Zahl der Migranten und Migrantinnen, der Frauen und der älteren Arbeitskräfte steigt
Wien (wifo) - Die Anhaltend hohe Zuwanderung im Gefolge von EU-Integration und EU-Erweiterung schiebt
eine Verknappung von Arbeitskräften in weitere Ferne. Erst zwischen 2020 und 2030 stabilisiert sich das Arbeitskräfteangebot
und sinkt dann leicht. Der Strukturwandel des Arbeitskräfteangebotes, insbesondere die Alterung, die Zunahme
des Frauenanteil und der Multikulturalität bedeuten allerdings Herausforderungen für die Gesellschafts-
und Beschäftigungspolitik. Neue Wege in der Aktivierungs- und Integrationspolitik sind einzuschlagen, wenn
Wirtschaftswachstum, Beschäftigungswachstum und der soziale Zusammenhalt gestärkt werden sollen.
Aktivierung der Älteren
Derzeit ist die Erwerbsquote älterer Personen in Österreich außerordentlich niedrig - mit 33% (55-bis
64-Jährige) zugleich mit Italien und Belgien die niedrigste in der EU. Im Durchschnitt der EU 25 liegt die
Erwerbsquote der Älteren bei 45,5% (EU 15: 47,1%). Im Vergleich mit Schweden, dem Land mit der höchsten
Erwerbsquote Älterer (72,6%), zeigt sich der erhebliche Spielraum für die Ausweitung des Arbeitskräfteangebotes.
Sollte es im kommenden Jahrzehnt in breiterem Umfang zu Knappheit an qualifizierten Arbeitskräften kommen,
so sind Rahmenbedingungen zu schaffen, die einer Weiterbeschäftigung Älterer förderlich sind.
Eine der ersten Maßnahmen sollte eine Novellierung des alten Abfertigungsrechts sein (Überführung
in die "Abfertigung neu"). Das ist die Voraussetzung für Reformen des Arbeitsmarktes Älterer,
die eine altersgerechte Beschäftigung sicherstellen. Dazu zählen Maßnahmen, die den Arbeitsdruck
der Vollzeitbeschäftigung ab einem bestimmten Alter verringern (etwa ab 50 Jahren), und Szenarien für
einen gleitenden Austritt bzw. adaptierte Formen der Frühpension (etwa ein altersgerechtes Leistungsmodell
für Vollzeitbeschäftigten unter hohem körperlichen und psychischen Arbeitsdruck).
Modelle zur Senkung oder Flexibilisierung der Arbeitszeit könnten für ältere Arbeitskräfte
oder Personen, die 25 bis 30 Jahre in Schichtarbeit tätig waren, ähnlich einer Bildungskarenz eine Auszeit
von 1 bis 3 Monaten vorsehen, in denen sie weiterbeschäftigt sind, aber keine Bildungsarbeit nachweisen müssen.
Auch an flexible altersgerechte Teilzeitmodelle ist zu denken sowie an die Entwicklung von Lebensarbeitszeitmodellen,
in denen die Erwerbsarbeitszeit unterbrochen werden kann (Zeitwertkonten). Teilzeitarbeitslosigkeit für Ältere,
wobei das Erwerbseinkommen unter bestimmten Voraussetzungen um Transfereinkommen ergänzt wird, ist eine weitere
Möglichkeit.
Förderung der Frauenerwerbstätigkeit
Die Erwerbsquote der Frauen im Haupterwerbsalter (25 bis 54 Jahre) entspricht zwar etwa dem Durchschnitt
der EU (79,9%, EU 25: 75,7%, EU 15: 75,3%), doch besteht auch hier ein deutlicher Spielraum zur Ausweitung, wenn
man sich an den nordischen Ländern orientiert (z. B. Dänemark 84,5%). Allein die Verringerung des Anteils
der Teilzeitbeschäftigung (derzeit 39,3% der beschäftigten Frauen) auf den Durchschnitt der EU 25 (32,3%;
EU 15: 36,2%) würde das Arbeitsvolumen der Frauen anheben und damit die für eine dynamische Wirtschaft
nötigen qualifizierten Arbeitsressourcen ausweiten.
Um die Erwerbsquote anzuheben, sind einerseits ausreichende Kinderbetreuungseinrichtungen bereitzustellen, andererseits
die privaten Haushalte von Pflegearbeit zu entlasten. In Österreich fehlen allerdings die Rahmenbedingungen,
um diese Aspekte der "Haushaltsproduktion" stärker über den Erwerbsarbeitsmarkt zu organisieren.
Die Verlagerung von Tätigkeiten aus der Haushaltsproduktion in den Erwerbsarbeitsmarkt kann nicht dem privaten
Sektor ohne institutionelle Hilfe überantwortet werden, da hier weder Überblick über den regionalen
lokalen Bedarf noch die Möglichkeiten gegeben sind, eine regionale Versorgungsstruktur aufzubauen. Ein institutionell
verankertes regionales "One-Stop-Shop" würde ermöglichen, die Tätigkeiten, die derzeit
in hohem Maße im Haushalt erbracht werden, vor Ort über eine sozialversicherungsrechtlich abgesicherte
Beschäftigung zu organisieren.
Gezielte Förderung der Integration von Migranten und Migrantinnen
Eine Reorientierung der Zuwanderungspolitik auf Qualifizierte ist zu empfehlen. Jedoch wird das nicht ausreichen,
um die Qualifikation der Arbeitskräfte rasch genug an die Anforderungen einer wissensbasierten Gesellschaft
anzupassen. Daher sind verstärkte Aus- und Weiterbildungsanstrengungen im Zusammenhang mit der Verbesserung
der Integration von neu zuwandernden sowie längerfristig in Österreich ansässigen Personen mit Migrationshintergrund
nötig.
Derzeit sind 13% der Bevölkerung nicht in Österreich geboren. In den nächsten 10 Jahren wird der
Anteil weiter steigen und Größenordnungen erreichen (2015 16% bis 18%), wie sie derzeit nur in Kanada
zu beobachten sind. Um die soziale und wirtschaftliche Integration der Migranten und Migrantinnen sicherzustellen
– eine Notwendigkeit für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum – muss ein komplexes Integrationsszenariums
entwickelt werden. Wegen des Querschnittscharakters dieser Integrationsanforderungen ist eine Koordinationsstelle
auf Bundesebene erforderlich, die den Charakter einer eigenständigen Agentur haben sollte: Neben mehreren
Ministerien (Portfolios) und den Bundesländern sind eine Vielzahl von institutionellen Akteuren – neben dem
Bund und den Ländern auch die Sozialpartner sowie Non-governmental Organisations – sowohl in der Entwicklungsphase
als auch in der laufenden Administration und Umsetzung einzubinden. Damit wären institutionelle Voraussetzungen
geschaffen, die eine bessere Koordination der derzeitigen sehr unterschiedlichen Strategien der Länder und
Gemeinden ermöglichen und zu einem effizienteren Ressourceneinsatz beitragen.
Quelle: WIFO, Autorin: Gudrun Biffl |