Wien (rzb) - Im Umfeld steigender Zinsen in den USA und Europa kommt es
derzeit auch an den Emerging Markets zu einem Rückgang der Liquidität. Dies hat sich zuletzt in fallenden
Aktienkursen, steigenden Leitzinsen und schwächeren Währungen manifestiert. Im Jahr 2005 flossen etwa
USD 20 Mrd. netto in Emerging Market Fonds. „Von Januar bis April 2006 waren es mit USD 31 Mrd. schon mehr als
im gesamten Vorjahr“, erklärt dazu Peter Brezinschek, Chefanalyst der Raiffeisen Zentralbank Österreich
AG (RZB). „Doch in den vergangenen Wochen kam es zu einer Umkehr der Geldströme und mehr als USD 16 Mrd. wurden
wieder abgezogen. Dies verdeutlicht den Stimmungsumschwung, der nicht auf einer markanten Verschlechterung der
ökonomischen Rahmenbedingungen beruht, sondern vielmehr auf globalen Zinsanhebungszyklen und Inflationsängsten
basiert.“
Wirtschaftliches Umfeld in CEE intakt
Die Wirtschaftszahlen zeigen nämlich weiterhin ein robustes Wachstum, nicht nur für den osteuropäischen
Raum, sondern auch für Asien. So verdienten chinesische Industrieunternehmen in den ersten fünf Monaten
um 25,5 Prozent mehr als im Jahr zuvor, während das tschechische BIP im ersten Quartal um über 7 Prozent
stieg und die russische Industrie mit stattlichen 10,5 Prozent gewachsen ist. Zudem sollte eine prognostizierte
Abkühlung der Konjunktur in den USA in der Folge eher den asiatischen Raum als Osteuropa treffen, da Asien
exponierter gegenüber den USA ist als Osteuropa. Während beispielsweise Ungarn oder Polen einen Außenhandelsanteil
mit der übrigen EU von etwa 70 Prozent aufweisen, hat China mit lediglich 18 Prozent einen weitaus geringeren
Außenhandelsanteil. Umgekehrt beträgt der Handel Chinas mit den USA etwa 21 Prozent, wohingegen die
meisten osteuropäischen Länder nur auf einen Außenhandelsanteil mit den USA von unter 5 Prozent
kommen.
„Wir prognostizieren für die Länder Zentraleuropas ein Wirtschaftswachstum von durchschnittlich fünf
Prozent für 2006 und wir sehen eine leichte Abkühlung in 2007 auf 4,7 Prozent“, so Brezinschek. Spitzenreiter
sind Tschechien und die Slowakei mit jeweils rund sechs Prozent. In Südosteuropa dürfte unserer Einschätzung
nach das Wachstum mit 5,3 Prozent für 2006 und 5,2 Prozent für 2007 im Vergleich leicht höher ausfallen.
Während dieser Durchschnittswert stark durch das robuste Wirtschaftswachstum in Rumänien beeinflusst
ist (5,5 Prozent in 2006), zeigt Kroatien mit einem BIP-Wachstum von 4,5 Prozent in 2006 und 4,0 Prozent in 2007
das schwächste Wachstum der Region SEE auf. Die Ukraine wird sich, nach einem enormen Wachstumsrückgang
2006 auf 2,5 Prozent wieder erholen. Für 2007 ist hier mit einer Zunahme des Wachstums auf 5,0 Prozent zu
rechnen. Russland dürfte kontinuierlich stark mit Werten von 6,3 Prozent in 2006 und 5,7 Prozent in 2007 wachsen.
Im Gegensatz dazu wird die Türkei heuer einen Wachstumsknick auf 2,5 Prozent hinnehmen müssen.
Der Abbau von Dollar-, Euro- und nunmehr auch Yen-Liquidität zieht eine Neuaufteilung der Vermögenswerte
nach sich und signalisiert eine Trendwende im Risikoverhalten. Sollte sich dieser Trend als dauerhaft erweisen,
ist der Weg für Kurserholungen wieder vorgezeichnet. Kürzere Schwächephasen sind zwar weiterhin
nicht auszuschließen; im Verlauf des dritten Quartals ergeben sich in Osteuropa für längerfristig
orientierte Aktienanleger aber Einstiegschancen. Bei Anleihen rät Brezinschek auch wegen steigender Zinsen
und erhöhter Währungsschwankungen zu mehr Vorsicht. „Noch im dritten Quartal sehen wir in Tschechien,
der Slowakei und vor allem in Ungarn Zinsanhebungen – in Polen erst Anfang 2007.“
Auf der Währungsseite bleiben der ungarische Forint (ausuferndes Doppeldefizit) und die türkische Lira
am stärksten gefährdet. Der Forint dürfte sich jedoch bei 280 und 290 zum Euro stabilisieren und
zum Jahresende wieder etwas Boden gutmachen. Daher empfehlen wir aktuell einzig polnische Staatsanleihen mit einer
Rendite von 5 3/4 Prozent. Im Eurobond-Segment könnten auch Bulgarien und Rumänien trotz besserer Fundamentaldaten
aufgrund höherer Volatilität Renditeanstiege erfahren. Für die Türkei sind wir weiterhin negativ
eingestellt. Zum einen aufgrund der Besorgnis über den Inflationsausblick, aber auch aufgrund des ausufernden
Leistungsbilanzdefizits sowie der politischen Unsicherheiten. Die Zentralbank reagierte unlängst mit Leitzinserhöhungen
von 500 Basispunkten und intervenierte am Devisenmarkt. Trotz der Turbulenzen liegt der Renditeunterschied zwischen
türkischen und europäischen Staatsanleihen im Euro im Vergleich zu den Krisen von 2002 und 2003 „nur“
bei 259 Basispunkten, während damals Spreads von 1.200 bzw. 1.100 Basispunkten zu verzeichnen waren.
Aktienmärkte: Anfangs trüb, später Aufhellungstendenz
Die Angst vor steigenden Zinsen – vor dem Hintergrund des bereits hohen Zinsniveaus in den USA – führte auch
in riskanteren Assetklassen wie etwa CEE-Aktien ab Mitte Mai zu einem Liquiditätsabzug und heftigen Kursrückgängen.
Für das zweite Halbjahr geht Brezinschek insgesamt von einer Erholung aus. Neuerliche kurze Rückschläge
aufgrund wieder aufkeimender Zinsängste und einer Eintrübung der Gewinnaussichten internationaler Unternehmen
sind zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht auszuschließen.
In Polen wirkt die aufgrund ihrer „bunten“ Zusammensetzung nicht gerade als stabil zu bezeichnende Koalitionsregierung
als Hemmschuh. Nichtsdestotrotz zeichnen die Fundamentaldaten ein rosiges Bild: So ist das Wirtschaftswachstum
sehr stark und dürfte auch 2007 weiter zunehmen. Des Weiteren befindet sich die Bewertung (KGV auf Basis der
Gewinnschätzungen 2006) mit 13,2 trotz der bereits stattgefundenen Erholung noch immer auf einem moderaten
Niveau. Hinzu kommt, dass die Gewinnschätzungen für 2007 von nur 4,2 Prozent deutlich zu niedrig angesetzt
sein dürften. Positive Überraschungen aus dem Unternehmenssektor sollten sich daher unterstützend
auswirken.
Auch in Ungarn hat sich die Situation im zweiten Quartal merklich eingetrübt. Denn die im Amt bestätigte
Koalitionsregierung will dem Budgetdefizit mit Steuererhöhungen anstelle von Strukturreformen begegnen. Dies
belastet nicht nur die Unternehmen, sondern senkt auch das Realeinkommen der Bevölkerung und bremst naturgemäß
das Wirtschaftswachstum. In diesem Zusammenhang erwartet Brezinschek einen markanten Anstieg der Inflation, was
wiederum Zinsanhebungen zur Folge hat. Andererseits relativiert sich dieses Szenario aufgrund einer für 2006
wieder günstigeren Bewertung von 11,8 (KGV 2006e). Im Verlauf des zweiten Halbjahres sollte sich der ungarische
Aktienindex BUX weiterhin erholen.
Der tschechische Aktienmarkt hat im weiteren Jahresverlauf Potenzial. Neben sehr beeindruckenden Makrodaten überzeugen
vor allem die Gewinnaussichten der Unternehmen. Für 2007 ist ein Gewinnwachstum von rund 28 Prozent zu erwarten.
Daraus ergibt sich nach der jüngsten Korrektur ein erwartetes Kurs/Gewinn-Verhältnis für 2007 von
12,8.
Am rumänischen Aktienmarkt fiel die Korrektur infolge von Zinsängsten weniger stark aus als in den benachbarten
CEE-Staaten. Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass der rumänische Aktienmarkt noch immer
stark von inländischen Investoren getrieben wird. Zudem hat der rumänische Aktienmarkt bereits im Februar
dieses Jahres eine Korrektur erlebt. Auch der von der Raiffeisen Centrobank begleitete und sehr erfolgreiche IPO
der Transelectrica hat den Markt stimuliert. Aufgrund des für 2006 erwarteten Gewinnwachstums von 35 Prozent
sowie des dynamischen Wirtschaftswachstums von 5,3 Prozent in der Region rechnet Brezinschek mit einem erfreulichen
zweiten Halbjahr.
Der russische Aktienmarkt wurde von den Zinsängsten besonders hart getroffen, zeigte in der Folge aber auch
die stärkste Gegenbewegung. Die hohe Rubel-Liquidität und ein höheres Gewicht Russlands im Emerging
Markets Index MSCI EMF führten zu starken Zuflüssen. Überdies rückt ein Ölpreis mit neuen
Höchstständen das fundamentale Bild wieder in den Vordergrund. Ein erfolgreicher Rosneft-IPO bzw. ein
2006 insgesamt um rund USD 30 Mrd. steigendes IPO-Volumen stellen ebenfalls einen positiven Impuls für den
russischen Aktienmarkt dar. Die Bewertung (KGV 2006e: 10,3) erachtet Brezinschek als moderat und das für 2007
derzeit vom Markt erwartete Gewinnwachstum (0,44 Prozent) wird in Anbetracht des sich abzeichnenden Umfeldes –
wie schon so oft in den Jahren zuvor – nach oben korrigiert werden müssen.
Branchenüberblick und Top Empfehlungen
Energieversorger
„Die derzeitige politische Instabilität in Nahost und die bevorstehende Hurrikansaison werden die
Öl- und Gasindustrie positiv beeinflussen“, ist Mag. Stefan Maxian, Head of CEE Company Research der Raiffeisen
Centrobank AG, überzeugt. Darüber hinaus sollte das anhaltende Wirtschaftswachstum, in Kombination mit
einer niedrigen OPEC-Reservekapazität und Engpässen im Raffineriebereich, den Ölpreis weiterhin
hoch halten. Da auch die Raffineriemargen im 2. Quartal deutlich über denen des 1. Quartals lagen, geht Maxian
von einer erfreulichen Berichtssaison für die Branche aus, auch wenn die Raffineriemargen zukünftig volatil
bleiben werden. Die Aktie der OMV, die sich nach dem gescheiterten Übernahmeversuch des Verbund schlechter
als die Vergleichsunternehmen entwickelt hat, wird zum Kauf ebenso empfohlen, wie aus bewertungstechnischer Sicht
die polnische PKN und in Russland LUKoil.
Unter den Versorgerunternehmen erscheint die tschechische CEZ im derzeitigen Umfeld hoher Energiepreise aufgrund
relativ geringer Stromerzeugungskosten und der Strompreiskonvergenz in Tschechien, Bulgarien und Rumänien
weiterhin interessant. In Russland hingegen dominieren Unsicherheiten in Bezug auf die angekündigte Teilprivatisierung
des staatlichen Monopolisten UES.
Telekom
In der Telekombranche hat sich in den CEE Ländern der Trend etabliert, Mobilfunk- in Festnetzgesellschaften
einzugliedern. Die relativ geringe Schuldenlast der Ex-Monopolisten in Polen, Ungarn und Tschechien bietet die
Möglichkeit einer hohen Dividendenausschüttung und lässt Telekomwerte als defensive Titel derzeit
wieder in den Vordergrund treten. Ein Risiko stellt jedoch die beabsichtigte Neuregulierung der Roaminggebühren
auf europäischer Ebene dar. Vor allem die tschechische Telefonica O2 CR (ehem. Cesky Telecom) könnte
aufgrund eines höheren Roaminganteils (ca. 10 Prozent der Mobilfunkumsätze) stärker als andere Ex-Monopolisten
betroffen sein. Innerhalb der EU Länder in CEE empfiehlt Maxian die polnische Telekom Polska und die Magyar
Telecom aufgrund ihrer relativ günstigen Bewertung und einer Dividendenrenditen von über 7 Prozent. Das
Potenzial der ungarischen Gesellschaft ist allerdings durch die oben genannten Makrorisiken begrenzt. In Russland
steht die MTS auf der Empfehlungsliste. Man erwartet sich vom neuen Management des nach Kundenanzahl größten
Mobilfunkanbieters in der GUS Region, dass es durch ARPU Erhöhung und Kostensenkungsmaßnahmen die Profitabilität
wird steigern können.
Banken
Das erste Quartal des Bankensektors war von starker Nachfrage bei Privatkrediten, einer hohen Dynamik bei
Vorsorgeprodukten, einem tendenziell sehr guten Handelsergebnis, aber auch von schwächeren Zinsmargen geprägt.
Die gute Wirtschaftsentwicklung wirkt sich positiv auf Risikokosten aus. Andererseits bestehen unübersehbare
Tendenzen seitens lokaler Regulierungsbehörden, das Kreditwachstum – insbesondere Privatfremdwährungskredite
– einzubremsen und den Bankensektor verstärkt zur Budgetkonsolidierung heranzuziehen. Für Maxian ist
die ungarische OTP weiterhin die günstigste Aktie im Universum. Das Potenzial ist allerdings durch Integrationsrisken
bei Akquisitionen und die oben genannten Makrorisiken begrenzt. Auch die tschechische Komercni Banka und die Erste
Bank erscheinen nach der Korrektur der letzen Wochen wieder attraktiv.
Pharma
Übernahmeangebote und weitere Spekulationen über Unternehmenskäufe prägten in den letzten
Monaten die Entwicklung osteuropäischer Pharmaaktien. Die Übernahmeschlacht um den kroatischen Pharmakonzern
Pliva beflügelte den gesamten Sektor. Jedoch mussten anschließend die eher defensiven Pharmatitel deutlichere
Abschläge hinnehmen. Trotz eines Konsolidierungsprozesses der Generikaindustrie erwartet Maxian keine weiteren
Übernahmen in Osteuropa, da die Eigentümerstrukturen zu eindeutig sind und somit Übernahmen behindern.
So hält der ungarische Staat 25 Prozent der Anteile in Form einer Wandelanleihe an Gedeon Richter. Egis ist
zu 51 Prozent im Besitz des französischen Pharmakonzerns Servier und bei Zentiva ist kürzlich Sanofi
Aventis mit dem Erwerb eines 25-Prozent-Anteils eingestiegen. Beim slowenische Pharmaunternehmen Krka wiederum
halten über 90 Prozent der Aktien slowenische Investoren, weshalb Maxian derzeit eine Übernahme für
unwahrscheinlich hält.
„Da aus bewertungstechnischer Sicht derzeit in anderen Branchen ein höheres Kurspotenzial zu erwarten ist,
empfehlen wir keine Pharmatitel zum Kauf“, so Maxian, der aber überzeugt ist, dass längerfristig die
Vielzahl von Patentabläufen und das Ansteigen der Gesundheitsausgaben je Einwohner den gesamten Sektor positiv
beeinflussen werden. |