Außenministerin Plassnik vor der Gesellschaft für Außenpolitik und der Liga der
Vereinten Nationen
Wien (bmaa) - Außenministerin Ursula Plassnik hielt am 05.07. bei einer Veranstaltung der Österreichischen
Gesellschaft für Außenpolitik und internationale Beziehungen, der Österreichischen Liga für
die Vereinten Nationen und der Industriellenvereinigung einen Vortrag, in dem sie einen Überblick über
den österreichischen EU-Vorsitz gab.
Die Außenministerin verwies Eingangs auf die schwierige Situation in Europa zum Jahreswechsel 2005/2006 nach
den negativen Verfassungsreferenden in Frankreich und den Niederlanden und den mühevollen Verhandlungen zur
Finanzvorschau. "In dieser Situation der Schreckensstarre und der Vertrauensstörung, war die beste Dienstleistung
an Europa die: Zu versuchen, wieder mehr Klarheit, mehr Vertrauen und mehr Schwung in das europäische Projekt
zu bringen", so Plassnik
"Das Thema Vertrauen haben wir in unserer Präsidentschaft von Beginn an als Basso continuo empfunden;
die behutsame Arbeit am Wir-Gefühl in Europa war mir ein besonderes Anliegen. Das ist kein Ausdruck aus der
Mottenkiste der Gefühle. Ohne ein gestärktes Wir-Gefühl, ohne eine neue Qualität des Vertrauens
unter den Mitgliedstaaten wäre es nicht gelungen, die Zukunftsdebatte wieder in Gang zu bringen", sagte
Außenministerin Plassnik.
Die Außenministerin erinnerte an das Motto "Europa hört zu" der Informationskampagne in Österreich
in 2005. Dieses Bekenntnis zum Zuhören sei auch ganz bewusst als Titel an den Beginn der Schlussfolgerungen
des Europäischen Rats vom Juni gestellt worden. "Unser zweites Motto war Realismus. Gerade einige öffentliche
Bewertungen des Vorsitzes zeigen unrealistische oder überzogene Erwartungshaltungen. Wir haben hingegen weder
unser Möglichkeiten, noch die unserer Partner überschätzt, sondern unsere Arbeit mit Augenmaß
und Hausverstand gemacht", so Plassnik.
Europa der Projekte
Plassnik verwies auf die drei "Großbaustellen" auf denen der österreichische EU-Vorsitz Grundlagenarbeit
erledigt habe: der Finanzvorschau 2007-2013, der Erweiterung und der Zukunftsdebatte. "Die Bürger wollen
ein Europa der Ergebnisse und konkreten Resultate, keine verfassungsrechtliche Nabelschau. Deshalb haben wir beim
Europäischen Rat neben die Zukunftsdebatte, die weitergehen muss, ein Zukunftsprogramm gestellt, das Europa
der Projekte", so die Außenministerin. Als Beispiele für konkrete Projekte, die in den letzten
Monaten umgesetzt wurden, nannte Plassnik unter anderem die Öffnung der Ratstagungen für die Öffentlichkeit,
wenn der Rat gemeinsam mit dem Europäischen Parlament als Gesetzgeber tätig wird, die Maßnahmen
zur besseren Koordination innerhalb der EU bei Krisen und Naturkatastrophen und die verbesserte konsularische Hilfeleistung
für EU-Bürger "Der Bürger muss sich sicher sein können, dass Europa gerade auch in den
schwierigsten Situationen an seiner Seite ist. Hier zu Verbesserungen zu kommen, war mir besonders wichtig".
so die Außenministerin.
Zur Erweiterung der EU stellte die Außenministerin klar, dass die Frage, ob die Aufnahmefähigkeit in
den Schlussfolgerungen des letzten Europäischen Rats ausdrücklich als Erweiterungskriterium festgeschrieben
wurde oder nicht, eine Spiegelfechterei sei. "Die Aufnahmefähigkeit ist Teil der so genannten Kopenhagener
Kriterien und zählt im Verhandlungsmandat für die Türkei ausdrücklich zu den Kriterien und
Voraussetzungen für eine EU-Mitgliedschaft. Dafür habe ich gekämpft. Die Aufnahmefähigkeit
ist jetzt auf dem Tisch und wird dort auch bleiben. Sie ist erforderlich, um das Vertrauen der Bürger in den
Erweiterungsprozess wieder herzustellen", so Plassnik. Dabei unterstrich die Außenministerin, dass sich
die Frage nach der Aufnahmefähigkeit der Union von Fall zu Fall anders stellen werde, je nachdem um welchen
Beitrittskandidaten es sich handle.
In Bezug auf die Außenpolitik betonte Plassnik auch die steigende Nachfrage nach einem geeinten Europa, das
international mit einer Stimme spricht: "Ein erfolgreicher Vorsitz ist Teamarbeit. Die vergangenen Monate
haben gezeigt, dass es sich lohnt, zeitgerecht belastbare Netzwerke von Freunden und Partnern aufzubauen und im
EU-Vorsitz glaubwürdig die Funktion eines ehrlichen Maklers zu erfüllen". Dies habe sich - so die
Außenministerin - etwa bei der Karikaturenkrise und den schwierigen Kompromissfindungen zur Aufnahme der
Beitrittsverhandlungen mit Türkei und Kroatien gezeigt. Die Bandbreite der Außenbeziehungen der EU belegen
allein schon die zahlreichen Drittstaatstreffen während des österreichischen EU-Vorsitzes, wie etwa die
16 Außenministertreffen der EU-Troika, die 11 Außenministertreffen im Rahmen von Assoziations- oder
Kooperationsräten mit Nachbarstaaten und -regionen und die zwei Beitrittskonferenzen.
Ein besondere Schwerpunkt sind die Beziehungen zum Westbalkan gewesen. "Es freut mich, dass mir gelungen ist,
jeden einzelnen der Westbalkanstaaten durch zumindest einen konkreten Schritt Europa näher zu bringen. Die
Zielsetzung ist klar: die europäische Perspektive muss für die Menschen am Balkan greifbar und glaubhaft
bleiben", so die Außenministerin. Plassnik verwies dabei unter anderem auf die Unterzeichnung des Stabilisierungs-
und Assoziierungsabkommens mit Albanien, die Aufnahme der Verhandlungen zu einem vergleichbaren Abkommen mit Bosnien
und Herzegowina sowie die Begleitung des "friedlichen Geburtsvorgangs" des neuen Staates Montenegro durch
die EU. Besonderes Augenmerk sei unter österreichischem Vorsitz den Beziehungen mit Serbien zugekommen. "Ich
begrüße die serbische Initiative eines Aktionsplans, der konkrete Schritte zur Herstellung der vollen
Kooperation mit dem Kriegsverbrechertribunal vorzeichnet. Wir werden Serbien auch weiterhin auf seinem europäischen
Weg unterstützen", so Plassnik.
Grundlagenarbeit
Die Außenministerin verwies auf die neuen Themen, die während dem österreichischen EU-Vorsitz auf
dem Radarschirm aufgetaucht seien. Neben der Energiefrage und der Migration betreffe dies insbesondere auch die
Beziehungen zur islamischen Welt. "Die Karikaturenkrise hat den Schleier weggezogen von tief liegendem Unbehagen
auf beiden Seiten und viele Verunsicherungen offen gelegt. Damit müssen und werden wir uns mit der notwendigen
Aufgeschlossenheit und Dringlichkeit - allerdings auch auf einer festen und unverrückbaren europäischen
Wertebasis - befassen. Eines ist dabei gewiss: Schweigen ist kein Lösungsbeitrag", so Plassnik. Österreich
habe gerade hier seine guten Beziehungen zur islamischen Welt einbringen können. Es sei ein positiver und
mutiger Impuls gewesen, dass der österreichische Vorsitz diese Frage zum Thema des informellen Gedankenaustausches
der Staats- und Regierungschefs des Juni-Gipfels gemacht habe.
"Man darf als Vorsitz auch keine Scheu haben, eine neue Sprache in die europäische Debatte einzubringen.
Das "europäische Lebensmodell" ist unser Versuch, einen Positivbeitrag in die europäische Debatte
einzubringen, zu den Vorstellungen und Erwartungen, die wir mit dem gemeinsamen europäischen Haus verbinden.
Letztlich ist es nicht die Geographie, sondern sind es diese Vorstellungen und Werte, die Europa ausmachen. Sie
bilden den Kitt, der uns 25 zusammenhält", so Plassnik, die weiter ausführte: "Diesen kostbaren
Kern unseres Miteinander müssen wir gleichsam aus der "Schatzkammer der akademischen Wertedebatte"
herunterholen, in die Straßen und Gassen des Alltags. Denn dort werden diese Werte gebraucht und gelebt.
Natürlich müssen wir uns die Frage nach diesem Kitt immer von neuem stellen. Sie lässt sich auch
nicht abschließend klären und es gibt keine einfachen Antworten aus der Schablone. Denn: die EU ist
ein lebendiges Unterfangen und nicht ein erstarrtes Bürokratengespinst".
In diesem Zusammenhang zeigte sich die Außenministerin erfreut über die rezenten Umfragewerte, die zeigen,
dass sich die Stimmung in Österreich zur EU erheblich verbessert hat. "Die Mehrheit der Bürger Europas
steht wieder klar hinter der EU. Der erfolgreiche EU-Vorsitz und die damit einhergehende verstärkte Information
über Europa, scheinen zu einer Trendumkehr beigetragen zu haben. Es gibt freilich keinen Grund zur Euphorie
oder Selbstgefälligkeit. Dies zeigt aber, dass wir die Schwierigkeiten auf dem europäischen Weg gemeinsam
mit Geduld, Offenheit und Teamarbeit überwinden können", so Plassnik.
Ortstafeln
Abschließend ging die Außenminister noch auf die gestern vom Ministerrat angenommene Topographieverordnung
ein. "Als Außenministerin und Kärntnerin gratuliere ich meinen Landsleuten. Sie haben den aufwendigen
Weg der Konsenssuche mit großer Beharrlichkeit verfolgt. Diese Lösung ist Ausdruck des Willens zum Miteinander
und ein deutliches Zeichen, dass die Vielfalt einen Platz in Europa hat und als Recht empfunden, gewährt und
verteidigt wird", so Plassnik. |