Gusenbauer/Matznetter:
Kassasturz zeigt - Außerbudgetäre Schulden explodieren weiter
Verkehr, Schiene und Bundeshochbau aktuell mit 20 Mrd. Euro Schulden, bis 2010 wird der
Schuldenstand auf 28 Mrd. Euro steigen
Wien (sk) - Die dritte Runde der Koalitionsverhandlungen der SPÖ mit der ÖVP hat sich am
Freitag mit dem Zustand der Staatsfinanzen und der Außen- und Europapolitik beschäftigt, berichteten
SPÖ-Vorsitzender Alfred Gusenbauer und SPÖ-Finanzsprecher Christoph Matznetter im Anschluss an das dreieinhalbstündige
Treffen. Das prioritäre Ziel sei es, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren, "und das wird nicht von selbst
geschehen", betonte Gusenbauer im Hinblick auf die vorliegenden Prognosen für das Wirtschaftswachstum.
Die Finanzsituation des Bundes sei freilich schwierig, neben den 160 Milliarden Euro Gesamtschulden im Jahr 2006
haftet der Bund außerbudgetär für 20 Mrd. Euro, dieser außerbudgetäre Schuldenstand
wird bis 2010 mit bereits beschlossenen Projekten auf 28 Mrd. Euro ansteigen. Jede neue Investition einer kommenden
Regierung würde diesen Schuldenstand noch weiter erhöhen.
Daher soll eine Untergruppe in Übereinstimmung mit den Sozialpartnern ein Maßnahmenbündel für
die Senkung der Arbeitslosigkeit erarbeiten. Ein wichtiger Teil davon betrifft die Infrastruktur - und hier sei
man, wie aus dem gemeinsam vorgelegten Kassasturz hervorgehe, mit "einem beträchtlichen Schuldenstand"
konfrontiert, erläuterte Gusenbauer. Er bekräftigte die Absicht der SPÖ zu investieren, dafür
brauche es zusätzliche Mittel.
Der bisher beschrittene Weg, dass die beiden großen ausgegliederten Infrastrukturgesellschaften ASFINAG und
ÖBB ihre Investitionen mit neuen Schulden finanzieren, lasse sich nicht ad infinitum fortsetzen, erklärte
der SPÖ-Chef. Die Untergruppe Infrastruktur soll dazu Vorschläge erarbeiten.
Klar sei, dass die Arbeitslosigkeit beim gegebenen Wirtschaftswachstum nicht von selbst zurückgehen werde,
"es braucht zusätzliche Maßnahmen". Und Zweitens: "Die Zukunft der Infrastruktur muss
gesichert sein. Nur mit dem Fortschreiben der Schulden wird das nicht funktionieren", fasste Gusenbauer zusammen.
"Wenn Österreich umfassende Investitionstätigkeit entwickeln will, dann muss man beim Staat, nicht
bei den Bürgern sparen", dazu brauche es "eine umfassende Staats- und Bürokratiereform",
so Gusenbauer. Die derzeitige Finanzsituation bezeichnete Gusenbauer zusammenfassend als "keine einfache",
aber sie sei beherrschbar. In diesem Zusammenhang seien die Studiengebühren "im Vergleich eine sehr klein
Angelegenheit", sagte Gusenbauer auf eine Journalistenfrage.
Dazu ergänzte SPÖ-Finanzsprecher Matznetter: "Es gibt keine bessere Budgetunterstützungsmaßnahme
als sinkende Arbeitslosigkeit und höheres Wachstum - das ist das beste Budgetprogramm, das es gibt."
Zum Klima in der Verhandlung sagte der SPÖ-Chef, es habe eine sehr vernünftige und sachliche Diskussion
gegeben. Das nächste Treffen wird am 8. November stattfinden.
In den letzten sechs Jahren kein Schuldenabbau erfolgt
SPÖ-Finanzsprecher Matznetter erläuterte dazu, dass der gemeinsam erarbeitete Kassasturz die
ehrliche und nüchterne Basis für die Verhandlungen darstelle. "Wir wollen eine nüchterne Sichtweise.
Wir wollen die Probleme lösen, nicht auf die lange Bank schieben", so Matznetter, der klarstellte, "in
den letzten sechs Jahren hat es keinen Schuldenabbau gegeben".
Tatsächlich hat sich der Gesamtschuldenstand von 133 Milliarden Euro im Jahr 2000 auf 160,5 Milliarden Euro
im Jahr 2006 erhöht, bei Fortschreibung der bisherigen Ansätze würde er sich 2010 auf 177 Mrd. Euro
belaufen, erklärte Matznetter. Zu dem kommen noch die ausgegliederten Unternehmen für Schiene, Straße
und Bundeshochbau, wo die Schulden von 13,43 Mrd. Euro im Jahr 2000 bis 2006 auf 20,05 Mrd. gestiegen sind und
nach derzeitigen Prognosen bis 2010 auf 27,92 Mrd. steigen würden. In diesem Anstieg seien wichtige Zusatzinvestitionen
noch nicht enthalten.
Auf die Frage nach dem von der SPÖ geplanten Eurofighter-Untersuchungsausschuss meinte Gusenbauer, das sei
kein Thema der Koalitionsverhandlungen, sondern ein Kontrollinstrument des Parlaments. Und der Ausschuss müsste
letztlich auch in Interesse der ÖVP sein, zumal damit alle Gerüchte und Verdächtigungen ausgeräumt
werden könnten. Dies sei auch eine Frage der "politischen Hygiene".
Einigkeit zwischen SPÖ und ÖVP bei EU- und Außenpolitik - EU muss mehr für Beschäftigung
und Wachstum tun
Bei der Europapolitik habe man "weitgehende Übereinstimmung gefunden"; Österreich profitiere
enorm vom europäischen Projekt, so Gusenbauer; zugleich sei es aber notwendig, die Kluft zwischen den Bürgern
und der EU zu verringern.
In der EU solle der soziale Aspekt wieder stärker in den Vordergrund treten, die EU müsse mehr für
Wachstum und Beschäftigung tun, verlangte Gusenbauer eine Änderung in der europäischen Politik.
Gusenbauer zitierte in dem Zusammenhang die Worte des früheren Kommissionspräsidenten Jaques Delors,
der gesagt hatte: "Nichts geht gegen die Menschen, nichts bleibt ohne die Institutionen."
Im Hinblick auf die Erweiterung und insbesondere auf die Frage der Erweiterungsfähigkeit der Union erwartet
sich Gusenbauer Aufschluss von der für 8. November angekündigten Studie der EU-Kommission. Zu einem möglichen
Beitritt der Türkei sagte der SPÖ-Chef, dass dabei in Österreich ein Vierparteien-Antrag für
eine vorherige Volksabstimmung vorliege. Jedenfalls seien alle Ressorts in den Agenden der Europapolitik einzubeziehen,
"weil alle Themenbereiche haben auch eine europäische Komponente".
Außerdem sei man sich einig darüber, dass Österreich für die Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat
kandidieren soll. Das sei wichtig für Österreich und ebenso für den UN-Standort Wien. Ein gemeinsames
Papier von SPÖ und ÖVP werde dazu in den nächsten Tagen vorgelegt, kündigte Gusenbauer an.
Die Einigkeit in außenpolitischen Fragen hält Gusenbauer für sehr wichtig: "Ein kleines Land
braucht eine verlässliche und nachvollziehbar Linie." Er will daher auch die kleineren Parteien einbeziehen.
An der Kompetenzverteilung innerhalb der Regierung bei der Außen- und Europapolitik will Gusenbauer nichts
ändern. |
Schüssel: Einigung in zwei Teilbereichen
Nun müssen die sensiblen Punkte angesprochen werden – Bundeskanzler im Anschluss an
die dritte große Verhandlungsrunde
Wien (öpv-pk) - Bei den zwei Teilbereichen - die Beschreibung des finanzpolitischen Status quo
sowie Europa und Außenpolitik - konnte weitgehende Übereinstimmung und Einigung erzielt werden, zeigte
sich ÖVP-Bundesparteiobmann Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel am 27.10. im Anschluss an die dritte
große Runde der Koalitionsgespräche in einer Pressekonferenz zufrieden. Das heutige Gespräch sei
durchaus weiterführend und gut gewesen, zollte der Kanzler in diesem Zusammenhang der Außenministerin
und dem Finanzminister Dank und Anerkennung. "Nach diesem positiven Schritt müssen jetzt allerdings die
sensiblen Punkte angesprochen werden", zählte Schüssel unter anderem ein Nein zu neuen Belastungen,
ein Ja zur weiteren Entlastung und zur Standortqualität auf. Auch den Aufholprozess in der Infrastruktur dürfe
man nicht stoppen.
Es sei wichtig, bereits am Anfang darüber Bilanz zuziehen, in welchem Zustand sich die Staatsfinanzen befinden.
Die Daten und Zahlen von Finanzminister Mag. Karlheinz Grasser seien nahezu unbeeinsprucht geblieben. "Die
Impulse der Regierung greifen. Durch die Maßnahmen der Regierung sind wir besser als wir selber erwartet
haben." Österreich stehe hervorragend da, verwies Schüssel unter anderem auf die Inflationsrate
von nicht einmal 1,5 Prozent. Das Wirtschaftswachstum liege laut WIFO bei 3,2, laut IHS bei 3,1 Prozent. Das "beachtliche
dynamische Wirtschaftswachstum" schlage sich auch in "sehr guten Beschäftigungszahlen" nieder.
So sei die Zahl der Arbeitslosen alleine im letzten Monat um elf Prozent zurückgegangen.
Betreffend des Teilbereiches Europa und Außenpolitik habe die Außenministerin auf gemeinsame Bitte
ein Papier über Europa und Außenpolitik vorgelegt, das im Wesentlichen von sozialdemokratischer Seite
akzeptiert wurde, so der Kanzler weiter. Dabei geht es um folgende zentrale Fragen: das Außenministerium
als Koordinationsstelle in der gesamten Europapolitik, ein Bekenntnis zur EU und zu einem verbesserten Erklären
der Chancen für die Bürgerinnen und Bürger sowie ein Ja zu einer weiteren Ergänzung der Europäischen
Union um Länder des Balkans und Südosteuropas. Dies sei "für uns Europäer eine Riesenchance".
Österreich könnte "zentrale Herzstation" sein. Außer Streit stünden auch die Ausgaben
für Entwicklungszusammenarbeit bis 2010 und die zu verbessernden Leistungen im Visa-Bereich für die Bürgerinnen
und Bürger.
Die nächste große Verhandlungsrunde ist für den 8. November geplant. Er, Schüssel, hege den
"dringenden Wunsch, dass in den Arbeitsgruppen auch die sensiblen Substanzfragen andiskutiert" würden.
Er habe manches Mal den Eindruck, dass die SPÖ abwarte, was die ÖVP vorlege. "Ich bin gerne bereit,
unsere Vorstellungen einzubringen, aber primär ist die SPÖ gefordert, die inhaltlichen Themen anzusprechen.
Die Zeit ist reif, und wir sind darauf vorbereitet. Wir wollen ein Ergebnis in der Sache, das aber trägt",
verwies der Kanzler auch darauf, dass die ÖVP über 1,6 Millionen Wählern im Wort sei. Da müsse
es - aber auf beiden Seiten - den klaren Willen geben, etwas zu bewegen. |