WIFO-Weißbuch: Wende auf dem Arbeitsmarkt erst nach 2020  

erstellt am
24. 11. 06

Zahl der Migranten und Migrantinnen, der Frauen und der älteren Arbeitskräfte steigt
Wien (wifo) - Die Anhaltend hohe Zuwanderung im Gefolge von EU-Integration und EU-Erweiterung schiebt eine Verknappung von Arbeitskräften in weitere Ferne. Erst zwischen 2020 und 2030 stabilisiert sich das Arbeitskräfteangebot und sinkt dann leicht. Der Strukturwandel des Arbeitskräfteangebotes, insbesondere die Alterung, die Zunahme des Frauenanteil und der Multikulturalität bedeuten allerdings Herausforderungen für die Gesellschafts- und Beschäftigungspolitik. Neue Wege in der Aktivierungs- und Integrationspolitik sind einzuschlagen, wenn Wirtschaftswachstum, Beschäftigungswachstum und der soziale Zusammenhalt gestärkt werden sollen.

Aktivierung der Älteren
Derzeit ist die Erwerbsquote älterer Personen in Österreich außerordentlich niedrig - mit 33% (55-bis 64-Jährige) zugleich mit Italien und Belgien die niedrigste in der EU. Im Durchschnitt der EU 25 liegt die Erwerbsquote der Älteren bei 45,5% (EU 15: 47,1%). Im Vergleich mit Schweden, dem Land mit der höchsten Erwerbsquote Älterer (72,6%), zeigt sich der erhebliche Spielraum für die Ausweitung des Arbeitskräfteangebotes. Sollte es im kommenden Jahrzehnt in breiterem Umfang zu Knappheit an qualifizierten Arbeitskräften kommen, so sind Rahmenbedingungen zu schaffen, die einer Weiterbeschäftigung Älterer förderlich sind.

Eine der ersten Maßnahmen sollte eine Novellierung des alten Abfertigungsrechts sein (Überführung in die "Abfertigung neu"). Das ist die Voraussetzung für Reformen des Arbeitsmarktes Älterer, die eine altersgerechte Beschäftigung sicherstellen. Dazu zählen Maßnahmen, die den Arbeitsdruck der Vollzeitbeschäftigung ab einem bestimmten Alter verringern (etwa ab 50 Jahren), und Szenarien für einen gleitenden Austritt bzw. adaptierte Formen der Frühpension (etwa ein altersgerechtes Leistungsmodell für Vollzeitbeschäftigten unter hohem körperlichen und psychischen Arbeitsdruck).

Modelle zur Senkung oder Flexibilisierung der Arbeitszeit könnten für ältere Arbeitskräfte oder Personen, die 25 bis 30 Jahre in Schichtarbeit tätig waren, ähnlich einer Bildungskarenz eine Auszeit von 1 bis 3 Monaten vorsehen, in denen sie weiterbeschäftigt sind, aber keine Bildungsarbeit nachweisen müssen. Auch an flexible altersgerechte Teilzeitmodelle ist zu denken sowie an die Entwicklung von Lebensarbeitszeitmodellen, in denen die Erwerbsarbeitszeit unterbrochen werden kann (Zeitwertkonten). Teilzeitarbeitslosigkeit für Ältere, wobei das Erwerbseinkommen unter bestimmten Voraussetzungen um Transfereinkommen ergänzt wird, ist eine weitere Möglichkeit.

Förderung der Frauenerwerbstätigkeit
Die Erwerbsquote der Frauen im Haupterwerbsalter (25 bis 54 Jahre) entspricht zwar etwa dem Durchschnitt der EU (79,9%, EU 25: 75,7%, EU 15: 75,3%), doch besteht auch hier ein deutlicher Spielraum zur Ausweitung, wenn man sich an den nordischen Ländern orientiert (z. B. Dänemark 84,5%). Allein die Verringerung des Anteils der Teilzeitbeschäftigung (derzeit 39,3% der beschäftigten Frauen) auf den Durchschnitt der EU 25 (32,3%; EU 15: 36,2%) würde das Arbeitsvolumen der Frauen anheben und damit die für eine dynamische Wirtschaft nötigen qualifizierten Arbeitsressourcen ausweiten.

Um die Erwerbsquote anzuheben, sind einerseits ausreichende Kinderbetreuungseinrichtungen bereitzustellen, andererseits die privaten Haushalte von Pflegearbeit zu entlasten. In Österreich fehlen allerdings die Rahmenbedingungen, um diese Aspekte der "Haushaltsproduktion" stärker über den Erwerbsarbeitsmarkt zu organisieren. Die Verlagerung von Tätigkeiten aus der Haushaltsproduktion in den Erwerbsarbeitsmarkt kann nicht dem privaten Sektor ohne institutionelle Hilfe überantwortet werden, da hier weder Überblick über den regionalen lokalen Bedarf noch die Möglichkeiten gegeben sind, eine regionale Versorgungsstruktur aufzubauen. Ein institutionell verankertes regionales "One-Stop-Shop" würde ermöglichen, die Tätigkeiten, die derzeit in hohem Maße im Haushalt erbracht werden, vor Ort über eine sozialversicherungsrechtlich abgesicherte Beschäftigung zu organisieren.

Gezielte Förderung der Integration von Migranten und Migrantinnen
Eine Reorientierung der Zuwanderungspolitik auf Qualifizierte ist zu empfehlen. Jedoch wird das nicht ausreichen, um die Qualifikation der Arbeitskräfte rasch genug an die Anforderungen einer wissensbasierten Gesellschaft anzupassen. Daher sind verstärkte Aus- und Weiterbildungsanstrengungen im Zusammenhang mit der Verbesserung der Integration von neu zuwandernden sowie längerfristig in Österreich ansässigen Personen mit Migrationshintergrund nötig.

Derzeit sind 13% der Bevölkerung nicht in Österreich geboren. In den nächsten 10 Jahren wird der Anteil weiter steigen und Größenordnungen erreichen (2015 16% bis 18%), wie sie derzeit nur in Kanada zu beobachten sind. Um die soziale und wirtschaftliche Integration der Migranten und Migrantinnen sicherzustellen – eine Notwendigkeit für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum – muss ein komplexes Integrationsszenariums entwickelt werden. Wegen des Querschnittscharakters dieser Integrationsanforderungen ist eine Koordinationsstelle auf Bundesebene erforderlich, die den Charakter einer eigenständigen Agentur haben sollte: Neben mehreren Ministerien (Portfolios) und den Bundesländern sind eine Vielzahl von institutionellen Akteuren – neben dem Bund und den Ländern auch die Sozialpartner sowie Non-governmental Organisations – sowohl in der Entwicklungsphase als auch in der laufenden Administration und Umsetzung einzubinden. Damit wären institutionelle Voraussetzungen geschaffen, die eine bessere Koordination der derzeitigen sehr unterschiedlichen Strategien der Länder und Gemeinden ermöglichen und zu einem effizienteren Ressourceneinsatz beitragen.

Quelle: WIFO, Autorin: Gudrun Biffl
 
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