Der Browser als Wahlzelle  

erstellt am
16. 10. 06

300 Auslandsösterreicher wählten über das Internet – Österreichischer E-Voting-Test in der "Wiener Zeitung" – Europaweit Versuche im Wählen mit der Maus
Wien (wiener zeitung) - Pünktlich zum Wahlschluss um 17 Uhr des 14.10. zückten die Mitglieder der Wahlkommission ihren Schlüssel. Der einzige Unterschied zu einer echten Wahl: Die Urne, die es zu öffnen galt, befand sich in einem Computer. Die dazu passenden Schlüssel bestanden aus 1024 elektronischen Schaltzuständen, vulgo Bits. Am Samstagabend fand bei der "Wiener Zeitung" eine elektronische Testwahl via Internet statt. 300 zum Teil weit entfernte Auslandsösterreicher hatten sich dafür registriert und damit wieder ein Stück zur Klärung der Kardinalfrage von digitalen Wahlen beigetragen: Geht das?

Professor Alexander Prosser von der Wirtschaftsuniversität Wien, für die technische Infrastruktur der Testwahl verantwortlich, beantwortet die Frage mit Ja. Seit Jahren arbeitet er daran, elektronische Wahlen so sicher und einfach zu machen wie analoge. Denn Wählen klingt einfach, ist es aber nicht: Der Wähler muss der Wahlbehörde bekannt sein, sein Wille aber geheim bleiben. Und das Verfahren muss sicherstellen, dass es dabei bleibt.

Mit seiner Forschungsgruppe "e-Voting" stellt Prosser den bei Wahlen geforderten Mix aus Authentifizierung, Anonymität und Sicherheit mit trickreichen technischen Verfahren her. Der Wähler bekommt eine Wahlkarte, von der der Server nicht weiß, für wen er sie verschlüsselt hat. Über die verschlüsselte Wahlkarte erfolgt die noch einmal verschlüsselte Abstimmung. Ein Resultat gibt es erst, wenn die Mitglieder der Wahlkommission mit den richtigen Schlüssel aus dem Secure Key Store Stimme für Stimme rückübersetzen - ein komplexes Zahlenspiel, das in Sekundenbruchteilen abläuft. Ob man ein von den Vorhersagen so dramatisch abweichendes Ergebnis wie das der letzten Nationalratswahl auch dann vorbehaltlos akzeptieren würde, wenn es auf so eine Weise zustande gekommen wäre?

Es liegt auf der Hand, dass Soft- wie Hardware regelmäßig in der "Real World" erprobt und öffentlich bekannt gemacht werden müssen. Die "Wiener Zeitung", bereits seit Jahren als elektronischer Dienstleister an der Schnittstelle zwischen Staat und Wirtschaft erfolgreich tätig, bot sich laut Geschäftsführer Karl Schiessl als "Katalysator" für die Durchführung einer solchen Testwahl an. Ein daran angeschlossenes, hochkarätig besetztes Symposion zeigte anhand zahlreicher Fallbeispiele, dass die "Wiener Zeitung" keinesfalls allein auf weiter Flur steht: Europaweit wächst das Interesse an einer elektronischen Ergänzung des Wahlprozesses. Zahlreiche, im Resultat auch verbindliche Testwahlen wurden bereits durchgeführt.

Am radikalsten - und umstrittensten - hat sich Estland dem Thema angenähert. Das kleine Land, ein "Tigerstaat", wenn es darum geht, digitale Innovationen einzuführen, hat bereits eine landesweite eVoting-Wahl hinter sich: Bei den Kommunalwahlen 2005 übten zwar nur 2 Prozent der Wähler ihr Wahlrecht elektronisch aus, aber Michael Remmert, zuständiger Projektleiter für eVoting in der Generaldirektion des Europarats, findet dieses Ausmaß genau richtig: Er spricht sich dagegen aus, die Einführung digitaler Wahlsysteme unter Quotendruck zu stellen. Die Wählerinnen und Wähler sollen Zeit bekommen, sich auf die Systeme einzustellen - und Zeit braucht man auch, um Fehler und Schwachstellen auszumerzen.

Testwahlen wie die von der "Wiener Zeitung" durchgeführten sind nach Remmerts Meinung ein erster, wichtiger Schritt in diese Richtung. Der Europarat-Beamte befürwortet ausdrücklich auch kritische Stimmen: Nur über einen breiten gesellschaftlichen Dialog, der auch Nachteile benennt, könne E-Voting letztlich die benötigte Akzeptanz bei allen Akteuren - Wählern, Politikern, Wahlbehörden - erreichen.

Bedächtig und von zahlreichen Studien begleitet geht man das elektronische Wählen in der Schweiz an, wo das Wahlvolk wie in keiner anderen Demokratie gefordert wird: Nahezu im Wochentakt finden neben den normalen Wahlen Abstimmungen statt, mit seit Jahren sinkender Wahlbeteiligung. 2004 kamen in drei Kantonen erstmals verschiedene eVoting-Systeme zum Einsatz - sogar das Abstimmen mit SMS wurde erprobt. Die neue Bequemlichkeit scheint die Wahlbeteiligung zumindest leicht zu heben. Im nächsten Jahr sollen die legistischen Voraussetzungen geschaffen werden, um die Wahlversuche auch auf andere Kantone auszudehnen. Laut Nadja Braun von der Schweizer Bundeskanzlei bleibt als Generalziel die elektronische Ausübung sämtlicher politischer Rechte - in der bisherigen Praxis ging es aber vor allem um eine elektronische Ergänzung zur traditionellen Stimmabgabe per Briefpost, über die mehr als 80 Prozent der Schweizer ihren politischen Willen kundtun.

Die nächste europäische Bewährungsprobe des E-Voting steht am 22. November bevor: In den Niederlanden kommen elektronische Wahlmaschinen bei den Parlamentswahlen flächendeckend zum Einsatz - und die Diskussion darüber wird, wie von Michael Remmert erhofft, von Befürwortern und Gegnern äußert heftig geführt.

Bei der Testwahl der "Wiener Zeitung" ging es ruhiger zu. Die Auslandsösterreicher wurden befragt, welche Innovationen im Wahlrecht sie sich wünschten. 79,7 Prozent sprachen sich für eine Wahlmöglichkeit über das Internet aus. "Wiener Zeitung"-Geschäftsführer Schiessl möchte ihnen jedenfalls entgegenkommen und weitere Wahlversuche unternehmen. Gute Kandidaten wären Hochschülerschafts- oder Wirtschaftskammerwahlen, wo bereits die rechtlichen Voraussetzungen bestehen. Doch auch die derzeit vor allem über Faxgeräte laufende Wahl des ORF-Publikumsrates sieht Schiessl als reif für einen Internet-Versuch.

Von Franz Zauner.
 
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