Wien (oeaw) - Einem Team von Wissenschaftlern aus Österreich, Schottland, den USA und Japan gelang
der Nachweis, dass Elektrizität einen wesentlichen Einfluss auf die Wundheilung hat. Die Forscher hoffen,
dass ihre Erkenntnisse dazu führen werden, neuartige Methoden zur Behandlung von schlecht heilenden Wunden
zu entwickeln.
Das Team um Josef Penninger veröffentlicht seine Arbeit in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsjournals
Nature (27. Juli 2006). Die Autoren beschreiben darin Proteine und Gene, die an der durch elektrische Felder stimulierten
Wundheilung ursächlich beteiligt sind. Bei ihren Untersuchungen an Haut, Blutzellen, und Hornhaut entdeckten
die Forscher, dass sie die Einwanderung von Zellen in eine Wunde durch Anlegen von elektrischen Feldern beschleunigen
konnten. Durch Veränderung der elektrischen Spannung - in einer Stärke wie sie etwa in menschlichen Hautwunden
„natürlicherweise“ vorkommt - konnte die Geschwindigkeit der Heilung gerichtet beeinflusst werden.
Genetische Basis für altbekanntes Phänomen
Prof. Josef Penninger, Direktor des Wiener Instituts für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen
Akademie der Wissenschaften (IMBA), ist von den Ergebnissen begeistert: “Mit dieser Arbeit konnten wir erstmals
den wissenschaftlichen Beweis erbringen, dass es für die Rolle des Stroms bei der Wundheilung eine genetische
Basis gibt. Ein altes und bisher ignoriertes biologisches Prinzip wird dadurch in die moderne genetische Wissenschaft
übertragbar.“
Die Rolle des elektrischen Stroms bei der Signalübertragung in Nerven oder der Kontraktion von Muskeln ist
gut untersucht. In der Elektrophysiologie spricht man von Aktionspotenzialen, die durch Spannungsunterschiede entlang
von Zellmembranen entstehen und nur wenige Millisekunden lang aufrecht erhalten werden. Ein wesentlich weniger
beachtetes Phänomen - obgleich schon länger bekannt – sind Ströme, die in verletzten Geweben fließen
und über mehrere Tage anhalten können, die sogenannte „Wundelektrizät“.
Die Entstehung dieser elektrischen Ströme basiert auf fundamentalen physikalischen Prinzipien in allen Organismen:
Zellen, die in Gewebeverbänden organisiert sind, wirken wie kleine, biologische Batterien. Quer durch die
Schichten der menschlichen Haut baut sich eine Potenzialdifferenz auf. Wird die Haut - etwa durch einen Schnitt
- verletzt, bewirkt die Schnittwunde einen “Kurzschluss” und erzeugt ein messbares elektrisches Feld am Wundrand.
Dieses Wundpotenzial ist eine Erscheinung, die seit langem bekannt ist.
Bereits vor 250 Jahren experimentierte Luigi Galvani mit präparierten Froschmuskeln, die er durch Berührung
mit durchtrennten Nervenenden zu Kontraktionen anregen konnte. Er bezeichnete das Phänomen als “tierische
Elektrizität”. Knapp 50 Jahre später gelang es dem Italiener Carlo Matteucci erstmals, den elektrischen
Strom eines Muskels direkt zu messen. Der deutsche Physiologe Emil Du-Bois Reymond wies den Strom, der aus Wunden
fließt, im Selbstexperiment nach und etablierte damit im 19. Jahrhundert das Forschungsgebiet der Elektrophysiologie.
Elektrische Felder beschleunigen Wundheilung
Nachdem das Phänomen der Wundelektrizität lange Zeit ignoriert worden war, nahm sich die Gruppe um Josef
Penninger in Wien und Min Zhao in Aberdeen des Themas an. Die Forscher untersuchten die Wundheilung an Zellkulturen
von menschlicher Haut und Hornhaut von Ratten. Nach Verletzung wachsen benachbarte Zellen in die Wunde ein und
verschließen sie schließlich. Durch Anlegen eines elektrischen Feldes kann diese Zellwanderung beschleunigt
werden. Eine Umkehrung des elektrischen Feldes bewirkt hingegen eine Ausweitung der Wunde und damit verlangsamte
Wundheilung.
Diese Beeinflussung von Zellbewegung durch Strom wird als Elektrotaxis bezeichnet. Zellen wandern aber auch - und
vor allem - entlang chemischer Gradienten, was als Chemotaxis bekannt ist. Durch Spülung der Zellkulturen
mit frischer Nährflüssigkeit konnten die Forscher bei ihren Experimenten eine Überlagerung durch
chemotaktische Phänomene ausschließen. Sie untersuchten auch einen Schleimpilz, der durch Mutation die
Fähigkeit zur Chemotaxis verloren hatte. Die Ansprechbarkeit auf elektrische Signale blieb dabei unverändert.
Elektrotaxis funktioniert in fast allen Zellen, welche gerichtete Zellmigration zeigen, und scheint eines der ältesten
Prinzipine in der Biologie zu sein, um gerichtete Zellbewegungen auszulösen.
Bei der Analyse der beteiligten Mechanismen stellte sich heraus, dass die Signalübertragung innerhalb der
Zelle bei Chemotaxis und Elektrotaxis den gleichen Weg nimmt. Als wichtigstes Molekül in der Signalkette wurde
das Enzym PI3K identifiziert. Durch experimentelle Blockade des Gens für PI3K kann die Reaktion auf elektrische
Felder sowohl in isolierten Zellen als auch in Geweben unterdrückt werden. Das Signal von PI3K wird von dem
bekannten Tumor Suppressor Protein PTEN unterdrückt – die Forscher konnten auch nachweisen, dass Blockade
des PTEN-Gens die Wundheilung beschleunigt. Damit gelang der erste Nachweis von Genen, die für elektrisch
stimulierte Wundheilung verantwortlich sind.
Hoffnung auf neue Therapieformen
Verzögerte Wundheilung stellt die Mediziner immer wieder vor Probleme, zum Beispiel bei der wachsenden Zahl
von Diabetikern. Aus den jüngsten Erkenntnissen zur Elektrotaxis leiten die Wissenschaftler Hoffnungen für
neuartige Therapieformen ab. Dabei ist jedoch nicht an das Anlegen von Elektroden gedacht, sondern an die Entwicklung
von Substanzen, die gezielt in den Ionentransport innerhalb von Geweben und damit in die Entstehung von elektrischen
Potenzialen eingreifen.
Für Josef Penninger ist mit der soeben publizierten Arbeit aber noch eine weitere Hoffnung verbunden. “Wir
konnten aufgrund unserer Untersuchungen ein Phänomen rehabilitieren, das lange Zeit im Grenzbereich der Medizin
angesiedelt war. Ich hoffe, dass wir damit weiteren Forschungen in diese Richtung die Tür öffnen. Viele
Prinzipien, die in der Alternativmedizin angewandt werden, warten noch auf ihre wissenschaftliche Beschreibung.
Mit unserer Arbeit haben wir zumindest einen ersten Schritt gesetzt, der eines dieser bisher ignorierten Phänome
- zelluläre Elektrizät und Wundheilung - mit fundamentaler Physik und Genetischen Prinzipien vereint.” |