etc.)
Die sichere Stadt - Österreichs Städte setzen auf mehr Polizeipräsenz
Bürgermeister sind alleine schon aufgrund ihrer Stellung in der Kommune ein wichtiger Ansprechpartner
der Bevölkerung in Sicherheitsfragen. "Die Überwachung des öffentlichen Raums ist eine Kernaufgabe,
die der Bund sicherzustellen hat. GemeindevertreterInnen und BürgerInnen sind sich einig: Es braucht mehr
Polizei auf den Straßen unserer Städte", hält Städtebund- Generalsekretär Pramböck
fest. Polizeikräfte müssen im öffentlichen Raum der Stadt präsent sein - und zwar als Patrouille
sichtbar und für die BürgerInnen im Fall des Falles erreichbar.
Nach einer aktuellen Städtebund-Umfrage unter den BürgermeisterInnen wird die allgemeine Zusammenarbeit
mit der Polizei vor Ort als durchaus positiv dargestellt. Überwiegend negativ für die jeweilige Zusammenarbeit
Polizei-Stadt werden die Auswirkungen der Polizeireform beurteilt. Auch die Bevölkerung wünscht sich
laut IFES-Umfrage im Auftrag des Österreichischen Städtebundes eine stärkere Polizeipräsenz:
70 % der Befragten halten "mehr Polizei auf den Straßen und Plätzen" für wichtig. In
den Städten sind es sogar 85 % der Befragten, die mehr Polizeipräsenz einfordern.
Städtische Perspektiven und Trends 2006 - Die sichere Stadt:
* Mehr Polizeipräsenz in Österreichs Städten; Polizei aus
sichtbarer Ansprechpartner für BürgerInnen auf lokaler Ebene (im
Grätzel; im Stadtteil)
* Problem der geteilten Zuständigkeiten durch die Polizeireform
* Fachliches Weisungsrecht für BürgermeisterInnen bei der
Vollziehung sicherheitspolizeilicher Aufgaben notwendig
* Ausbau zielgruppenorientierter Präventionsmaßnahmen durch Städte
und Gemeinden
* Zunehmende Institutionalisierung der kommunalen Sicherheitsarbeit (z. B. Beiräte) |