Guter Start des neuen Stabilitäts- und Wachstumspakts, aber noch wichtige Hürden zu
nehmen
Brüssel (eu-int) - Die Bilanz für das erste Jahr des reformierten Stabilitäts- und
Wachstumspakts (SWP) ist insgesamt positiv, auch wenn einige zentrale Probleme noch zu lösen sind. Dank des
neuen Pakts und der stärker ökonomischen Ausrichtung, die gewährleistet, dass wirtschaftliche Unterschiede
zwischen den einzelnen Ländern besser berücksichtigt werden, übernehmen die Mitgliedstaaten deutlich
mehr politische Eigentümerschaft für die Haushaltsdisziplin. Die Konsolidierungsanstrengungen sind mehr
struktureller Art, dauerhaft und wohl durchdacht. Bei der Bewertung des „präventiven“ Teils des Paktes, d.h.
bei der Frage, ob mittelfristig eine solide Haushaltsposition erreicht wird, stellt sich das Bild jedoch differenzierter
dar. Dies bereitet vor allem deshalb Sorge, als der derzeitige Konjunkturaufschwung in der Europäischen Union
und im Eurogebiet eigentlich die Chance für stärkere Konsolidierungsbemühungen bietet. Dies sind
die Schlussfolgerungen einer Mitteilung an das Parlament und den Rat, die heute verabschiedet wurde und sich auf
den Jahresbericht über die Situation der öffentlichen Finanzen in der Europäischen Union stützt.
„Die Reform bietet aus wirtschaftlicher Sicht mehr Ermessungsspielraum und hat damit einen konstruktiveren und
transparenteren wirtschaftlichen Dialog auf EU-Ebene stimuliert. Sie hat die gegenseitige Unterstützung und
die Ausübung gegenseitigen Drucks verstärkt und zu einem reibungslosen, effizienten Ablauf des Paktes
beigetragen. Die größte Herausforderung besteht jedoch nach wie vor darin, über die Korrektur übermäßiger
Defizite hinauszugehen und durch Verstärkung der Konsolidierungsbemühungen in besseren Zeiten mittelfristig
eine sichere Haushaltsposition zu erreichen,“ so der Kommissar für Wirtschaft und Finanzen, Joaquin Almunia.
„Wenn wir auch in un günstigeren Zeiten über einen ausreichenden Handlungsspielraum verfügen wollen,
wenn wir außerdem unsere Pflicht zur Verringerung übermäßiger Schulden erfüllen wollen,
dann dürfen wir die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen".
Die Kommission hat heute eine Mitteilung verabschiedet, in der sie die wichtigsten politischen Schlussfolgerungen
ihres Berichts über die öffentlichen Finanzen in der WWU im Jahr 2006 darlegt. Darin nimmt sie auch eine
erste Bewertung der Umsetzung des im Juni vergangenen Jahres reformierten WSP und der zukünftigen Herausforderungen
vor.
Die Reform des WSP des Jahres 2005 brachte eine signifikante Verbesserung des Verfahrens bei einem übermäßigen
Defizit.
In diesem Verfahren kann länderspezifischen Überlegungen im Hinblick auf Wirtschaftswachstum und öffentliche
Finanzlage besser Rechnung getragen werden, was jedoch nicht ausschließt, dass für Länder mit einem
Defizit von über 3 % nach wie vor das Defizitverfahren eingeleitet wird.
Für die Korrektur übermäßiger Defizite wurden realistische Fristen gesetzt, um Phasen schwachen
Wirtschaftswachstums zu berücksichtigen; von besonderer Wichtigkeit sind jedoch die empfohlenen haushaltspolitischen
Korrekturen. Dies gilt umso mehr, als diese Korrekturen jetzt ohne Berücksichtigung einmaliger und befristeter
Auswirkungen formuliert werden, so dass übermäßige Defizite auf permanente Art korrigiert werden.
Besonders wichtig ist diesbezüglich, dass das höhere Maß an Flexibilität und Beurteilungs-
spielraum nicht zu Lasten des regelgestützten Systems für die Haushaltspolitik geht, und somit die Gleichbehandlung
aller Mitgliedstaaten garantiert ist.
Gemäß den Haushaltsergebnissen des Jahres 2005 hat sich das nominale Defizit in der EU von 2,6 % im
Jahr 2004 auf 2,3 % des BIP verringert (2,4 % bzw. 2,8 % im Eurogebiet). Strukturell bedeutet dies eine Verbesserung
um rund ein Dreiviertel Prozent des BIP und damit die größte Haushaltsanpassung seit dem Jahr 1997.
Der präventive Teil
Der Pakt beschränkt sich natürlich nicht auf die Korrektur übermäßiger Defizite. Sein
Hauptziel ist die Festlegung sinnvoller mittelfristiger Ziele für die öffentlichen Finanzen. Diese Ziele
sollten sich in einer Bandbreite von -1 % des BIP für Länder mit niedriger Schuld und hohem Wachstumspotenzial
und einem Gleichgewicht bzw. Überschuss für Länder mit hoher Schuld und niedrigem Wachstumspotenzial
bewegen.
Bei der Prüfung der ersten nach der Reform des Paktes unterbreiteten Stabilitäts- und Konvergenzprogramme
zeigte sich, dass die Mitgliedstaaten sich mittelfristige Ziele gesetzt haben, die weitgehend mit den vereinbarten
Grundsätzen vereinbar sind. Des Weiteren ist positiv zu verzeichnen, dass die Haushaltsprojektionen sich nahezu
ausnahmslos auf realistische Wachstumsprognosen stützen und deutlich seltener auf einmalige und andere befristete
Maßnahmen zurückgegriffen wird. Allerdings lassen die mittelfristigen Haushaltspläne mitunter etwas
Ehrgeiz vermissen, die Lücke zwischen dem aktuellen Haushaltsstand und den mittelfristigen Haushaltszielen
schließen zu wollen. Vor dem Hintergrund des Konjunkturaufschwungs sollten 2006 und auch 2007 stärkere
Haushaltsanpassungen vorgenommen werden.
Der Bericht über die öffentlichen Finanzen in der WWU 2006 umfasst auch zwei analytische Kapitel über
a) die Rolle von nationalen finanzpolitischen Vorschriften (z.B. Ausgabehöchstgrenzen, „nationale Pakte“)
und Einrichtungen, die den Stabilitäts- und Wachstumspakt sinnvoll ergänzen können, sowie b) die
Finanzpolitik „in guten Zeiten“. Neuere Entwicklungen und die Frühjahrsprognosen der Kommission des Jahres
2006 bestätigen den Konjunkturaufschwung im Eurogebiet und in der EU. Die Mitgliedstaaten dürfen die
Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen und wirtschaftlich günstige Zeiten nutzen, um ihre Bemühungen
um eine Konsolidierung der Haushalte verstärken.
Hintergrund
Der Stabilitäts- und Wachstumspakt besteht aus den Bestimmungen des EU-Vertrags über die Wirtschafts-
und Währungspolitik (Titel VII) sowie zwei Verordnungen aus dem Jahr 1997 über die haushaltspolitische
Überwachung und die Korrektur von übermäßigen Defiziten. Diese Verordnungen wurden im Juni
2005 geändert. Der im März 2005 von den EU-Finanzministern angenommene Bericht über die Verbesserung
der Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts ist ebenfalls Bestandteil der EU-Architektur für die
haushaltspolitische Überwachung. |