Rede von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel
Salzburg (bpd) - Das ist heuer ein ganz besonderes Jahr für Salzburg, für die Kunst. Wir
feiern den 250. Geburtstag von Wolfgang Amadeus Mozart, und Salzburg würdigt mit einem unglaublichen Programm
den großen Sohn dieser Stadt. Die höchste künstlerische Perfektion findet hier noch eine Steigerung
durch die Aura des Ortes, für deren Erhaltung, das darf man auch einmal sagen, den Bürgern Salzburgs
gar nicht genügend dankt werden kann. Dazu gehört nicht nur die barocke Fassade, sondern auch jene Lebensart,
in der das Musik hören und das Musizieren eine alltägliche Übung sind, und es gehört auch die
Gastfreundschaft dazu, die etwas ganz Besonderes ist. Wir erleben bei den diesjährigen Festspielen nicht nur
eine Mozartpflege in wahrlich enzyklopädischer Breite, sondern auch bedeutende Ur- und Erstaufführungen
zeitgenössischer Komponisten.
Ich schließe mich dem Dank an das Team an, an dessen Spitze Helga Rabl-Stadler steht. Mein Dank gilt aber
vor allen den beiden künstlerischen Gurus, wenn man so sagen darf, den Leitsternen Peter Ruzicka und Martin
Kusej. Als Peter Ruzicka im Jahr 2002 angekündigte, sämtliche Mozartopern, entweder in Eigenproduktion
oder in wirklich herausragenden Fremdproduktionen nach Salzburg zu bringen und so eine einmalige Zusammenschau,
eine Synopsis, zu ermöglichen, haben viele Kritiker gelacht, gelächelt, geschmunzelt. Es wurde gemunkelt,
er wird das nicht zusammenbringen, und wenn, dann ist es eigentlich zu kritisieren. Und eigentlich freuen wir uns
alle darauf, dass es möglich ist, in diesem Sommer so etwas zu hören.
Im Nachhinein betrachtet geht eine Ära zu Ende, jedenfalls für die beiden künstlerischen Leiter.
Aber es wird eine wirklich bedeutende künstlerische Epoche sein, die mit dem Namen Peter Ruzicka und Martin
Kusej verbunden sein wird. Daher ein großes Dankschön auch von mir.
Österreich hat im Jänner für den Genius der Stadt zu einem Geburttagsfest der besonderen Art nach
Salzburg einladen dürfen. Gleichsam als Auftakt des Österreichischen Ratsvorsitzes kam es hier zu einer
Erörterung europäischer Zukunftsfragen. Wir wollten bewusst auch Kunst und Kultur in die Europäische
Diskussion hereinholen. Und "The Sound of Europe", so der Titel dieser internationalen Konferenz, dieser
Klang Europas umgibt uns ja alle. Er baut sich auf als ein gemeinsames Nachdenken, Fragen und Urteilen. Er ist
gegenwärtig, wenn wir zu definieren versuchen, was Europa eigentlich ist, wenn wir Frieden, Wohlstand und
Prosperität würdigen und zugleich auch Sorgen äußern.
Im Klang Europas vereinigen sich die Stimmen der europäischen Geschichte und Kultur seit der Antike, seit
dem Christentum. Er ist zugleich Preisgesang, Klageschrei, Brüderchor und auch jähe Dissonanz.
Die Frau Landeshauptfrau hat schon auf das "Reiben der Bilder" jetzt gerade im Nahen Osten, im Libanon,
in Afrika und anderen Orten hingewiesen.
Der große französische Querdenker Andre Glucksmann hat in einer Abhandlung, inspiriert vom internationalen
Terror, die Rückkehr des Hasses als elementare Gewalt festgestellt. Ich zitiere: "Grenzenloser Hass geht
um in der Welt; mal glühend und schonungslos, mal schleichend und kalt. Hartnäckig und verbohrt richtet
er Zerstörungen an. Der traditionelle Krieg hat ein Ende; der Krieg des Terrors kennt in seiner maßlosen
Wut kein Ende". Der Hass, argumentiert Glucksmann, lauert überall wie die Pest des Thukydites als eine
im Wesentlichen geistige Strömung, die sich der Körper und Köpfe von Gemeinschaften bemächtigt.
Die Minicocktails des Entsetzens, die der neue Terror zündet, seien vielleicht erst der Anfang, warnt der
Philosoph.
Das Gegenmodel dazu, und ich sage das bewusst, weil das auch Teil unseres eigenen Verständnisses sein soll,
bietet der Kultursoziologe Gerhard Schulze. Er plädiert dafür, dass unsere moderne Gesellschaft nicht
nur mit gedanklicher Klarheit gestaltet werden soll, sondern auch mit Gefühl. Und er nimmt auf einen Begriff
Bezug, den wir gerade in den letzten sechs Monaten versucht haben, mit in die europäische Diskussion einzubringen.
Das ist die Frage des europäischen Lebensstils. Die Menschen in Europa, schreibt Schulze, müssen wissen,
was sie wollen. Sie müssen den Wert ihres Lebensstils erkennen. Und, so Schulze, die Frage ist nicht so sehr,
wer sind wir, sondern wer wollen wir sein?
Dass es für Künstler in einem solchen gesellschaftlichen Kontext nicht einfach ist, hat niemand stärker
erkannt und schlechter erfahren als Mozart. Jede Generation ist ja von den Turbulenzen ihrer Epoche durchgerüttelt.
Manche vergessen, dass Mozart auf der Höhe seines kurzen Lebens die französische Revolution erlebt hat.
Und wenn man Alexander Kluge im Ohr hat, der vor rund 30 Jahren in seinem Buch über "Die Artisten in
der Zirkuskuppel" geschrieben hat: "Angesichts der schwierigen Weltlage hilft nur eines: den Schwierigkeitsgrad
der Kunst zu erhöhen". Das ist ein interessanter Punkt: den Schwierigkeitsgrad der Kunst zu erhöhen.
Wir haben vor vier Monaten die europäischen Außenminister hierher nach Salzburg eingeladen, und wir
haben hier gemeinsam die Balkanperspektive diskutiert. Genau an diesem Tag, ob Zufall oder nicht, ist Slobodan
Milosevic gestorben. An diesem Tag sind hier in Salzburg alle europäischen Außenminister und alle Außenminister
des Balkans zusammen gesessen und haben die Beitrittsperspektive des Balkans bekräftigt. Das war und ist ein
Gegenmodell gegen den Hass und die Spaltung. Und wir müssen dieser "culture of fear", diesen Begriff
verdanke ich Paul Zulehner, dieser Angst als eine der Hauptquellen der Solidarisierung andere Kräfte, Wirkkräfte
und Bindungen, entgegensetzen.
Jacques Lacan spricht ja von diesem Spannungsfeld, in dem sich der Mensch bewegt. Das eine ist die Sehnsucht, die
maßlos ist und Raum und Zeit sprengt. Das andere ist die Erkenntnis, das das nicht geht, denn jeder Mensch
ist endlich. Wir erfüllen diesen Anspruch nicht. Der Wunsch ist maßlos, die Wirklichkeit ist mäßig.
Und gerade die Sehnsucht jedes einzelnen, einzigartig und nicht austauschbar zu sein, das wird in der Kunst oft
überwunden. Wir erleben gerade in der Kunst einige dieser Glücksmomente, wo der Alltag überwunden
wird, wo diese Sehnsucht plötzlich spürbar ist. Das kommt nicht all zu oft vor. Ernest Hemingway schreibt
in "Wem die Stunde schlägt": „Dreimal im Leben wackelt die Erde“. Möge sie in diesem Sommer
einige Male wackeln! |