Ein König der Wiederaufbauzeit  

erstellt am
23. 11. 06

Festakt für Karl Waldbrunner im Hohen Haus
Wien (pk) - Mit einem Festakt beging das Parlament am 22.11. den 100. Geburtstag des ehemaligen Nationalratspräsidenten und Ministers Karl Waldbrunner. Aus diesem Anlass wurden von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer zahlreiche prominente Gäste und Weggefährten des Jubilars in das Hohe Haus geladen, an der Spitze Bundespräsident Heinz Fischer. Im Rahmen des Gedenkens an die Wiederkehr des 100. Geburtstages von Karl Waldbrunner wurde auch im Eingangsbereich des Besucherzentrums des Hohen Hauses ein Sonderpostamt eingerichtet.

Nationalratspräsidentin Prammer begrüßte eingangs eine Menge erlesener Ehrengäste, darunter zahlreiche ehemalige Mitglieder der Bundesregierung sowie eine Vielzahl ehemaliger und aktiver Abgeordneter und Mitglieder des Bundesrates. Sie würdigte Waldbrunner als eine Persönlichkeit, die in ihren vielen öffentlichen Ämtern die Nachkriegszeit in Österreich wesentlich mitgestaltet habe. Er baute Österreichs Infrastruktur wieder auf und in der Folge maßgeblich aus und nahm zahlreiche wichtige Weichenstellungen vor.

Prammer ging auch auf das parlamentarische Wirken Waldbrunners ein und verwies dabei insbesondere auf die schwierigen Bedingungen während seiner Zeit als Nationalratspräsident, da es einerseits eine Minderheitsregierung, andererseits eine Teilaufhebung der Nationalratswahl vom März 1970 gegeben habe. Dass diese Situation erfolgreich gemeistert werden konnte, sei auch der Umsicht und Besonnenheit Waldbrunners zu verdanken, meinte die Präsidentin, die sich sodann mit einzelnen Stationen im Leben Waldbrunners auseinandersetzte.

Bundespräsident Heinz Fischer erinnerte am Anfang seiner Festrede daran, dass das Wissen um die jüngere Geschichte des Landes von großer Bedeutung sei, und daher der Einfluss und die Verdienste Karl Waldbrunners nicht hoch genug eingeschätzt werden könne. Mit bewegten Worten schilderte Fischer seine persönlichen Eindrücke und seine Erinnerungen an den Jubilar, die in das Jahr 1957 zurückreichen, als Fischers Vater, Rudolf Fischer, Präsidialchef im Bundesministerium für Verkehr und Elektrizitätswirtschaft wurde, welches Waldbrunner leitete. Für Waldbrunner war es auch bezeichnend, dass er sich für Hochschulfragen interessierte, eine Eigenschaft, die junge, engagierte Studenten wie Karl Blecha, Hannes Androsch oder er, Fischer, besonders zu schätzen wussten.

Bei Weichenstellungen in der österreichischen Innenpolitik wie der Olah-Krise 1964 oder der absoluten ÖVP-Mehrheit 1966 habe Waldbrunner souveräne und vorausblickende Analysen angestellt, meinte Fischer, der auch Waldbrunners "strategische Partnerschaft mit Kreisky" ansprach, die von einer großen persönlichen Wertschätzung getragen war. Karl Waldbrunner war einer – so der Bundespräsident abschließend -, "der eine Meinung vertreten hat, die hielt" und der genau den Unterschied zwischen "Freundschaft und Freunderlwirtschaft" kannte.

Der ehemalige Vizekanzler Hannes Androsch wies darauf hin, dass Waldbrunners Lebenszeit nahezu ident mit jener Epoche gewesen sei, die Eric Hobsbawm das "Zeitalter der Extreme" und das "kurze Jahrhundert" genannt habe. Geprägt von den Ereignissen der ersten Hälfte dieser Zeitspanne konnte er die zweite auch mitgestalten und die Bedingungen maßgeblich verbessern, weshalb es ihm, Androsch, ein Anliegen sei, die Tätigkeit Waldbrunners im Rahmen dieser Veranstaltung gebührend zu würdigen.

Waldbrunner sei eine ganz wichtige Persönlichkeit gewesen, von dessen Erfahrungen, Ratschlägen und Handlungen man viel habe lernen können. Mit all seinem Tun habe Waldbrunner die Entwicklung der demokratischen Republik prägend mitgestaltet, hielt Androsch fest, der besonders an Waldbrunners Verdienste um die heimische Infrastruktur und ganz wichtiger Teile der österreichischen Industrie erinnerte. Waldbrunner sei nicht nur eine Persönlichkeit von höchstem Verantwortungsgefühl gewesen, sondern habe sich auch stets um Ausgleich bemüht. Entsprechend beeindruckend sei die Erfolgsbilanz, die Waldbrunner hinterlassen habe, schloss Androsch.

Karl Waldbrunner 1906-1980
Mit Karl Waldbrunner kam im März 1970 erstmals seit März 1933 wieder ein Mitglied der Sozialdemokratie auf den Präsidentensessel des Nationalrats. Wenngleich er dort nur 20 Monate residierte, leitete er damit eine langjährige Entwicklung ein, stammten doch von 1970 bis 2002 alle Nationalratspräsidenten aus den Reihen der SPÖ, und auch seit Oktober 2006 stellt die SPÖ wieder die Präsidentin des Nationalrates.

Waldbrunner wurde am 25. November 1906 in Wien geboren. Nachdem er die Realschule absolviert hatte, begann Waldbrunner an der Technischen Hochschule Elektronik zu studieren. Er trat der Sozialdemokratischen Partei bei und wurde alsbald führender Funktionär der Sozialistischen Studenten. Wiewohl Waldbrunner als Diplomingenieur eine ausgewiesene Fachkraft war, fand er im Österreich der Weltwirtschaftskrise keine Arbeit und emigrierte daher in die Sowjetunion, wo er als leitender Ingenieur tätig war. Erst 1937 gab es für ihn auch in Österreich wieder einen Posten, und bis 1945 war Waldbrunner in leitender Funktion bei den Stahlwerken Schoeller-Bleckmann beschäftigt.

Die Kontakte zur Sozialdemokratie hatte Waldbrunner nie abreißen lassen, und so verwundert es nicht, dass Karl Renner ihn im April 1945 als Unterstaatssekretär für Industrie, Gewerbe, Handel und Verkehr in sein Kabinett holte. Nach den ersten freien Wahlen der Zweiten Republik - bei welchen Waldbrunner in den Nationalrat gewählt wurde - avancierte Waldbrunner zum Staatssekretär für Wirtschaftsplanung. Dieses Amt übte er allerdings nur drei Monate lang aus, ehe er im März 1946 als österreichischer Botschafter nach Moskau ging, um dort Wege und Möglichkeiten zur Erlangung eines Staatsvertrages für Österreich auszuloten.

Nach den Neuwahlen kehrte Waldbrunner nach Österreich zurück und wurde im November 1949 Minister für Verkehr und verstaatlichte Betriebe, was er bis Dezember 1962 bleiben sollte. In jener Zeit sprachen Kommentatoren gerne vom "Königreich Waldbrunner", stand er doch über 13 Jahre lang dem Herzstück der österreichischen Industrie vor. Betriebe wie die VÖESt galten als internationale Visitkarte Österreichs, das "LD-Verfahren" genoss Weltachtung, und das Wirtschaftswunder war zu einem nicht geringem Teil der Leistung der österreichischen Verstaatlichten zu verdanken. Kein Wunder, dass Waldbrunner große Popularität genoss.

Diese spiegelte sich auch in seinem innerparteilichen Aufstieg wider, wurde Waldbrunner doch stellvertretender Parteiobmann der SPÖ und Bundesobmann des BSA. Ab 1960 war er überdies Präsident der Konferenz der Europäischen Verkehrsminister.

Im Dezember 1962 schied Waldbrunner aus der Regierung aus und wurde in der Nachfolge von Friedrich Hillegeist Zweiter Präsident des Nationalrates. Im März 1970 krönte sich seine Karriere mit dem zweithöchsten Amt im Staate, welches er bis zum Ende der Legislaturperiode im November 1971 bekleidete, ehe er sich 65jährig aus der Politik zurückzog. Waldbrunner starb am 5. Juni 1980 in Wien.

In seinem Wirken vereinigten sich technische Intelligenz und Wirtschaftskompetenz, die er vor allem als Minister im öffentlichen, verstaatlichten Sektor geltend machte. Innerparteilich sowie als Zweiter und Erster Präsident des Nationalrats oder als Erster Vizepräsident der Oesterreichischen Nationalbank erwies er sich als stabilisierender politischer Faktor, der entscheidend an Österreichs Weg zum Wohlstand mitwirkte.

Im Anschluss an die Festreden wurde ein von Elisabeth Stenitzer gestaltetes Filmporträt Waldbrunners gezeigt, für die musikalische Umrahmung des Festakts sorgte das Nexus Quartett mit seinen Darbietungen.
 
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