Emerging Markets im Wandel?  

erstellt am
20. 07. 06

Wien (rzb) - Im Umfeld steigender Zinsen in den USA und Europa kommt es derzeit auch an den Emerging Markets zu einem Rückgang der Liquidität. Dies hat sich zuletzt in fallenden Aktienkursen, steigenden Leitzinsen und schwächeren Währungen manifestiert. Im Jahr 2005 flossen etwa USD 20 Mrd. netto in Emerging Market Fonds. „Von Januar bis April 2006 waren es mit USD 31 Mrd. schon mehr als im gesamten Vorjahr“, erklärt dazu Peter Brezinschek, Chefanalyst der Raiffeisen Zentralbank Österreich AG (RZB). „Doch in den vergangenen Wochen kam es zu einer Umkehr der Geldströme und mehr als USD 16 Mrd. wurden wieder abgezogen. Dies verdeutlicht den Stimmungsumschwung, der nicht auf einer markanten Verschlechterung der ökonomischen Rahmenbedingungen beruht, sondern vielmehr auf globalen Zinsanhebungszyklen und Inflationsängsten basiert.“

Wirtschaftliches Umfeld in CEE intakt
Die Wirtschaftszahlen zeigen nämlich weiterhin ein robustes Wachstum, nicht nur für den osteuropäischen Raum, sondern auch für Asien. So verdienten chinesische Industrieunternehmen in den ersten fünf Monaten um 25,5 Prozent mehr als im Jahr zuvor, während das tschechische BIP im ersten Quartal um über 7 Prozent stieg und die russische Industrie mit stattlichen 10,5 Prozent gewachsen ist. Zudem sollte eine prognostizierte Abkühlung der Konjunktur in den USA in der Folge eher den asiatischen Raum als Osteuropa treffen, da Asien exponierter gegenüber den USA ist als Osteuropa. Während beispielsweise Ungarn oder Polen einen Außenhandelsanteil mit der übrigen EU von etwa 70 Prozent aufweisen, hat China mit lediglich 18 Prozent einen weitaus geringeren Außenhandelsanteil. Umgekehrt beträgt der Handel Chinas mit den USA etwa 21 Prozent, wohingegen die meisten osteuropäischen Länder nur auf einen Außenhandelsanteil mit den USA von unter 5 Prozent kommen.

„Wir prognostizieren für die Länder Zentraleuropas ein Wirtschaftswachstum von durchschnittlich fünf Prozent für 2006 und wir sehen eine leichte Abkühlung in 2007 auf 4,7 Prozent“, so Brezinschek. Spitzenreiter sind Tschechien und die Slowakei mit jeweils rund sechs Prozent. In Südosteuropa dürfte unserer Einschätzung nach das Wachstum mit 5,3 Prozent für 2006 und 5,2 Prozent für 2007 im Vergleich leicht höher ausfallen. Während dieser Durchschnittswert stark durch das robuste Wirtschaftswachstum in Rumänien beeinflusst ist (5,5 Prozent in 2006), zeigt Kroatien mit einem BIP-Wachstum von 4,5 Prozent in 2006 und 4,0 Prozent in 2007 das schwächste Wachstum der Region SEE auf. Die Ukraine wird sich, nach einem enormen Wachstumsrückgang 2006 auf 2,5 Prozent wieder erholen. Für 2007 ist hier mit einer Zunahme des Wachstums auf 5,0 Prozent zu rechnen. Russland dürfte kontinuierlich stark mit Werten von 6,3 Prozent in 2006 und 5,7 Prozent in 2007 wachsen. Im Gegensatz dazu wird die Türkei heuer einen Wachstumsknick auf 2,5 Prozent hinnehmen müssen.

Der Abbau von Dollar-, Euro- und nunmehr auch Yen-Liquidität zieht eine Neuaufteilung der Vermögenswerte nach sich und signalisiert eine Trendwende im Risikoverhalten. Sollte sich dieser Trend als dauerhaft erweisen, ist der Weg für Kurserholungen wieder vorgezeichnet. Kürzere Schwächephasen sind zwar weiterhin nicht auszuschließen; im Verlauf des dritten Quartals ergeben sich in Osteuropa für längerfristig orientierte Aktienanleger aber Einstiegschancen. Bei Anleihen rät Brezinschek auch wegen steigender Zinsen und erhöhter Währungsschwankungen zu mehr Vorsicht. „Noch im dritten Quartal sehen wir in Tschechien, der Slowakei und vor allem in Ungarn Zinsanhebungen – in Polen erst Anfang 2007.“

Auf der Währungsseite bleiben der ungarische Forint (ausuferndes Doppeldefizit) und die türkische Lira am stärksten gefährdet. Der Forint dürfte sich jedoch bei 280 und 290 zum Euro stabilisieren und zum Jahresende wieder etwas Boden gutmachen. Daher empfehlen wir aktuell einzig polnische Staatsanleihen mit einer Rendite von 5 3/4 Prozent. Im Eurobond-Segment könnten auch Bulgarien und Rumänien trotz besserer Fundamentaldaten aufgrund höherer Volatilität Renditeanstiege erfahren. Für die Türkei sind wir weiterhin negativ eingestellt. Zum einen aufgrund der Besorgnis über den Inflationsausblick, aber auch aufgrund des ausufernden Leistungsbilanzdefizits sowie der politischen Unsicherheiten. Die Zentralbank reagierte unlängst mit Leitzinserhöhungen von 500 Basispunkten und intervenierte am Devisenmarkt. Trotz der Turbulenzen liegt der Renditeunterschied zwischen türkischen und europäischen Staatsanleihen im Euro im Vergleich zu den Krisen von 2002 und 2003 „nur“ bei 259 Basispunkten, während damals Spreads von 1.200 bzw. 1.100 Basispunkten zu verzeichnen waren.

Aktienmärkte: Anfangs trüb, später Aufhellungstendenz
Die Angst vor steigenden Zinsen – vor dem Hintergrund des bereits hohen Zinsniveaus in den USA – führte auch in riskanteren Assetklassen wie etwa CEE-Aktien ab Mitte Mai zu einem Liquiditätsabzug und heftigen Kursrückgängen. Für das zweite Halbjahr geht Brezinschek insgesamt von einer Erholung aus. Neuerliche kurze Rückschläge aufgrund wieder aufkeimender Zinsängste und einer Eintrübung der Gewinnaussichten internationaler Unternehmen sind zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht auszuschließen.

In Polen wirkt die aufgrund ihrer „bunten“ Zusammensetzung nicht gerade als stabil zu bezeichnende Koalitionsregierung als Hemmschuh. Nichtsdestotrotz zeichnen die Fundamentaldaten ein rosiges Bild: So ist das Wirtschaftswachstum sehr stark und dürfte auch 2007 weiter zunehmen. Des Weiteren befindet sich die Bewertung (KGV auf Basis der Gewinnschätzungen 2006) mit 13,2 trotz der bereits stattgefundenen Erholung noch immer auf einem moderaten Niveau. Hinzu kommt, dass die Gewinnschätzungen für 2007 von nur 4,2 Prozent deutlich zu niedrig angesetzt sein dürften. Positive Überraschungen aus dem Unternehmenssektor sollten sich daher unterstützend auswirken.

Auch in Ungarn hat sich die Situation im zweiten Quartal merklich eingetrübt. Denn die im Amt bestätigte Koalitionsregierung will dem Budgetdefizit mit Steuererhöhungen anstelle von Strukturreformen begegnen. Dies belastet nicht nur die Unternehmen, sondern senkt auch das Realeinkommen der Bevölkerung und bremst naturgemäß das Wirtschaftswachstum. In diesem Zusammenhang erwartet Brezinschek einen markanten Anstieg der Inflation, was wiederum Zinsanhebungen zur Folge hat. Andererseits relativiert sich dieses Szenario aufgrund einer für 2006 wieder günstigeren Bewertung von 11,8 (KGV 2006e). Im Verlauf des zweiten Halbjahres sollte sich der ungarische Aktienindex BUX weiterhin erholen.

Der tschechische Aktienmarkt hat im weiteren Jahresverlauf Potenzial. Neben sehr beeindruckenden Makrodaten überzeugen vor allem die Gewinnaussichten der Unternehmen. Für 2007 ist ein Gewinnwachstum von rund 28 Prozent zu erwarten. Daraus ergibt sich nach der jüngsten Korrektur ein erwartetes Kurs/Gewinn-Verhältnis für 2007 von 12,8.

Am rumänischen Aktienmarkt fiel die Korrektur infolge von Zinsängsten weniger stark aus als in den benachbarten CEE-Staaten. Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass der rumänische Aktienmarkt noch immer stark von inländischen Investoren getrieben wird. Zudem hat der rumänische Aktienmarkt bereits im Februar dieses Jahres eine Korrektur erlebt. Auch der von der Raiffeisen Centrobank begleitete und sehr erfolgreiche IPO der Transelectrica hat den Markt stimuliert. Aufgrund des für 2006 erwarteten Gewinnwachstums von 35 Prozent sowie des dynamischen Wirtschaftswachstums von 5,3 Prozent in der Region rechnet Brezinschek mit einem erfreulichen zweiten Halbjahr.

Der russische Aktienmarkt wurde von den Zinsängsten besonders hart getroffen, zeigte in der Folge aber auch die stärkste Gegenbewegung. Die hohe Rubel-Liquidität und ein höheres Gewicht Russlands im Emerging Markets Index MSCI EMF führten zu starken Zuflüssen. Überdies rückt ein Ölpreis mit neuen Höchstständen das fundamentale Bild wieder in den Vordergrund. Ein erfolgreicher Rosneft-IPO bzw. ein 2006 insgesamt um rund USD 30 Mrd. steigendes IPO-Volumen stellen ebenfalls einen positiven Impuls für den russischen Aktienmarkt dar. Die Bewertung (KGV 2006e: 10,3) erachtet Brezinschek als moderat und das für 2007 derzeit vom Markt erwartete Gewinnwachstum (0,44 Prozent) wird in Anbetracht des sich abzeichnenden Umfeldes – wie schon so oft in den Jahren zuvor – nach oben korrigiert werden müssen.

Branchenüberblick und Top Empfehlungen

Energieversorger
„Die derzeitige politische Instabilität in Nahost und die bevorstehende Hurrikansaison werden die Öl- und Gasindustrie positiv beeinflussen“, ist Mag. Stefan Maxian, Head of CEE Company Research der Raiffeisen Centrobank AG, überzeugt. Darüber hinaus sollte das anhaltende Wirtschaftswachstum, in Kombination mit einer niedrigen OPEC-Reservekapazität und Engpässen im Raffineriebereich, den Ölpreis weiterhin hoch halten. Da auch die Raffineriemargen im 2. Quartal deutlich über denen des 1. Quartals lagen, geht Maxian von einer erfreulichen Berichtssaison für die Branche aus, auch wenn die Raffineriemargen zukünftig volatil bleiben werden. Die Aktie der OMV, die sich nach dem gescheiterten Übernahmeversuch des Verbund schlechter als die Vergleichsunternehmen entwickelt hat, wird zum Kauf ebenso empfohlen, wie aus bewertungstechnischer Sicht die polnische PKN und in Russland LUKoil.

Unter den Versorgerunternehmen erscheint die tschechische CEZ im derzeitigen Umfeld hoher Energiepreise aufgrund relativ geringer Stromerzeugungskosten und der Strompreiskonvergenz in Tschechien, Bulgarien und Rumänien weiterhin interessant. In Russland hingegen dominieren Unsicherheiten in Bezug auf die angekündigte Teilprivatisierung des staatlichen Monopolisten UES.

Telekom
In der Telekombranche hat sich in den CEE Ländern der Trend etabliert, Mobilfunk- in Festnetzgesellschaften einzugliedern. Die relativ geringe Schuldenlast der Ex-Monopolisten in Polen, Ungarn und Tschechien bietet die Möglichkeit einer hohen Dividendenausschüttung und lässt Telekomwerte als defensive Titel derzeit wieder in den Vordergrund treten. Ein Risiko stellt jedoch die beabsichtigte Neuregulierung der Roaminggebühren auf europäischer Ebene dar. Vor allem die tschechische Telefonica O2 CR (ehem. Cesky Telecom) könnte aufgrund eines höheren Roaminganteils (ca. 10 Prozent der Mobilfunkumsätze) stärker als andere Ex-Monopolisten betroffen sein. Innerhalb der EU Länder in CEE empfiehlt Maxian die polnische Telekom Polska und die Magyar Telecom aufgrund ihrer relativ günstigen Bewertung und einer Dividendenrenditen von über 7 Prozent. Das Potenzial der ungarischen Gesellschaft ist allerdings durch die oben genannten Makrorisiken begrenzt. In Russland steht die MTS auf der Empfehlungsliste. Man erwartet sich vom neuen Management des nach Kundenanzahl größten Mobilfunkanbieters in der GUS Region, dass es durch ARPU Erhöhung und Kostensenkungsmaßnahmen die Profitabilität wird steigern können.

Banken
Das erste Quartal des Bankensektors war von starker Nachfrage bei Privatkrediten, einer hohen Dynamik bei Vorsorgeprodukten, einem tendenziell sehr guten Handelsergebnis, aber auch von schwächeren Zinsmargen geprägt. Die gute Wirtschaftsentwicklung wirkt sich positiv auf Risikokosten aus. Andererseits bestehen unübersehbare Tendenzen seitens lokaler Regulierungsbehörden, das Kreditwachstum – insbesondere Privatfremdwährungskredite – einzubremsen und den Bankensektor verstärkt zur Budgetkonsolidierung heranzuziehen. Für Maxian ist die ungarische OTP weiterhin die günstigste Aktie im Universum. Das Potenzial ist allerdings durch Integrationsrisken bei Akquisitionen und die oben genannten Makrorisiken begrenzt. Auch die tschechische Komercni Banka und die Erste Bank erscheinen nach der Korrektur der letzen Wochen wieder attraktiv.

Pharma
Übernahmeangebote und weitere Spekulationen über Unternehmenskäufe prägten in den letzten Monaten die Entwicklung osteuropäischer Pharmaaktien. Die Übernahmeschlacht um den kroatischen Pharmakonzern Pliva beflügelte den gesamten Sektor. Jedoch mussten anschließend die eher defensiven Pharmatitel deutlichere Abschläge hinnehmen. Trotz eines Konsolidierungsprozesses der Generikaindustrie erwartet Maxian keine weiteren Übernahmen in Osteuropa, da die Eigentümerstrukturen zu eindeutig sind und somit Übernahmen behindern. So hält der ungarische Staat 25 Prozent der Anteile in Form einer Wandelanleihe an Gedeon Richter. Egis ist zu 51 Prozent im Besitz des französischen Pharmakonzerns Servier und bei Zentiva ist kürzlich Sanofi Aventis mit dem Erwerb eines 25-Prozent-Anteils eingestiegen. Beim slowenische Pharmaunternehmen Krka wiederum halten über 90 Prozent der Aktien slowenische Investoren, weshalb Maxian derzeit eine Übernahme für unwahrscheinlich hält.

„Da aus bewertungstechnischer Sicht derzeit in anderen Branchen ein höheres Kurspotenzial zu erwarten ist, empfehlen wir keine Pharmatitel zum Kauf“, so Maxian, der aber überzeugt ist, dass längerfristig die Vielzahl von Patentabläufen und das Ansteigen der Gesundheitsausgaben je Einwohner den gesamten Sektor positiv beeinflussen werden.
     
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