Lehre mit Matura – Erleichterung und Verbesserung der Bildungskarenz
Wien (wifo) - Die Einführung eines verpflichtenden Kindergartenjahres, das flächendeckende Angebot
der Berufsreifeprüfung parallel zur Lehrlingsausbildung sowie die Reform der Bildungskarenz sind nur einige
Vorschläge, die das WIFO in der Teilstudie "Aus- und Weiterbildung" im Rahmen seines Weißbuches
"Mehr Beschäftigung durch Wachstum auf Basis von Innovation und Qualifikation" erarbeitet hat.
Eine möglichst frühzeitige Förderung von Schülerinnen und Schülern ist eine wichtige Maßnahme
gegen ein späteres Scheitern im Bildungsprozess und wirkt der Verfestigung sozioökonomischer Benachteiligungen
entgegen. Die Einführung eines verpflichtenden Kindergartenjahres soll helfen, mögliche Schwächen
frühzeitig zu erkennen und die Chancengleichheit zum Schulbeginn zu erhöhen. Insbesondere Kinder aus
bildungsfernen Schichten, die hinter dem für ihr Alter charakteristischen Qualifikationsprofil zurückbleiben,
können ohne Frühförderung im Kindergarten die Benachteiligungen durch das familiäre Umfeld
häufig nicht mehr ausgleichen. Vor allem durch die Behebung sprachlicher und sozialer Defizite kann die Chancengleichheit
im Bildungssystem verbessert werden.
Angesichts der geringen Wahrscheinlichkeit eines Übertritts aus der Lehre in die tertiäre Ausbildung
sollte neben der traditionellen Lehrausbildung eine Lehrausbildung angeboten werden, die mit der Reifeprüfung
abschließt. Die entsprechenden Vorbereitungskurse für die Berufsreifeprüfung könnten im Rahmen
der Lehrausbildung an den Berufsschulen als frei wählbares Zusatzmodul angeboten werden. Derzeit wird die
Berufsreifeprüfung in einigen Berufsschulen parallel zur Lehrlingsausbildung angeboten – allerdings nicht
flächendeckend und nicht für alle Berufssparten. Durch die frühe Verschränkung von Lehrberufsausbildung
und Matura soll die Berufsreifeprüfung attraktiver werden. Der Anteil der Studierenden mit einem Lehr- oder
Fachschulabschluss als Vorbildung ist vergleichsweise gering: Im Wintersemester 2004/05 wiesen nur 2,9% der erstmals
zugelassenen ordentlichen Studierenden an wissenschaftlichen Universitäten eine Studienberechtigungs- bzw.
Berufsreifeprüfung auf. An den Fachhochschulen hatten im Studienjahr 2003/04 12,2% der neu aufgenommenen Studierenden
keinen traditionellen Zugang, davon 5,6% eine Berufsreifeprüfung oder Studienberechtigungsprüfung.
Auch das derzeitige Modell der Bildungskarenz sollte reformiert werden, da es kaum in Anspruch genommen wird (2005:
1.358 Personen). Anspruchsvoraussetzung in der derzeitigen Ausgestaltung ist ein mindestens 3 Jahre ununterbrochenes
Arbeitsverhältnis. Die Bezugsdauer liegt zwischen 3 und 12 Monaten. Das Weiterbildungsgeld beträgt derzeit
14,53 Euro pro Tag (Höhe des Kindergeldes) und ist mit einem Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherungsschutz
verbunden. Der Reformvorschlag sieht eine Anhebung des Weiterbildungsgeldes auf die Höhe des individuellen
fiktiven Arbeitslosengeldanspruchs (durchschnittlicher Arbeitslosengeldsatz im Jahr 2005: 24,10 Euro pro Tag) vor.
Eventuell könnte ein höheres Weiterbildungsgeld in Abhängigkeit von der sozialen Bedürftigkeit
oder dem Grad der formalen Ausbildung gewährt werden. Die Anspruchsvoraussetzungen sollten analog dem Selbsterhalterstipendium
geregelt werden, das über 3 Jahre jährliche Mindesteinkünfte von 7.272 Euro vorsieht. Die Mindestdauer
der Bildungsmaßnahme (3 Monate) sollte erhalten bleiben, die Höchstdauer jedoch flexibler gehandhabt
und an die Dauer der Bildungsmaßnahme gekoppelt werden.
Daneben sollten Modelle einer Teilzeit-Bildungskarenz angeboten werden, in der Personen mit höchstens Lehr-
oder Fachschulabschluss den formalen Bildungsabschluss (Haupt-, Lehr- oder Fachschulabschluss, Matura) nachholen
können. Je nach Ausmaß der Reduktion der Arbeitszeit sollte ein aliquoter Teil des Weiterbildungsgeldes
(fiktiver Arbeitslosengeldanspruch) steuerfrei zustehen. Das Teilzeitkarenzmodell würde im Fall eines Alleinverdieners
(Arbeiter, verheiratet, 1 Kind) mit einem Bruttomonatsgehalt von 1.500 Euro und einer Arbeitszeitverringerung
von 38 auf 30 Stunden pro Woche Kosten von 4,84 Euro pro Tag verursachen. Für den Alleinverdiener würde
sich der Nettoeinkommensverlust von 234 Euro auf 89 Euro pro Monat reduzieren.
Quelle: WIFO, Autorin: Ulrike Huemer |