Hohe Akzeptanz, positive Wirkung – Evaluationsstudie über neues Kindschaftsrecht liegt Parlament
vor
Wien (pk) - Es gebe Fälle und werde auch in Zukunft Fälle geben, in denen die alleinige
Obsorge eines Elternteils sinnvoll ist; insgesamt aber sei die gemeinsame Obsorge beider Eltern das günstigere
Modell. Dies wegen seiner günstigen Auswirkungen auf das Familienklima, auf die Zufriedenheit von Müttern
und Vätern und auf die Sicherung und Ausgestaltung der Beziehung zwischen den Kindern und den getrennt lebenden
Eltern. "Insofern sind die hohe Akzeptanz und das hohe Ausmaß des Vorkommens der Obsorge beider Eltern
erfreulich." Zu diesem Ergebnis kommt der Bericht der Bundesministerin für Justiz betreffend Auswirkungen
der Neuregelung des Kindschaftsrechts bzw. die wissenschaftliche Evaluationsstudie, die jetzt dem Nationalrat vorliegen
( III-221 d.B.) "Allerdings weist das Ergebnis, das die Obsorge beider Eltern in etwas über der Hälfte
der Fälle über die Scheidung hinaus beibehalten wird, darauf hin, dass ein bedeutender Teil von Kindern
nicht von dieser Obsorgeform profitiert", heißt es in der Studie weiter.
Dem entsprechend werden abschließend einzelne weitere Maßnahmen vorgeschlagen: Information der Eltern
(vorzugsweise in enger Koppelung mit dem gerichtlichen Akt der Scheidung) sowie der mit der Thematik befassten
Berufsgruppen, eine Ausweitung des Beratungsangebots für von Scheidung betroffene Familien, die Ausweitung
der Besuchsbegleitung, eine weitere Stärkung der Kinderrechte, eine bessere personelle Ausstattung der Gerichte
zur Verkürzung der Verfahrensdauer sowie schließlich eine Fortführung der wissenschaftlichen Begleituntersuchung,
um die längerfristigen Auswirkungen beurteilen zu können.
Ziel der Evaluationsstudie war es, "die Anwendung der mit dem Kindschaftsrechts-Änderungsgesetz 2001
neu geschaffenen und am 1. 7. 2001 in Kraft getretenen Bestimmungen, insbesondere... über die Obsorge beider
Eltern, wissenschaftlich zu beforschen und deren Auswirkungen zu studieren". Im Mittelpunkt des entsprechenden
Auftrags des Justizministeriums stand "die umfassende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Verteilung
der Obsorge für minderjährige Kinder bei Trennung der Eltern", wobei betroffene Eltern und Kinder,
aber auch die damit befassten Berufsgruppen (Richter, Jugendwohlfahrt, FamilienberaterInnen, RechtsanwältInnen,
NotarInnen, GerichtsgutachterInnen, PsychotherapeutInnen, MediatorInnen) in den Blick genommen werden sollten.
Die Autorinnen und Autoren der Studie rekrutierten sich aus der Arbeitsgemeinschaft psychoanalytische Pädagogik
(Eltern-Kind-Untersuchung) sowie aus dem Europäischen Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung
und dem Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie (Berufsgruppen-Untersuchung). Der von Helmuth Figdor und
Judit Barth-Richtarz endredigierte Bericht umfasst 319 Seiten. Begleitet wurde die Erstellung des Berichts – von
der Erarbeitung der Fragestellungen bis zur Diskussion der wichtigsten Ergebnisse - von einem Beirat, in dem das
Justiz- und das Sozialressort sowie betroffene Berufsgruppen vertreten waren. Methodisch wurden Erhebungen mittels
Fragebögen, Tiefeninterviews mit Eltern und qualitative Untersuchungen bei Kindern und qualitative Interviews
mit RichterInnen eingesetzt; zudem wurden eingegangene Stellungnahmen von Kinder- und Jugendanwaltschaften und
Frauenhäusern ausgewertet.
Ausgehend von analogen – wenn auch zu Österreich recht unterschiedlichen – Regelungen in Deutschland und der
österreichischen Rechtslage wurden von den AutorInnen der Studie sowohl im Teil über Eltern und Kinder
als auch im Teil über die betroffenen Berufsgruppen zunächst Hypothesen gebildet. Diese Hypothesen wurden
dann anhand der Ergebnisse überprüft und, wenn dies möglich war, verifiziert bzw. falsifiziert.
Einzelne Ergebnisse der Untersuchung: Die Akzeptanz des Modells
So gingen die AutorInnen von der Annahme aus, dass der Anteil der gemeinsamen Obsorge gegenüber der alleinigen
Obsorge eines Elternteils eher gering sein werde. "Zu unserer großen Überraschung ist diese Hypothese
zweifelsfrei widerlegt worden", heißt es dazu in der Studie. So hat die Befragung betroffener Eltern
ergeben, dass in mehr als der Hälfte der Fälle gemeinsame Obsorge vereinbart wurde (gegenüber gut
38 %, in denen die Mutter und 3,5 % in denen der Vater die Obsorge zugesprochen wurde).
Auch die Annahme, dass sich mit dem Modell der gemeinsamen Obsorge nur wenige Eltern würden identifizieren
können, wurde durch die erhobenen Daten widerlegt. Fast 70 % der befragten Eltern halten von der gemeinsamen
Obsorge "sehr viel", rund 9 % gar nichts – womit die Befragung der Eltern eine andere Einstellung der
Betroffenen an den Tag brachte als es den Erwartungen der betroffenen Berufsgruppen entsprochen hätte; in
Summe hatten die VertreterInnen der Richterschaft und der anderen einschlägigen Berufe nur bei rund 6 % mit
hoher Erwartung gerechnet.
Durch die erhobenen Daten widerlegt wurde auch die Hypothese, gemeinsame Obsorge würde hauptsächlich
von Eltern gewählt, deren Scheidung relativ konfliktarm verlief. Daher kommt die Studie in diesem Punkt zu
dem Ergebnis, die gemeinsame Obsorge sei "sogar auch ein Modell, das von so genannten Hochkonfliktfamilien
angenommen wird".
Widerlegt wurden auch die Annahmen, dass die Initiative zur gemeinsamen Obsorge in erster Linie von den Vätern
ausgehen werde und dass von den Vätern (vor allem finanzieller) Druck ausgeübt werden würde. Teilweise
bestätigt hat sich durch die Daten die Annahme, dass die Bereitschaft zur gemeinsamen Obsorge von Trennungs-
bzw. Scheidungserleben der Eltern abhängig ist. Alter, Bildungsstand, Beruf und Einkommenssituation haben,
wie aus den Daten der Untersuchung hervorgeht, auf die Entscheidung für die gemeinsame Obsorge keinen wesentlichen
Einfluss. Deutlich mehr als die Hälfte (knapp 57 %) der befragen Eltern gaben an, dass sie die gemeinsame
Obsorge wollten; als wichtigste Gründe wurden die Verantwortung beider Eltern, das Wohl des Kindes/der Kinder
und die ähnliche Situation bei aufrechter Ehe angegeben.
Einzelne Ergebnisse der Untersuchung: Die Auswirkungen des Modells
Sowohl die betroffenen Eltern als auch die befassten Berufsgruppen sehen durch die gemeinsame Obsorge eine
Entspannung des Beziehungsklimas: "Die Obsorge beider Eltern scheint eher zu einer Beruhigung der elterlichen
Konflikte beizutragen", formulieren die AutorInnen der Studie vorsichtig. Auch die Erwartung, die gemeinsame
Obsorge würde zu einer Mehrbelastung der Beteiligten führen, wurde nicht bestätigt, im Gegenteil:
"Hauptbetreuende Eltern mit der Obsorge beider Eltern erleben die Verständigung und Zusammenarbeit mit
dem anderen Elternteil im Vergleich zu den alleinobsorgeberechtigten Elternteilen signifikant häufiger als
gut oder sehr gut". In Summe zeigte sich eine sehr hohe Zufriedenheit der Eltern mit der gemeinsamen Obsorge,
die auch positive Auswirkungen auf das Ausmaß des Besuchsrechts hat. Darüber hinaus führt die gemeinsame
Obsorge nicht nur zu einer quantitativen Verbesserung, sondern auch zu einer qualitativen: die (in der Regel) Väter
übernehmen mehr elterliche Verantwortung.
Diese quantitative und qualitative Verbesserung hat auch Einfluss auf die Zahlungsmoral des unterhaltspflichtigen
Elternteils, weil die Höhe des Unterhalts eher als angemessen erfahren werden kann. Das Ergebnis einer vergleichbaren
Untersuchung in Deutschland, wonach die Zahl der Kontaktabbrüche in der Folge der gemeinsamen Obsorge drastisch
gesunken sind, konnte in Österreich eindrucksvoll bestätigt werden, wird in der Studie festgestellt. |