Wahlkampf / Bildung  

erstellt am
05. 09. 06

 Gusenbauer: "Schleichende Privatisierung des Schulsystems reduziert Chancen der Kinder"
"ÖVP will 7.000 Lehrer kündigen - wir wollen sie für kleinere Klassen einsetzen"
Wien (sk) - "Die schleichende Privatisierung des österreichischen Schulsystems reduziert die Chancen der österreichischen Kinder", kritisierte SPÖ-Vorsitzender Alfred Gusenbauer am Montag in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der Spitzenkandidatin der SPÖ-Wien für die NR-Wahl, SPÖ-Familiensprecherin Andrea Kuntzl und SPÖ-Wissenschaftssprecher Josef Broukal. Thema der Pressekonferenz: "Das Schul-Start-Programm der SPÖ. Schule ohne Nachhilfe". Das Auslagern von schulischen Aufgaben nach zuhause, mache die Chancen der Kinder von der materiellen Situation der Eltern abhängig, so Gusenbauer. "Eine Aushöhlung des öffentlichen Schulsystems führt zu einer höchst ungleichen Verteilung der Chancen. "Dieser Weg muss gestoppt werden", forderte Gusenbauer. Während der LehrerInnen-Abbau durch die ÖVP weiter forciert wird - 7.000 LehrerInnen sollen gekündigt werden, will die SPÖ diese für kleinere Klassen einsetzen.

Das Sofortprogramm der SPÖ zum Schulstart sieht als allerwichtigstes Maßnahme die Reduzierung der Schülerzahlen in den Klassen auf maximal 25 vor, damit die LehrerInnen auch wieder Zeit haben, sich mit den SchülerInnen zu beschäftigen. "Wir wollen 100.000 Ganztagsschulplätze schaffen, damit die Wahlmöglichkeit zwischen Halb- und Ganztagschule besteht", sagte Gusenbauer. Zudem brauche es eine Forcierung der Förderung, also nicht weniger, sondern mehr Stützlehrer, und "es ist das kostenintensive und sinnlose Sitzenbleiben abzuschaffen", so der SPÖ-Chef.

Die ÖVP wolle in den nächsten Jahren 7.000 - meist junge - Lehrer kündigen, die SPÖ schlägt einen anderen Weg vor: "Wir brauchen 7.000 Lehrerinnen und Lehrer, damit kleinere Schulkassen realisiert werden können und damit auch Ganzstagsunterricht- und betreuung möglich ist. Uns ist es lieber, dass sich die Lehrer zu konstanten Kosten um die Schüler kümmern, als dass die Lehrer arbeitslos sind.

Es sei ein Alarmsignal, dass Ministerin Gehrer bis zum heutigen Tag nicht darauf reagiert hat, dass 20 Prozent aller 15-Jährigen zur PISA-Risikogruppe gehören und Probleme mit Rechnen, Schreiben oder Lesen haben. "Angesichts einer Situation mit sinkenden Geburtenraten ist das grob fahrlässig gegenüber der Zukunft unseres Landes und es ist ein Anschlag auf den Wohlstand unseres Landes. Eine Trendumkehr ist dringend notwendig" betonte Gusenbauer. Alle - bis auf die ÖVP und Ministerin Gehrer seien sich dessen bewusst, sagte Gusenbauer.

Der SPÖ-Chef verwies auf die Bildungsprogramme der Industriellenvereinigung, der Bundeswirtschaftskammer, der Grünen, das SPÖ-Bildungsprogramm und Expertisen von pädagogischen Experten, die alle in die gleiche Richtung gehen würden. "Eine 127. Kommission einzusetzen, ist nicht notwendig", stellte Gusenbauer fest und erinnerte an die Ergebnisse der Zukunftskommission. "Was passiert, wenn Gehrer etwas nicht passt, hat sich gezeigt. Es werden die Ergebnisse nicht umgesetzt, die Kommissionsmitglieder werden von der ÖVP diskredidiert und politisch unter Druck gesetzt, aber ändern tut sich gar nichts". Nun sei es an der Zeit zu handeln.

"Die Misserfolgsbilanz von Ministerin Gehrer, die auf dem Rücken der österreichischen Kinder und damit zu Lasten des österreichischen Wohlstands der Zukunft ausgetragen wird, muss beendet werden", so Gusenbauer.

Kuntzl: SPÖ will Schulkosten für Familien massiv senken
33.000 Kinder büffeln derzeit für einen "Nachzipf". "Das ist eine ganze Menge und das soll sich ändern", so Kuntzl, die betonte, dass es erst gar nicht so weit kommen soll. Aber die Bildungsministerin habe den SchülerInnen und deren Eltern noch mehr in die Schultüte gepackt, erinnerte Kuntzl an die Ankündigung von ÖVP-Schulsprecher Amon, Aufnahmeprüfungen für AHS einführen zu wollen. Die traurige Bilanz von Gehrer, "einer reformverweigernden Unterrichtsministerin, die in der nächsten Legislaturperiode nicht repetieren wird", lässt sich auch an den angestiegenen Schulkosten festmachen, denen - "wie bei den Universitäten" - ein schlechtes Angebot gegenübersteht.

So geben Eltern derzeit durchschnittlich 1.850 Euro im Jahr für ihr Schulkind aus. "Der Hauptbrocken sind Nachhilfekosten, dazu kommen noch Materialien, Schulangebote und Nachmittagsbetreuung", sagte Kuntzl. Den Anstieg bei den Nachhilfekosten führt Kuntzl auf die zurückgegangene Unterstützung durch die Schule hin. "Sie wird auf die Eltern verlagert", so Kuntzl, die auf die enormen Kosten von 140 Mio. Euro jährlich für Nachhilfe verweist - allein diesen Sommer waren es 50 Mio. Euro. Ess sind bereits Volksschulkinder, die auf Nachhilfe angewiesen sind, und zwar 8 Prozent. Bei den Hauptschülern sind es 17 Prozent, bei den AHS-Unterstufenschülern 24 Prozent und bei den AHS-Oberstufenschülern handelt es sich um jeden dritten Schüler, der Nachhilfe hat. "Wer sich das nicht leisten kann, muss für seine Kinder selbst den Nachhilfelehrer spielen, oder verzweifeln", so Kuntzl.

Auch das Sitzenbleiben sei eine sinnlos Maßnahme. Sinnlos einerseits, weil die betroffenen Schüler in den meisten Fächern positiv abgeschlossen haben. Und andererseits, weil das Repetieren teuer ist - es kostet pro Jahr 600 Mio. Euro. 300 Mio. davon muss der Staat für Schulplatz, Familienbeihilfe, Schulbücher und Schülerfreifahrt zahlen. Die anderen 300 Mio. müssen die Eltern berappen - etwa für zusätzlichen Unterhalt und Verdienstentgang. "Verschärft wird die Situation dadurch, dass die Schülerbeihilfe seit sechs Jahren, seit Antritt der Regierung Schüssel, nicht valorisiert wurde", sagte Kuntzl. Die SPÖ werde die Beihilfen was Höhe und den Bezieherkreis betrifft sofort anpassen. "Klar ist: der Bildungsweg eines Kindes darf nicht von der Geldbörse der Eltern abhängen", betonte Kuntzl.

Broukal: Nicht mehr als 25 SchülerInnen pro Klasse - Ausbau der Ganztagsschulplätze
SPÖ-Wissenschaftssprecher Josef Broukal kündigte an, dass die SPÖ mit pädagogischen Experten und Lehrern zusammenarbeiten werde, um die Situation im Bildungsbereich zu verbessern. Geplant sei die Verkleinerung der Schülerzahl in den Schulklassen. "25, nicht mehr", so Broukal. Das sei auch für einen guten Unterricht in Klassen mit Schülern nicht-deutscher Muttersprache wesentlich. Broukal führt vor Augen, dass im Jahr 2000 noch 120.000 Schülerinnen und Schüler mit nicht-deutscher Muttersprache im Pflichtschulbereich unterrichtet wurden, im Jahr 2005 waren es bereits 158.000 - aber die Betreuung dieser Kinder ist gesunken. "Wir versprechen daher erstens eine rasche Reduktion auf 25 Kinder pro Klasse", betonte Broukal. "Und zweitens bei den Ganztagsschulplätzen einen Ausbau um 100.000 Plätze."

"Bei den Ganztagsschulplätzen wird verweigert, erschwert und verhindert", beschreibt Broukal die ÖVP-Politik und verweist auf die Bestimmung, wonach sich 15 Kinder pro Klase für eine ganztägige Betreuung entscheiden müssten, damit eine solche angeboten wird. Und das wäre auch nur dann umsetzbar, wenn die Gemeinde sagt, dass sie entsprechende Geldmittel zur Verfügung habe - auch eine Finanzierung durch den Bund ist nur eine Kann-, keine Soll-Bestimmung.

"Jedes Kind soll so gefördert werden, dass eine Schule ohne Nachhilfe möglich ist." Broukal verweist weiters darauf, dass laut AK-Studie an den HTL und HAK eine Drop-out-Quote allein im ersten Schuljahr von 21 Prozent zu verzeichnen sei. Aber wieder sehen sich viele Schülerinnen mit Schülerklassenstärken von 36 und mehr konfrontiert. Die Reduktion auf maximal 25 Schüler aber wurde zwei Mal im Parlament mit den Stimmen der Regierungsparteien abgeschmettert. Und die Lehrer werden weiter abgebaut - 7.000 weniger sind geplant. Inzwischen, so kritisierte Broukal, haben die Länder, etwa die Steiermark, die Aufgabe des Bundes übernommen und 178 Lehrer, von den 280, die abgebaut wurden, in Landesdienst genommen. Die 102 übrigen haben bereits das Pensionsalter erreicht oder sind in Frühpension gegangen.

 

 Gehrer: SPÖ-Forderungen sind alte Hüte
ÖVP steht für Neuerungen mit Weitblick und Qualitätssicherung
Wien (övp-pk) - Als "alte Hüte" bezeichnete Bildungsministerin Elisabeth Gehrer die von der SPÖ gestellten Forderungen. "Allein im Pflichtschulbereich gibt es jährlich 1,5 Millionen Stunden Förderunterricht", erklärte Gehrer. Der Förderunterricht muss mit individuellen Förderkonzepten am Schulstandort optimal eingesetzt werden. "Für den Erfolg von Maßnahmen wie dem Frühwarnsystem spricht auch, dass in den letzten zehn Jahren die Zahl der Repetenten um ein Viertel zurückgegangen ist. Aber Leistung muss auch in Zukunft ihren Stellenwert haben", betonte Gehrer.

In Bezug auf Alfred Gusenbauers Forderung nach 100.000 Ganztagesplätzen bemerkte Gehrer: "Mir ist es wichtig, dass die Eltern selbst wählen können, ob ihr Kind ganztägig zur Schule geht oder am Nachmittag zu Hause betreut wird. Wir haben für das nächste Schuljahr rund 80.000 Anmeldungen für die Tagesbetreuung. Wenn es in zwei Jahren zum Beispiel 100.000 sind, dann werden die Plätze zur Verfügung stehen."

Die Senkung der Klassenschülerzahlen auf einen Richtwert von 25 werde die ÖVP gleich nach der Nationalratswahl in Angriff nehmen, erklärte Gehrer weiter. Zu Gusenbauers Mutmaßungen über die Junglehrerinnen und Junglehrer in Österreich stellte Gehrer fest: "Alfred Gusenbauer sagt offensichtlich bewusst die Unwahrheit, um den jungen Lehrerinnen und Lehrern in Österreich Angst zu machen. Ein Plan zur Kündigung von Junglehrerinnen und Junglehrern - wie von Gusenbauer angesprochen - existiert ebenso wenig wie die Absicht, Schulgeld in Österreich einzuführen. Das müsste Herr Gusenbauer wissen, weil wir gemeinsam die Schulgeldfreiheit in der Verfassung verankert haben."

Zum Bildungskonzept der SPÖ bemerkte Gehrer: "Die SPÖ möchte die Gesamtschule, 73 Prozent der Bevölkerung sprechen sich in der aktuellen Fessel-GfK-Studie für das differenzierte Schulsystem und damit gegen die Gesamtschule aus". Mit der Einführung einer gemeinsamen Oberstufe verhalte es sich ähnlich. "Nach der aktuellen Fessel-GfK-Umfrage sprechen sich 75 Prozent der Befragten für die Beibehaltung der guten Gymnasien und berufsbildenden Schulen in Österreich aus", so Gehrer weiter.

"Wir wollen in der nächsten Legislaturperiode die Stärken unseres Schulsystems noch weiter ausbauen", erklärte Gehrer. Die ÖVP-Bildungspolitik stehe dafür, dass unterschiedlichen Begabungen und Interessen auch weiterhin Rechnung getragen wird, weil die jungen Menschen damit bessere Chancen im Beruf und im Leben hätten. "Ich möchte in der AHS-Oberstufe ein Kurssystem einführen. Wenn die Schülerinnen und Schüler einen Kurs nicht bestanden haben, können sie ihn nachholen. Damit werden Klassenwiederholungen in Zukunft vermieden", so die Ministerin. Außerdem sprach sie sich für einheitliche Standards bei der Matura aus, dadurch könne die Qualität der Ausbildung gesichert werden. "Ich möchte auch, dass die Schulen künftig die Lehrerinnen und Lehrer selbst auswählen können. So kann man den spezifischen Schwerpunktsetzungen der Schulen bestmöglich gerecht werden", schloss Gehrer.

 

 Van der Bellen: Gehrer setzt das Kaputtsparen an den Schulen unbeirrt fort
Grüne: Bereits 150 Millionen Euro für private Nachhilfe pro Jahr
Wien (grüne) - Scharfe Kritik übt Alexander Van der Bellen, Bundessprecher der Grünen, zu Schulbeginn an Bildungsministerin Elisabeth Gehrer. "Wie jedes Jahr werden Hunderte Lehrstellen abgebaut, anstatt die sinkenden SchülerInnenzahlen für zusätzliche FörderlehrerInnen zu nutzen. Den Preis haben die betroffenen Eltern zu zahlen. In diesem Schuljahr werden die Eltern etwa 150 Millionen Euro für private Nachhilfe ausgegeben. Das ist die Folge der verfehlten Bildungspolitik der ÖVP und ihrer Bildungsministerin", so Van der Bellen.

"Obwohl die ÖVP eine Senkung der KlassenschülerInnenzahl verspricht, werden auch in diesem Schuljahr die Klassen wieder bis zum letzten Platz vollgefüllt sein", kritisiert Van der Bellen. Das Versprechen der ÖVP sei daher ein reiner Wahlkampfgag und völlig unglaubwürdig. Die maximale KlassenschülerInnenzahln von 25 müsse im Gesetz festgeschrieben sein.

Als Augenauswischerei bezeichnet Van der Bellen die Diskussion über ein Schulstargeld von 50 Euro. "Wenn für Nachmittagsbetreuung, Nachhilfe und Kostenbeiträge Hunderte Euro pro Jahr bezahlt werden müssen, ist es müßig über Schulstartgeld zu diskutieren. In einem gut funktionierendem und sozial gerechtem Schulsystem dürfen die Chancen der Kinder nicht vom Einkommen der Eltern abhängig sein", schließt Van der Bellen.
 

Wir übernehmen hier Stellungnahmen aller im Parlament
vertretenen Parteien – sofern vorhanden! Die Redaktion

 
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