Internationale Kooperation ist oft bloßes Lippenbekenntnis –Abwehrmaßnahmen setzen
in den meisten Staaten zu spät ein
Bad Gastein (ehfg) - Auch fast ein Jahr nachdem die Vogelgrippe die europäischen Staaten und
die europäische Bevölkerung in Angst versetzt hat, sind aus der damals drohenden Pandemie noch immer
nicht ausreichende Konsequenzen im Hinblick auf die Verbesserung der Pandemievorsorge und die Strukturen zur Pandemiebekämpfung
gezogen worden. Tenor der Analysen der Situation innerhalb und außerhalb der EU, die international führende
Experten beim European Health Forum Gastein (EHFG) präsentieren werden: Es gibt Fortschritte, doch die europäischen
Staaten sind in weiten Bereichen auf halbem Weg stehen geblieben.
"Gestern Panik, heute vergessen", fasst EHFG-Präsident Dr. Günther Leiner zusammen. "Pandemievorsorge
kann aber nicht organisiert werden, wenn die nächste Katastrophe droht, sondern es müssen so schnell
wie möglich alle Maßnahmen gesetzt werden, damit die Bevölkerung bei neuerlichen Bedrohungen durch
Pandemien optimal geschützt werden kann. Die Einstellung ‚Wird schon nix passieren' ist angesichts der Dimension
der Katastrophen, in denen Pandemien enden können, völlig inakzeptabel."
In einer neuen Studie eines der renommiertesten Forschungsinstitute für Seuchen und Pandemien, der "London
School of Hygiene and Tropical Medicine" (Hygiene und Tropenkrankheiten), deren Ergebnisse beim EHFG im Detail
präsentiert werden, sind die wichtigsten von den Experten bemängelten Schwachpunkte:
- Mangelnde Koordination medizinischer und veterinärmedizinischer Maßnahmen
- In zahlreichen nationalen Krisenplänen sind möglicherweise notwendige veterinärmedizinische
Maßnahmen nicht einmal ansatzweise berücksichtigt. Damit wird die Bekämpfung einer der wichtigsten
Verbreitungsmöglichkeiten von Pandemien sträflich vernachlässigt.
- Internationale Kooperation bleibt oft Lippenbekenntnis: Praktisch alle nationalen Krisenpläne enthalten
zwar klare Bekenntnisse zu enger internationaler Kooperation - aber nur wenige haben überhaupt Planungen angestellt,
wie diese internationale Kooperation erfolgen soll. Im Ernstfall würde die Zusammenarbeit daher nur sehr eingeschränkt
funktionieren.
- Ungeeignete Strategien zur Eindämmung potenzieller Pandemien: Viele Staaten scheinen davon auszugehen,
dass Pandemiegefahren nur von außen kommen können. Für die frühe Bekämpfung von Seuchen
mit Pandemiepotential, die im Inland ausbrechen, fehlen geeignete Strategien.
- Vage ausformulierte Krisenpläne: In vielen Krisenplänen sind kritische Punkte ausgespart geblieben.
Ein Beispiel dafür ist die Bereitstellung von Impfstoffen. Alle Pläne erkennen dieses Thema als eine
Schlüsselfrage an, vielfach fehlt aber jede ausgearbeitete Planung, wie im Pandemiefall tatsächlich eine
rasche und ausreichende Produktion sichergestellt werden soll - das Gleiche gilt aber etwa auch für die rasche
Bereitstellung von Laborkapazitäten für Tests und die Entwicklung neuer Medikamente oder Impfstoffe.
"Insgesamt ist das Ergebnis der mit großen Worten angekündigten Schaffung moderner, effizienter
und belastbarer Strukturen für die Pandemiebekämpfung in Europa keineswegs berauschend", betont
Leiner. "Das liegt sicher nur teilweise an den damit verbundenen Kosten. Mindestens ebenso problematisch ist,
dass die Gesundheitspolitik diesem Thema einfach nicht den richtigen Stellenwert beimisst. Pandemievorsorge und
Pandemiebekämpfung müssen oberste Priorität bekommen."
Leiner betont, dass Gesundheitspolitik nicht primär im Stopfen von Löchern und dringlichen Maßnahmen
zur Rettung vor dem Finanzkollaps bestehen darf. "Natürlich müssen die täglichen Probleme behandelt
und gelöst werden. Wenn dabei aber Prävention von Pandemien, die letztlich die gesamte Bevölkerung
bedrohen können, vernachlässigt wird, spielt man mit dem Leben der Bürger."
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