Koalitionsverhandlungen I  

erstellt am
23. 10. 06

 Niessl: SPÖ will Große Koalition bis Weihnachten
Gute Koalition unterm Weihnachtsbaum" - Niessl sieht "Meinungsumschwung in der ÖVP" hin zur großen Koaliton
Wien (sk) - Die SPÖ will bis Weihnachten die Verhandlungen abgeschlossen haben, sagte Burgenlands Landeshauptmann und SPÖ-Vorsitzender Hans Niessl am 22.10. in der ORF-Pressestunde. Die Wahl am 1. Oktober habe mit der SPÖ den klaren Sieger und mit der ÖVP einen klaren Verlierer gehabt. Der Wählerauftrag sei damit ebenfalls klar, es soll mit einer Großen Koalition eine stabile Regierung geben, die die großen Herausforderungen auch lösen kann. Alle anderen Varianten - Minderheitsregierung, Neuwahlen oder eine Dreierkoalition von ÖVP, FPÖ und BZÖ - lehnte Niessl ab, das entspreche nicht dem Wählerauftrag und sei "weder realistisch noch wünschenswert".

Nach dem Wahlsieg ist die SPÖ sehr rasch an die Arbeit gegangen, "und wir wollen die Arbeit rasch abschließen", sagte Niessl. Die SPÖ habe Wahlversprechen abgegeben und sei mit einem Wahlprogramm in die Wahl gegangen, genau so die ÖVP. Das sei der Ausgangspunkt der Verhandlungen. "Wir werden unsere Grundwerte sicher nicht beim Portier im Parlament abgeben", betonte Niessl.

Niessl erwartet sich, dass die Verhandlungen bis Weihnachten abgeschlossen sind und "dass unterm Weihnachtsbaum eine gute Koalition liegt. Das ist das Ziel und wir stehen jeden Tag und rund um die Uhr dafür zur Verfügung".

Alternativen zur Großen Koalition sieht Niessl nicht. Weder eine Minderheitsregierung, noch eine Dreierkoalition ÖVP-FPÖ-BZÖ, noch Neuwahlen entsprechen dem Wählerauftrag und dem Auftrag von Bundespräsident Heinz Fischer. Das sei "weder realistisch noch wünschenswert", betonte Niessl. Keine dieser Varianten brächte eine stabile Regierung mit stabilen Verhältnissen, wie es sich die Österreicher wünschen. Eine von der FPÖ gestützte SPÖ-Minderheitsregierung ist laut Niessl auszuschließen: "So kann man die großen Probleme nicht lösen."

Die SPÖ denkt auch nicht an Neuwahlen, denn am 1. Oktober gab es einen klaren Sieger und einen zweiten. "Das ist ein klarer Auftrag der Wähler", so Niessl. Jetzt sei nicht tricksen und taktieren angebracht, sondern mit Geradlinigkeit, Tempo und vertrauensbildenden Maßnahmen daran zu arbeiten, dass es bis Weihnachten eine stabile Regierung gibt.

Zunächst hat Niessl noch einmal klargestellt, dass die Wahl mit der SPÖ einen klaren Gewinner und mit der ÖVP, die acht Prozentpunkte eingebüßt hat, einen klaren Verlierer hatte. "Dementsprechend sind die Verhandlungen zu führen", so Niessl. In der ÖVP sieht er gewichtige Persönlichkeiten, etwa die Landeshauptleute Van Staa und Pröll, Wirtschaftsbundpräsident Leitl oder Innenministerin Prokop, die klar für die Große Koalition sind. Hier habe in der ÖVP, nach den ersten Reaktionen auf die überraschende Wahlniederlage, ein Meinungsumschwung stattgefunden, so Niessl.

Die Postenschachervorwürfe, die letzte Woche von der ÖVP gemacht wurden, wies Niessl zurück. Tatsächlich habe SPÖ-Finanzsprecher Matznetter drohende parteipolitische Postenbesetzungen im Bereich der ÖIAG verhindern wollen. Die SPÖ beharre bei Postenbesetzungen auf Transparenz und fachliche Kriterien.

Auf Ebene der Landeshauptleute gibt es eine sehr gute Zusammenarbeit unter allen Parteien, erklärte Niessl. Darum sei er auch optimistisch, dass die Verhandlungen, an denen zahlreiche Landeschefs beteiligt sind, sich gut entwickeln werden. Auf die Frage, wie die SPÖ zu Finanzminister Grasser stehe, erneuerte Niessl die sachliche Kritik am Finanzminister. Dieser habe seit dem Jahr 2000 die Staatsschulden um 20 Prozent erhöht, von Nulldefizit sei also keine Rede.

Im Rückblick auf den Wahlkampf meinte Niessl, dass es von beiden Parteien Negative Campaigning gegeben hätte, außerdem habe es von ÖVP freilich sechs Jahre lang Angriffe gegen Alfred Gusenbauer gegeben, die nicht in Ordnung waren - aber jetzt sollte man sich nicht mehr länger mit der Vergangenheit beschäftigen, sondern mit der Zukunft.
   

Bildung
Niessl leitet gemeinsam mit SPÖ-Bildungssprecher Niederwieser und Wissenschaftssprecher Broukal die Gruppe Bildung und er hat, wie er betonte, 30 Jahr Erfahrungen im Bildungsbereich. Aus dem Burgenland weiß Niessl, dass in den Regionen, wo es kein Gymnasium gibt, die gemeinsame Schule der 10- bis 14-Jährigen schon funktioniert. Darauf will die SPÖ nun aufbauen, es soll weitere Schulversuche geben mit innerer statt äußerer Differenzierung, diese sollen wissenschaftlich begleitet und evaluiert werden. Der Umstieg "geht nicht von heute auf morgen", erklärte Niessl.

In den skandinavischen Ländern etwa habe der Umstieg zur Gesamtschule acht bis zehn Jahre, erläuterte Niessl. Die PISA-Studie habe gezeigt, dass diese Länder die besten Ergebnisse erzielt haben. Wenn die wissenschaftlich begleiteten Schulversuche in Österreich zeigen, dass damit bessere Ergebnisse erzielt werden, dann sollte man das auf andere Schulen übertragen und flächendeckend einführen, sagte Niessl. Er sprach vom "Einstieg in den Umstieg zur gemeinsamen Schule der 10- bis 14-Jährigen". Hier gehe es nicht um ideologische Fragen, sondern schlicht um eine bessere Schule.

Weiters will die SPÖ die Klassenschülerhöchstzahl auf 25 senken, mehr Integrationslehrer, ein verpflichtendes Vorschuljahr, eine Aufwertung der Kindergärten und mehr und leistbare Ganztagsschulen. Außerdem solle das Sitzenbleiben bis auf wenige Ausnahmen abgeschafft werden. Schüler sollen jedenfalls mit zwei Nichtgenügend aufsteigen können, dafür dann im nächsten Schuljahr eine Zusatzförderung bekommen.

Die Studiengebühren sollen auf jeden Fall abgeschafft werden, betonte Niessl. "Das ist für die SPÖ ein zentrales Thema. Damit gehen wir in die Verhandlungen." Niessl verwies hier auf eine Reihe von Problemen an den Unis: ein Drittel der Studierenden steigt aus, Berufstätige Studenten haben es sehr schwer, überfüllte Hörsäle etc. Zur Frage der Elite-Uni meinte Niessl, man müsse zunächst einmal die Entwicklung der schon beschlossenen Elite-Uni evaluieren, ehe man über weitere redet.

Die Frage, ob man den Schulbeginn von acht Uhr auf neun Uhr verlegen solle, verneinte Niessl. Er schlug vor, die Stundenpläne "schülergerechter" zu machen und in der Früh nicht gleich mit den anstrengenden Fächern zu beginnen, sondern mit bildnerischer Erziehung oder Sport.
   

Eurofighter
"Wir werden alles unternehmen, damit aus dem Eurofighter-Vertrag ausgestiegen wird", unterstrich Niessl die Position der SPÖ. Je früher aus diesem Vertrag ausgestiegen werde, desto besser sei dies für Österreich, betonte Niessl weiter. Allerdings müssten erst einmal "die Karten auf den Tisch gelegt werden". Man brauche konkrete Zahlen bezüglich Gesamt- und Betriebskosten, um dann das weitere Vorgehen entscheiden zu können. Deshalb sei er auch für den Vorschlag von Alfred Gusenbauer, dass der Vertrag allen Parteien zugänglich gemacht werde und dieser dann von Experten geprüft werden könne. Neben den Kosten für die Eurofighter sei auch interessant, wie der Vertrag zustande gekommen sei. Waren zu Beginn der Debatte verschiedene Flugzeugtypen im Gespräch, so habe man sich von Seiten der Regierung plötzlich auf das teuerste Gerät festgelegt. Dieser "Meinungsschwenk" sei im Rahmen des Untersuchungsausschusses zu klären, so Niessl.

Er selbst habe den Eurofighter-Vertrag noch nicht gesehen, betonte Niessl. Da Alfred Gusenbauer eine Vertraulichkeitserklärung abgegeben habe, sei es klar, dass dieser den Vertrag nicht zeige. Da eben noch nicht alle Fakten auf den Tisch seien, könne man auch nicht über etwaige Fragen wie eine Volksabstimmung zum Eurofighter-Ankauf diskutieren. Für ihn, so Niessl, sei in der Luftraumüberwachung eine Kooperation mit der Schweiz denkbar, denn so könne man für den Staat Kosten reduzieren. Mit dem Ausstieg aus dem Vertrag müsse nicht bis zum Ende des Untersuchungsausschusses gewartet werden, sondern sollte sich bereits früher eine Möglichkeit ergeben, könne diese genützt werden.

 

Amon: "Einstieg in den Umstieg" zur Gesamtschule kommt nicht in Frage
Murauer: Hoheitsrechte sind nicht transferierbar
Wien (övp-pk) - Der von Landeshauptmann Hans Niessl in der ORF-"Pressestunde" kolportierte "Einstieg in den Umstieg" zur Einführung einer "flächendeckenden" Gesamtschule komme für die ÖVP nicht in Frage, so ÖVP-Bildungssprecher Werner Amon. "Ein bisschen Gesamtschule gibt es nicht", so Amon. Das Modell "Gesamtschule" würde ausschließen, dass es Alternativen gebe. Laut einer aktuellen Gallup-Umfrage spreche sich auch eine Mehrheit der Österreicher (58 Prozent) gegen eine Gesamtsschule aus. Sehr wohl setze sich die ÖVP für eine Verbesserung des bestehenden Systems ein. Eine Weiterentwicklung der Hauptschulen und der Leistungsgruppen, sowie von Niessl angekündigt, sei wünschenswert, so Amon. "Auch ein flächendeckendes Angebot von Nachmittagsbetreuung auf freiwilliger Basis ist immer unser Ansatz gewesen."

Zu den Klassenschülerhöchstzahlen erklärte der ÖVP- Bildungssprecher, dass diese auf Grund des im Finanzausgleich von den Landeshauptleuten festgelegten Lehrer-Schüler-Verhältnisses selbst festgelegt wurden. "Der Landeshauptmann hat jedoch den Anschein erweckt, als hätte die ÖVP eine Senkung verhindert", so Amon. Das sei jedoch nicht der Fall. Interessant werde auch sein, wie Niessl in der Arbeitsgruppe "Bildung" die Kosten für die Abschaffung des Sitzenbleibens aufschlüsseln wird. Die von Niessl kolportierten 600 Millionen Euro seien jedenfalls nicht nachvollziehbar. Auch sei der Landeshauptmann daran erinnert, dass sein präsentiertes "Modell" eines Aufsteigens mit einem Fünfer und des Sitzenbleibens mit mehreren Fünfern im Prinzip der derzeitigen Rechtslage entspreche. Weiters wies Amon darauf hin, dass noch nie soviel Geld in Bildung investiert wurde. Obwohl die Schülerzahlen sinken, gebe es mit neun Milliarden Euro ein Rekordbudget für Bildung.

ÖVP-Wehrsprecher Walter Murauer wies nach der heutigen ORF-"Pressestunde" mit Landeshauptmann Hans Niessl darauf hin, dass der Schweizer Verteidigungsminister Samuel Schmid in einem "Tiroler Tageszeitungs"-Interview vom 13. Oktober 2006 Menschen, die meinen, die Schweizer Armee solle den österreichischen Luftrum "mitüberwachen", als "Träumer" bezeichnete. Schmid wird zitiert: "Hoheitsrechte sind nicht transferierbar. Das ginge neutralitätsrechtlich und faktisch nicht. Was wäre in einem Krisenfall? Wie soll ein österreichischer Minister einem Schweizer Piloten im Notfall einen Abschussbefehl geben? Wir haben in der Schweiz gerade genug Abfangjäger, um unseren eigenen Luftraum zu überwachen".

 

 Brosz: SPÖ-Motto bei Regierungsverhandlung lautet "Ja nirgends festlegen"
Wien (grüne) - "Das Motto der SPÖ bei den Regierungsverhandlungen lautet offenbar: 'Ja nirgends festlegen'. Während die ÖVP in den letzten Tag ständig betont, was alles nicht geht, rückt die SPÖ zunehmend von Wahlversprechen ab, wie etwa beim Eurofighter-Ausstieg", reagiert Dieter Brosz, Bildungssprecher der Grünen, auf die Aussagen von SP-Verhandler LH Niessl in der ORF-Pressestunde. An die Aussage Gusenbauers drei Tage vor der Wahl, dass jeder Ausstieg aus dem Eurofightervertrag billiger käme als die Anschaffung, will sich in der SPÖ niemand mehr erinnern.

"Wenn Niessl jetzt die in Grassers Finanzplan enthaltenen Streichungen von LehrerInnendienstposten kritisiert, dann hat er offenbar ein politisches Kurzzeitgedächtnis. Er hat nämlich vor fünf Jahren genau diesem Plan selbst zugestimmt. Und jetzt sitzen ausgerechnet wieder Gehrer und Niessl, die sich schon damals auf massive Sparmaßnahmen einigen konnten, wieder gegenüber, um Reformen im Schulbereich zu verhandeln. Niessl ist daher unglaubwürdig, wenn er Reformen im Schulbereich verspricht, die ohne zusätzliche finanzielle Mittel nicht umsetzbar sein werden", so Brosz.

Brosz erinnert daran, dass Niessl gemeinsam mit dem Wiener Bürgermeister Häupl im Jahr 2001 mittels der Zustimmung in der LH-Konferenz dafür verantwortlich war, dass die SPÖ die massiven Sparmaßnahmen in den Pflichtschulen mitbeschlossen hat. Das Finanzausgleichsgesetz 2001 war Ursache für die steigenden Klassenschülerzahlen. Diesem Gesetz wurde im Parlament von allen Parteien außer den Grünen zugestimmt.
 

Wir übernehmen hier Stellungnahmen aller im Parlament
vertretenen Parteien – sofern vorhanden! Die Redaktion

 
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