SCIENCE berichtet über den Österreicher Simron Singh, Sozialwissenschafter & Helfer
für die Nikobaren nach dem Tsunami
Wien (fwf) - Simron Singh, österreichischer Human-Ökologe und Anthropologe, wird in der
aktuellen Ausgabe von SCIENCE porträtiert. Im Mittelpunkt steht dabei seine Arbeit auf den Nikobaren - vor
und nach dem verheerenden Tsunami, der im Dezember 2004 Südasien verwüstete. Nach der Katastrophe wurde
Singh von den Stammesältesten um Hilfe beim Wiederaufbau ihrer Gesellschaft gebeten. Singh half auf vielerlei
Art und wurde dabei auch vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützt. Die Geschichte seiner Arbeit ist auch die
einer persönlichen Wandlung: vom objektiven Beobachter, über einen betroffenen Helfer zum aktiven Gestalter.
SCIENCE berichtet wie er und seine KollegInnen über diese unvermeidliche Wandlung fühlen und denken.
Heisenbergs Unschärferelation besagt, dass die Beobachtung eines Systems eben dieses System unvermeidlich
beeinflusst. Allein das ist schlimm genug für die wissenschaftliche Objektivität. Aber was passiert,
wenn das beobachtete System gar den Beobachter beeinflusst. Eine Frage, die sich für viele SozialwissenschafterInnen
stellt. Kann - und soll - ein/e SozialwissenschafterIn im Angesicht menschlicher Tragödien wissenschaftliche
Distanz bewahren? Simron Jit Singh, Wissenschafter am Institut für Soziale Ökologie in Wien, sprach mit
Richard Stone für die aktuelle Ausgabe von SCIENCE darüber, was es für ihn bedeutete als die Gesellschaft,
die er studierte, von der Zerstörung bedroht war.
Der Artikel schildert, wie Singh bereits seit 1999 die entlegene Kultur der Nikobaren im Indischen Ozean studierte.
Eine besondere Faszination übte dabei deren kultureller Reichtum auf ihn aus, der aufgrund des geringen Kontakts
mit anderen Kulturen erhalten geblieben war. Seine Forschung kam jedoch zu einem abrupten Ende als Singh einen
Funkspruch von Rasheed Yusuf, einem befreundeten Nikobaren, erhielt: "Zentrale Nikobaren komplett überschwemmt
... bitten um sofortige Hilfe" - der gewaltige Tsunami des Dezembers 2004 war gerade über die Nikobaren
hereingebrochen.
Ein entscheidendes Dilemma
In SCIENCE schildert Singh was sich als nächstes ereignet hat: "Ich konnte einfach nicht anders",
sagt er heute über die Entscheidung, die er damals treffen musste. Was sich heute wie eine Sekundenentscheidung
liest war aber tatsächlich das Ende eines langen Dilemmas, das nun durch die Ereignisse überholt wurde.
Das feinfühlige Portrait, das Stone von Singh zeichnet, gibt diese Zerrissenheit wider. Zahlreiche ForscherkollegInnen
Singhs, mit denen Stone gesprochen hat, bestätigen, dass Singh bereits lange Zeit mit einem Dilemma gerungen
hatte: Sollte er nützliche Errungenschaften der modernen Zivilisation in die Kultur der Nikobaren einführen,
um so das Überleben ihres kulturellen Erbes zu sichern, oder ihre Kultur zwar gänzlich unberührt,
jedoch damit auch dem sicheren Untergang überlassen?
Wolfgang Lutz, ein Kollege von Singh, Demografiker am International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA)
in Wien und Chef des Weltbevölkerungs-Programms, erinnert sich in SCIENCE an Singhs Zwickmühle: "Aufgrund
der Erfahrungen mit vielen anderen Bevölkerungsgruppen war es eindeutig, dass sogar die wohlwollendsten Eingriffe,
wie etwa Maßnahmen zur Senkung der Kindersterblichkeitsrate, die Lebensbedingungen und somit die Kultur verändern.
Persönlich hätte ich es vorgezogen unsere Rolle als Wissenschafter lediglich auf die der Beobachter zu
reduzieren." Der Tsunami jedoch, fügt Lutz hinzu, "machte derartige Überlegungen obsolet".
Individuelle & internationale Hilfe
Als Singh im Januar 2005 auf den Nikobaren eintraf, bot sich ihm ein Bild äußerster Zerstörung.
Die Kultur unberührt zu belassen war nun keine Option mehr. In einer gemeinsamen Hilfsaktion beriet und unterstützte
Singh die Inselbewohner so gut er konnte vor Ort, während seine Forschungsleiterin zu Hause in Wien, Prof.
Marina Fischer-Kowalski, Direktorin des Instituts für Soziale Ökologie, Hilfe auf institutioneller Ebene
generierte. Die Universität Klagenfurt, die ihr Institut beaufsichtigt, bildete die Spitze einer Spendenaktion
für den Wiederaufbau. Gemeinsam mit der Caritas Österreich und Universal Music Austria, die den Erlös
vom Verkauf einer CD spendete, richtete die Universität Klagenfurt den Sustainable Indigenous Futures (SIF)
Fonds ein, um Bemühungen in Richtung Hilfe zur Selbsthilfe zu fördern. Zusätzlich unterstützte
der Österreichische Wissenschaftsfonds FWF die wissenschaftlichen Erhebungen zur nachhaltigen Entwicklung
auf den Nikobaren.
Stone beschreibt im Weiteren wie Singh die schwierige Balance zwischen Hilfestellung, Ratschlagserteilung und Anregungen
für künftige Selbsthilfe hielt. Vor dem Tsunami etwa, war die nikobarische Volkswirtschaft fast vollständig
von Kokosnüssen abhängig. Jetzt haben die Einheimischen gelernt ihr Auslangen durch Fischen, sowie durch
den Anbau von Früchten und Gemüse zu sichern. In SCIENCE kommentiert Brian Durrans, stellvertretender
Leiter der Asien-Abteilung des Britischen Museums Singhs Vorgehen: "Das Besondere an Simrons Einsatz ist,
dass er die Nikobaresen ermutigt ihr eigener Herr zu werden, ohne sie zu bevormunden oder zu isolieren. Eine inspirierende
Lösung im Angesicht der Katastrophensituation".
Dennoch sind es nicht seine KollegInnen, die Singh inspirieren will, sondern in erster Linie die Bewohner der Nikobaren.
Dafür wählt er oft recht pragmatische Methoden. So publizierte er unlängst gemeinsam mit dem österreichischen
Wissenschaftsjournalisten Oliver Lehmann ein reich bebildertes Buch über die Kultur der Nikobaren. 500 Kopien
davon brachte er zurück zu den Inseln. Dazu Simron Singh, der Einkünfte aus dem Verkauf des Buches an
den SIF spendete: "Ich hoffe, dass die Bilder ihrer eigenen Kultur die Nikobaresen emotional berühren
und ihnen jene Kraft gibt, die sie gerade jetzt für die Sicherung ihrer Zukunft dringend benötigen".
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