Gesundheitswesen / Finanzierungskrise  

erstellt am
14. 09. 06

Unabhängiges Gutachten bestätigt bedrohliche Krise
Problemverweigerung der Regierung gefährdet Gesundheitsversorgung
Wien (wgkk) - Ein Gutachten der renommierten Linzer Wirtschaftsprüferkanzlei Leitner+Leitner bestätigt nun, worauf Experten der Krankenversicherungen seit geraumer Zeit hinweisen, bei der zuständigen Ministerin jedoch kein Gehör finden: Das Gutachten bestätigt nicht nur das dramatische Defizit der Gebietskrankenkassen (Bilanzverlust 2006: -253,6 Mio. Euro), sondern deckt erstmals auf, dass die GKKs zur uneingeschränkten Erfüllung des gesetzlichen Auftrages heuer zusätzliche liquide Mittel in der Höhe von 1.062,1 Mio. Euro benötigen würden. Gegenwärtig können zahlreiche Kassen nur mehr mit Fremdmitteln ihren Zahlungsverpflichtungen nachkommen. Die Aussage der Ressortministerin, wonach die "Konsolidierung der Krankenversicherung bereits geschafft sei" wurde von Experten nunmehr unsanft gerade gerückt.

Sanierungsvorschläge der Kassenexperten von der Politik in den Wind geschlagen
Die Gebietskrankenkassen haben in den letzten Jahren zahlreiche Vorschläge zur Sanierung der Finanzlage der sozialen Krankenversicherung ausgearbeitet und den zuständigen Regierungsmitgliedern vorgelegt. Doch anstatt diese Vorschläge eingehend zu prüfen und zumindest den Einen oder Anderen in Regierungsvorlagen aufzunehmen, füllen sie heute die Schreibtischladen der Gesundheitsministerin.

Da die Kassen weder ihre Einnahmensituation beeinflussen können, noch den Versicherten Leistungen vorenthalten können und wollen, ist der Bundesgesetzgeber aufgefordert, rasch Schritte zur Lösung des Problems zu setzen. Schließlich hat der Rechnungshof festgestellt, "dass die externen Einflussfaktoren die Gebarung so entscheidend mitbestimmen, dass die Krankenversicherungsträger im Rahmen ihrer Selbstverwaltung ihre Gebarung nicht grundlegend sanieren können".


Lage der Gebietskrankenkassen dramatisch
Der Gebarungsabgang der GKKs betrug im Vorjahr -125 Mio. Euro und wird heuer den Wert von -253 Mio. Euro erreichen. Damit müssen die Gebietskrankenkassen das achte Jahr in Folge einen negativen Finanzierungssaldo hinnehmen. Insgesamt mussten die GKKs seit 1998 eine Unterdeckung des Aufwandes von insgesamt 1,7 Milliarden Euro verkraften. Die Rücklagen der Gebietskrankenkassen sind mehr als aufgebraucht, die Finanzierung der gesetzlichen Leistungen ist nur mehr mit Krediten möglich. Dazu kommt noch, dass die Verlustprognose für die kommenden zwei Jahre gegenüber der letzten Finanzvorschau nach oben korrigiert werden musste. Für 2007 ist mit einem Abgang von 372 Mio Euro zu rechnen, 2008 mit 416 Mio. Euro. Mit anderen Worten: Die Finanzierungsfrage der ASVG-Krankenversicherung ist nach wie vor völlig ungelöst.

Dabei ist die Situation der WGKK gar nicht die schlechteste: Während sie 2005 "nur" ein Minus von 1,7 Prozent der Einnahmen hinnehmen musste, liegen fünf Gebietskrankenkassen bei einem noch höheren Minus.

Die Gebietskrankenkassen wurden für das Bundesbudget ausgeräumt
Die GKKs wurden für die Stützung des Bundesbudgets geschröpft und mit den wachsenden Beitragsschulden der Arbeitgeber allein gelassen. So musste etwa nur die WGKK das Bundesbudget im Jahr 2005 mit 132,7 Mio. Euro unterstützen. Die Beitragsschulden der Arbeitgeber in der Krankenversicherung betrugen im selben Jahr 167 Mio. Euro - davon allein bei der WGKK 64 Mio.

Ohne die Quersubventionierung des Budgets des Bundes hätte die WGKK 2005 kein Abgang von 38,7 Mio. Euro, sondern ein Überschuss von 94 Mio. Euro zu verzeichnen. Eine Analyse der Gebarung der letzten vier Jahre zeigt, dass die WGKK ohne gesetzlich erzwungene Stützung des Bundesbudgets über die Periode von 2002 bis 2005 ausgeglichen bilanziert hätte.

Das Geld der Versicherten landete beim Finanzminister
Nach Berechnungen des Hauptverbandes wurden der sozialen Krankenversicherung im Zeitraum von 2000 bis 2005 durch gesetzliche Maßnahmen deutlich mehr Mittel entzogen als ihr zugeführt wurden. Dazu der Obmann der WGKK Franz Bittner: "Das führt zu dem ernüchternden Befund, dass das Geld aus den Belastungen der Patienten und Beitragszahler nicht für Zwecke der Krankenversicherung verwendet werden konnten, sondern in das Bundesbudget umgeleitet wurden. Die Gebietskrankenkassen blieben auf ihren Schulden sitzen."

 

 Tancsits: Wieder einmal nichts Neues vom Wienerberg
WGKK-Obmann Bittner lenkt mit eigenen Studien vom eigenen Versagen ab
Wien (övp-pk) - "Mit den besten Strukturkriterien Österreichs seit Jahren das schlechteste Gebarungsergebnis aller Krankenkassen einzuspielen, ist eine Leistung, die nur Obmann Franz Bittner fertig bringt. Er polemisiert einmal mehr gegen besseres Wissen und versucht damit, die Verantwortung für eigenes Versagen an andere abzuschieben", so ÖVP-Sozialsprecher Walter Tancsits. "Längst hätten die Rekord- Defizite der Wiener Gebietskrankenkasse reduziert werden können. Doch entsprechende Vorschläge von Seiten des Rechnungshofes und der Gesundheitsministerin Rauch-Kallat wurden erst 2005 zaghaft zur Umsetzung gebracht."

Stattdessen präsentiere Bittner kurz vor der Nationalratswahl eine eigene Studie, die völlig überzogene Finanzprognosen beinhaltet. "Statt Geld der Beitragszahler/innen in zweifelhafte Studien zu investieren und damit SPÖ-Wahlkampf zu betreiben, sollte Bittner sich lieber um die Finanzsituation seiner Krankenkasse kümmern. Derselbe Studienautor prognostizierte ironischerweise schon einmal, am 21. November 2001, medienwirksam den Untergang der österreichischen Sozialversicherung. Genau das Gegenteil ist eingetreten: Dank des Maßnahmenpakets von Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat wurden insgesamt 900 Millionen Euro zur finanziellen Absicherung der Krankenkassen ins System gebracht. Zusätzliches Geld in Höhe von 140 Millionen Euro gab es durch das Finanzierungspaket im Zuge des Finanzausgleichs, von dem erstmals auch die Krankenversicherungs-Träger profitieren. Die Kostendämpfung im Arzneimittelbereich hatte ebenfalls positive Auswirkungen auf die Gebarung der Krankenkassen", so Tancsits weiter.

Bezüglich der von Bittner kritisierten "Quersubventionen des Bundes" wies Tancsits auf die Ausgleichsfondszahlungen hin, aus denen die Wiener GKK bisher die meisten Zuschüsse im Gesamtausmaß von 321 Millionen Euro bekommen hat. "Dabei erhebt sich ohnehin immer die Frage, wieso die anderen Krankenkassen die ständigen Abgänge in Wien finanzieren sollen? Obmann Bittner sollte sich lieber um die Quersubventionen für die SPÖ durch ÖGB- und BAWAG- Gelder kümmern, statt auf dem Rücken der österreichischen Versicherten Wahlkampf zu betreiben", so Tancsits abschließend.

 

 Bures: ÖVP treibt Gesundheitssystem in die Pleite
Wahl entscheidet über Zukunft der Gesundheitsversorgung - Zwei-Klassen-Medizin mit der ÖVP oder beste Behandlung für alle mit der SPÖ
Wien (sk) - Der am 13.09. veröffentliche Bericht der Wirtschaftsprüfer Leitner+Leitner weist für die Gebietskrankenkassen für das laufende Jahr einen Bilanzverlust von 253 Millionen Euro aus. Und es wird gezeigt, dass zahlreiche Kassen ihren Zahlungsverpflichtungen nur noch mit Fremdmitteln nachkommen können. SPÖ-Bundesgeschäftsführerin Doris Bures sieht darin einen Offenbarungseid für die Politik der ÖVP. "Die Schüssel-Partei treibt das Gesundheitssystem in die Pleite", warnte Bures am 13.09. gegenüber dem SPÖ-Pressedienst.

Die SPÖ-Bundesgeschäftsführerin betonte, dass das dramatische Defizit der Krankenkassen eine direkte Folge der Regierungspolitik ist. Durch gesetzliche Maßnahmen wurden den Krankenkassen seit dem Jahr 2000 1,7 Milliarden Euro entzogen. Ohne diese Eingriffe der Regierung hätten viele Gebietskrankenkassen in den vergangenen Jahren und auch heuer positiv bilanzieren können. Das bestätigte vor kurzem auch der Obmann der Vorarlberger GKK, ein ausgewiesener ÖVP-Mann.

Das Versagen der Regierung zeigt sich für Bures insbesondere darin, dass das finanzielle Desaster im Gesundheitswesen mit immer höheren Belastungen für die Patienten einher geht. "Außer Abkassieren ist der Regierung nie etwas eingefallen", so Bures zum Umstand, dass die angekündigte Strukturreform nie wirksam geworden ist. Bures nannte dazu als typisches Beispiel die Medikamentenkosten: "Ministerin Rauch-Kallat behauptet, dass sie die Kostensteigerung im Griff habe, tatsächlich gibt es eine wahre Kostenexplosion in dem Bereich."

"Die ÖVP hat unser vorbildliches Gesundheitssystem binnen weniger Jahre an den Rand des Zusammenbruchs geführt", fasste Bures zusammen. Die Wahl am 1. Oktober werde über die zukünftige Gesundheitsversorgung entscheiden, so Bures abschließend: "Zur Wahl stehen Zwei-Klassen-Medizin mit der ÖVP, die viele Menschen von einer erstklassigen Behandlung ausschließt - oder die beste Behandlung für alle, unabhängig von Alter und Einkommen, wie sie die SPÖ garantiert."

 

  Grünewald: Regierung ignoriert bedrohliche Budgetsituation der Krankenkassen
Wien (grüne) - „Wenn Ministerin Rauch-Kallat in einer Diskussion mit der ehemaligen deutschen Gesundheitsministerin Süssmuth öffentlich behauptet es sei genügend Geld im System so steht diese Aussage in krassem Widerspruch zu zahlreichen ExptertInnenmeinungen und der realen Situation der Krankenkassen“ kritisiert der Gesundheitssprecher der Grünen, Kurt Grünewald, die Verfälschung von Tatsachen.

„Die Bevölkerung, Kassen, Gesundheitsberufe und KollegInnen im Parlament mit derartigen haarsträubenden Aussagen zu konfrontieren stellt der verantwortlichen Ministerin ein schlechtes Zeugnis aus und offenbart ein beträchtliches Maß an Unwissen“, so Grünewald.

„Nachdem die Politik den Kassen nicht nur ihre Einnahmen gesetzlich vorschreibt, sondern auch ihre Leistungsverpflichtungen, bleibt der Selbstverwaltung kaum ein Spielraum und Einfluss ihre Liquidität zu verbessern. Auch die in der Gesundheitsreform angedachten Spar- und Rationalisierungsmaßnahmen, sind hier wenig hilfreich, da sie frühestens nach Jahren zu greifen beginnen. Verschärft wird die Situation durch ungünstige Lohn- und Beschäftigungsquoten, die die Einnahmensituation der Kassen negativ beeinflussen“, erklärt Grünewald.

Schon jetzt gibt es regionale Unterversorgungen in einzelnen Leistungsbereichen und Defizite in bestimmten Versorgungsbereichen wie Psychotherapie, Rehabilitation und Psychosomatik. Es mangelt an Geld für gesundheitspolitisch dringend notwendige Studien, für Prävention und die Schließung von Versorgungslücken. Qualitätssicherung und eine Verbesserung der Datenlage werden ohne Anstoßfinanzierung nur schwer umsetzbar sein.

Auch zahlreiche Maßnahmen der Bundesregierung verstärkten die Kassendefizite, dazu gehören: Übernahme der Bundesleistungen zur Spitalsfinanzierung, Verringerung der Zahlungen aus der Pensionsversicherung und andere mehr.

"Die Grünen fordern daher im Interesse der Versicherten und PatientInnen erneut die Anhebung der Höchstbeitragsgrenze auf 5000. Euro. Davon sind nur zehn Prozent der Bevölkerung betroffen und davon wiederum sind nur 14 Prozent Frauen. Wir plädieren dafür, auch die Einbeziehung nicht lohn- und gehaltsabhängiger Gewinne zumindest nicht weiter zu tabuisieren. Ein ausreichend finanziertes Gesundheitssystem ist Basis jedes Solidarsystems und für ein Mehr an Gesundheit. Jeder Rückgang von Krankenständen, jede Vermeidung von Chronifizierung von Krankheiten und Frühinvalidität muss auch im Interesse der Wirtschaft sein, auch wenn das die Bundesregierung nicht wahrhaben will“, so Grünewald.
 

Wir übernehmen hier Stellungnahmen aller im Parlament
vertretenen Parteien – sofern vorhanden! Die Redaktion

 
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