Wien (grüne) - Der Bundessprecher der Grünen Alexander Van der Bellen wäre "sehr zufrieden,
wenn wir bei den Nationalratswahlen annähernd die Umfragewerte" von elf bis 13 Prozent erreichen. Ziel
sei jedenfalls ein zweistelliges Ergebnis. Was Koalitionspräferenzen betrifft, wollte Van der Bellen weiterhin
weder Schwarz-Grün noch Rot-Grün bevorzugen. "Naturgemäß wird dann der kleinere Partner
auch den Vizekanzler stellen". Inhaltlich bekräftigt der Grün-Chef die Wahlkampfthemen "Raus
aus der Armut, Energiewende, Kampf gegen Frauenbenachteiligung und Rein in die Bildung". So sprach sich Van
der Bellen neuerlich für die Abschaffung der Studiengebühren aus. Es sei notwendig, die Studierendenzahl
von rund 200.000 um 50 Prozent auf 300.000 zu erhöhen. Die AkademikerInnenquote in Österreich sei im
internationalen Vergleich zu niedrig. Und mit Studiengebühren dürfe man den Zugang zur Universität
nicht behindern oder gar verhindern.
Einer der Grünen Schwerpunkte werde auch die Einführung einer Grundsicherung sein. Diese sollte in einer
ersten Etappe 800 Euro monatlich zwölf Mal im Jahr betragen. Beim Arbeitsmarkt sei es leicht, das Blaue vom
Himmel zu versprechen, aber schwierig, kurzfristig Besserungen herbei zu führen. Es gelte aber auch hier,
dass Bildung der Schlüssel für die Prävention von Arbeitslosigkeit sei.
Auf die Frage, was sich konkret bei einer Grünen Regierungsbeteiligung ändern würde, verwies Van
der Bellen u.a. auf einen Umbau des Schulsystems und einen Ausbau von "Kindergärten mit vernünftigen
Öffnungszeiten". Was die Schule betrifft, müsse es mehr individuelle Förderung für die
Kinder geben, damit würde man den Eltern auch die teuren Nachhilfestunden ersparen. "Ein Umbau des Schulsystems
wird viel Anpassungsbereitschaft und Anpassungsfähigkeit bei Kindern, Eltern, aber auch LehrerInnen erfordern",
wobei er sich zuversichtlich zeigte, weil "viele LehrerInnen mit dem engen Korsett, in das sie derzeit hineingezwängt
sind, unzufrieden sind".
Frauen in Führungspositionen und Energiewende
Außerdem müsste "sanfter Druck" auf Firmen ausgeübt werden, die so genannte gläserne
Decke - also Frauen kommen kaum in Führungspositionen - zu durchbrechen. Dies könne man erreichen, indem
Wirtschaftsförderungen an die Förderung von Frauen geknüpft werden.
Van der Bellen unterstrich auch die Bedeutung einer Energiewende in Österreich. "Weg von Öl und
Gas, geschweige denn vom Atomstrom, hin zu erneuerbaren Energien. Und das hat auch einen arbeitsmarktpolitischen
Effekt". Als Beispiel nannte er eine Fotovoltaik-Firma in Tirol, die vor drei Jahren lediglich vier Beschäftigte
hatte, heute seien es 180. "Da sieht man, dass in einem Bereich, der vor kurzem noch als Spielwiese versponnener
ökologischer TheoretikerInnen gegolten hat, ungeheure Arbeitsmarktchancen drin stecken".
Absolut keine Priorität hat für Van der Bellen die jüngst von den Grünen losgetretene Diskussion
über eine Abschaffung der lebenslangen Haft. "Da muss ich klar sagen, dass es sich nur um einen Diskussionsvorschlag
ohne Priorität handelt. Das ist nicht Teil des Wahlprogramms".
Keine Auskünfte wollte Van der Bellen geben, welche Ressorts die Grünen im Fall einer Regierungsbeteiligung
anstreben. Auf die Frage nach dem Wunschressort nannte er Umwelt und Energie. Enttäuscht zeigte er sich über
die lobenden Worte von Bundeskanzler Schüssel für BZÖ-Chef Westenthaler, den er sich auch als Vizekanzler
vorstellen könne. "Aber es ist gut, dass der Wähler und die Wählerin wissen, was die Präferenz
von Schüssel ist. Wir sitzen jedenfalls weder im Boot mit der ÖVP noch mit der SPÖ". Befragt,
ob er im Fall einer Regierungsbeteiligung das Rauchen aufgeben würde, winkte der Kettenraucher ab: "Das
steht nicht auf der abzuarbeitenden Liste", vor allem wenn man "wenig Laster hat".
Zur Person
Alexander Van der Bellen (62) möchte bei seinem dritten Anlauf als Grün-Chef bei Nationalratswahlen endlich
in die Regierung. Der Wirtschaftsprofessor gilt als untypischer Politiker und ist bekannt für seine oft bedächtige
Art, was dem Kettenraucher auch zahlreiche Sympathiepunkte in der Bevölkerung eingebracht hat. Außerdem
ist er als fünf Mal wieder gewählter Bundessprecher innerhalb der früher oft intern zerstrittenen
Grünen nicht nur ein Rekordhalter, sondern auch der unbestrittene Star. Unter seiner Parteiführung gelang
es den Grünen, bei fast allen Wahlgängen zuzulegen - oft jedoch unter der hohen Latte bei Meinungsumfragen.
Sein Ziel, die Grünen in die Regierung zu führen, blieb auf Bundesebene bisher aber unerfüllt. Dies
auch deswegen, weil nach dem überraschenden Ergebnis der letzten Nationalratswahl 2002 durch den fulminanten
ÖVP-Erfolg statt der rot-grünen Möglichkeit auf einmal Schwarz-Grün im Raum stand. Für
die Grünen kam diese Variante offenbar zu früh - es wurden zwar trotz interner Vorbehalte Koalitionsverhandlungen
mit der ÖVP aufgenommen, doch scheiterten diese. Die Tür zur ÖVP öffnete sich dann aber auf
Landesebene durch den Grünen Wahlsieg in Oberösterreich, wo es erstmals zu einer schwarz-grünen
Zusammenarbeit kam. Geht man nach den jüngsten Meinungsumfragen, scheint am ehesten eine Koalition mit der
ÖVP denkbar.
Van der Bellen, der Ruhepol bei den hektischen Grünen, wird von seinen Parteikollegen attestiert, "herrlich
selbstironisch" zu sein, im Gegensatz zu vielen anderen PolitikerInnen auch eigene Fehler einzugestehen und
zuhören zu können. Er gehört seit 1994 dem Grünen Klub an. Er war zuvor im Gespräch als
Kandidat für den Präsidenten des Rechnungshofes, später auch für den Dritten Nationalratspräsidenten
und zuletzt auch als möglicher Bewerber für die Bundespräsidentschaft.
Am 18. Jänner 1944 in Wien als Sohn einer estnischen Mutter und eines russischen Vaters mit holländischen
Wurzeln geboren, wächst Van der Bellen im Tiroler Kaunertal auf, wo er heute noch seine Ferien verbringt.
Seine beruflichen Daten: Studium der Volkswirtschaft in Innsbruck, 1968 bis 1976 Assistent am Institut für
Finanzwissenschaft der Universität Innsbruck, 1972 bis 1974 Research Fellow am Internationalen Institut für
Management und Verwaltung, Wissenschaftszentrum Berlin; 1975 Habilitation (Finanzwissenschaft), 1976 ao. Univ.Prof.
an der Universität Innsbruck, 1977 bis 1980 Verwaltungsakademie des Bundes, Wien; 1980 o. Univ.Prof. für
Volkswirtschaftslehre, Univ. Wien; 1990 bis 1994 Dekan bzw. stv. Dekan an der SOWI-Fakultät. Wissenschaftliche
Arbeiten gibt es von Van der Bellen u.a. zu den Themen "Fondswirtschaft in Österreich" (1968), "Mathematische
Auswahlfunktionen und gesellschaftliche Entscheidungen" (1976), "Finanzierungsverstaatlichung oder Privatisierung"
(1967) und "Öffentliche Unternehmen zwischen Markt und Staat" (1977) und "Betriebliche und
wirtschaftspolitische Möglichkeiten zur Rüstungskonversion" (1986). (apa) |