Innsbrucker Ionenphysiker sind den Urbausteinen des Lebens auf der Spur
Innsbruck (universität) - Weltweit erstmals haben Innsbrucker Ionenphysiker Bausteine
der DNS in einem Mikro-Tröpfchen aus superkaltem Helium synthetisiert. Mit diesem Experiment wurden Vorgänge
nachgestellt, die bei der Bildung und Zerstörung komplexer Biomoleküle in interstellaren Wolken ablaufen
dürften. Das Team rund um A.-Univ.-Prof. Dr. Paul Scheier ist damit der Frage auf der Spur, ob und wie sich
Bausteine des Lebens bereits im Weltall bilden können.
Astrophysiker und Astrobiologen vermuten, dass in so genannten interstellaren Wolken komplexe Moleküle auf
Staub und Eispartikeln durch die Bestrahlung mit energiereichem Licht entstehen. Das Innsbrucker Experiment ermöglicht
es, die dabei ablaufenden elementaren Prozesse im Labor Schritt für Schritt zu untersuchen. Eine besondere
Rolle spielen dabei langsame Elektronen, die durch das Licht aus den Staub- und Eispartikeln freigesetzt werden.
Das Heliumtröpfchen ersetzt im Laborexperiment die Staub- und Eispartikel mit dem großen Vorteil, dass
alle geladenen Produkte, die bei der Wechselwirkung mit Elektronen entstehen, aus dem Tröpfchen "ausgespuckt"
werden und anschließend nach ihrer Masse analysiert und mit hoher Empfindlichkeit nachgewiesen werden können.
Die renommierte Zeitschrift "Physical Review Letters" berichtet darüber in ihrer aktuellen Ausgabe.
Die Forscher des Bereiches Ionenphysik am Institut für Ionenphysik und Angewandte Physik der Leopold-Franzens-Universität
Innsbruck haben in ihrem neuesten Experiment das Edelgas Helium unter hohem Druck auf etwa 10 Kelvin abgekühlt.
Durch eine Expansion ins Vakuum kühlt sich das Gas weiter ab und es entstehen winzige Tröpfchen mit einer
Temperatur von 0,37 Kelvin, also fast am absoluten Nullpunkt. Helium wird unter diesen Bedingungen "superfluid".
Das heißt, das Helium kommt in einen neuen Aggregatzustand, der - ähnlich der elektrischen Supraleitung
- eine widerstandsfreie Bewegung der Flüssigkeit ermöglicht. Diese superfluiden Heliumtröpfchen
- so winzig, wie der milliardste Teil eines Stecknadelkopfes - strömen im Innsbrucker Experiment mit Überschallgeschwindigkeit
durch eine speziell für diesen Versuch entwickelte Kammer, die mit einer Gaswolke bestehend aus den DNS-Bausteinen
Thymin und Adenin gefüllt ist. Das Heliumtröpfchen nimmt dabei - ähnlich wie ein Mikrofasertuch
- die beiden Nukleobasen Thymin und Adenin auf und zieht sie in sich hinein.
Anschließend wurde der Komplex aus Tröpfchen und Nukleobasen mit langsamen Elektronen bestrahlt. Durch
Anlagerung des Elektrons wurden die DNS Basen negativ geladen und aus dem Heliumtröpfchen gestoßen und
in weiterer Folge massenspektrometrisch untersucht. "Uns ist es in diesem Experiment gelungen, weltweit erstmals
negative Ionen zu untersuchen, die im Inneren eines Heliumtröpfchen erzeugt wurden", erklärt Paul
Scheier. "Durch die extrem niedrige Temperatur des Tröpfchens, fast am absoluten Nullpunkt, können
Komplexe beobachtet werden, die normalerweise nicht entstehen können". Es ist sogar möglich Reaktionszwischenprodukte
einzufrieren, und somit erstmals die einzelnen elementaren Schritte bei der Anlagerung eines Elektrons aufzutrennen.
Bei den Versuchen wurden Ensembles aus ein bis zehn DNS-Bausteinen in den Heliumtröpfchen erzeugt. Mit dieser
Methode war es weltweit erstmals möglich, die Wechselwirkung von Elektronen mit komplexen DNS-Bausteinen in
der Gasphase zu beobachten und die dabei entstehenden Produkte massenspektroskopisch zu untersuchen. Das Innsbrucker
Experiment erlaubt es damit erstmals, die Synthese und auch die Zerstörung von komplexen Molekülen in
interstellaren Wolken im Labor nachzustellen. Kalte Temperaturen und niedriger Druck werden durch die Heliumtröpfchen
bzw. das Vakuum erzeugt. Staub und Eispartikel auf denen Astrophysiker und Astrobiologen die Synthese von Biomolekülen
vermuten, können in den Heliumtröpfchen praktisch nach Wunsch simuliert werden.
Im Weltall werden Elektronen durch die Bestrahlung von Materie freigesetzt (Photoeffekt). Im Labor können
die Innsbrucker Ionenphysiker darüber hinaus sogar noch die Energie der Elektronen genau einstellen. Die Gruppe
um Paul Scheier hat nun erstmals die Wechselwirkung von freien Elektronen mit kalten Molekülkomplexen - wie
sie in Gas- und Staubansammlungen unserer Galaxie (interstellare Wolken) vorkommen - studiert. Diese Forschungen
sind nicht nur mit der Frage verknüpft, wie komplexe Bio-Moleküle überhaupt entstanden sind. Die
Arbeiten des Innsbrucker Teams ermöglichen auch Rückschlüsse darauf, wie Strahlenschäden entstehen,
also darauf was passiert, wenn ionisierte (elektrisch geladene) Teilchen auf die DNS einwirken.
Finanziert wurden diese Forschungen vom Fonds zur Förderung der Wissenschaftlichen Forschung (FWF) sowie von
der Europäischen Kommission.
Publikation: S. Denifl, F. Zappa, I. Mähr, J. Lecointre, M. Probst, T. D. Märk, P. Scheier, Mass Spectrometric
Investigation of Anions Formed upon Free Electron Attachment to Nucleobase Molecules and Clusters Embedded in Superfluid
Helium Droplets. Physical Review Letters 4/97 (2006)
http://dx.doi.org/10.1103/PhysRevLett.97.043201 |