Felicitas Hillmann referierte über "Geschlechtsspezifische Geographien der Migration"
Wien (rk) - "Die Konferenz 'Gender in Migration' ist innerhalb von eineinhalb Jahren die zweite
große Metropolis- Zwischenkonferenz in Wien und damit auch die zweite im deutschsprachigen Raum. Die Stadt
Wien setzt seit vielen Jahren auf die Themen Migration und Integration. Heute wollen wir den Fokus auf Migrantinnen
mit kleinem 'i' setzen. Wenn nicht genau hingesehen wird, wenn nicht die Geschlechterbrille aufgesetzt wird, dann
kommen Frauen in Betrachtungen einfach nicht vor", erklärte die Wiener Frauen- und Integrationsstadträtin
Sonja Wehsely am 11.12. bei der Eröffnung der 2. Metropolis- Zwischenkonferenz "Gender in Migration"
im Festsaal des Wiener Rathauses. Die Konferenz ziele darauf ab, die "Vielfalt in den unterschiedlichen Lebenssituationen
von Wienerinnen mit Migrationshintergrund herauszuarbeiten", konstatierte Wehsely. "Was brauchen die
Frauen? Was können wir als Stadt beitragen? Welche Rolle können NGOs und wichtige Akteure wie Wirtschaft,
Kunst, Medien etc. in diesem Zusammenhang spielen? Auf welche Aspekte soll die Forschung noch stärker blicken?",
skizzierte Wehsely die wichtigsten Fragestellungen der internationalen Konferenz.
Die Konferenz wurde vom Integrations- und Frauenressort der Stadt Wien organisiert. "Metropolis International",
unter dessen Schirmherrschaft die Konferenz stattfindet, ist ein seit 1995 bestehendes weltweites Netzwerk mit
dem Ziel, VertreterInnen aus Wissenschaft, Politik, und von NGO's einen permanenten Erfahrungsaustausch zum Thema
Integration zu ermöglichen. Zahlreiche Einrichtungen und Institutionen aus weit mehr als 20 Ländern sowie
internationalen Organisationen darunter auch die Europäische Kommission sind mittlerweile im Metropolis-Netzwerk
vertreten. Die Stadt Wien wurde bei der Konferenz 2001 in Rotterdam als erste Stadt Vollmitglied in diesem Netzwerk.
Felicitas Hillmann, Professorin am Institut für Geographie der Universität Bremen, hielt das Eingangsreferat
"Geschlechtsspezifische Geographien der Migration". Zwischen 1960 und 2000 habe sich die Migrationsbevölkerung
der Welt von 75 Millionen Menschen auf 175 Millionen Menschen erhöht. Der Frauenanteil sei nominal von 35
Millionen auf 85 Millionen gestiegen. Ab 1990 sei es zu einem sprunghaften Anstieg gekommen: In Nordamerika, Europa
und großen Teilen Asiens betrage der Frauenanteil der Migrationsbevölkerung bis zu 54 Prozent.
Die öffentliche Wahrnehmung von Migrantinnen habe sich seit den 1960er Jahren drastisch verändert. In
den 1960er Jahren seien Migrantinnen vorwiegend "als Anhängsel ihrer Ehemänner" rezipiert worden,
in den 1970er und 1980er Jahren seien sie als "defizitäre, unmoderne Menschen" wahrgenommen worden,
die daher zu unterstützen seien. In den 1990er Jahren seien Migrantinnen als "stark in ihren Rollenzuschreibungen
verhaftete Frauen" gesehen worden.
Migrantinnen würden häufiger Zwangsarbeit und sexueller Ausbeutung ausgesetzt als männliche Migranten
und "nehmen prekäre Arbeitsbedingungen eher hin", so Hillmann. Dies sei auf im Durchschnitt geringere
Bildung, auf Rollenzuschreibungen, auf geringere finanzielle und materielle Ressourcen, oft auf Gewaltanwendung
sowie auf eine generelle Feminisierung der Armut weltweit zurückzuführen.
In Deutschland seien 2003 rund 40 Prozent aller ausländischen Erwerbspersonen Frauen gewesen, die Erwerbsquote
ausländischer Frauen näherte sich mit über 41 Prozent jener der länger ansässigen Frauen
von 43,2 Prozent an. Insbesondere die Zahl der selbstständigen Frauen steige. Es zeige sich, dass beruflich
selbstständige ZuwanderInnen im Durchschnitt eine höhere berufliche Qualifikation und bessere Sprachkenntnisse
aufwiesen. Der Großteil der so entstandenen Unternehmen seien "Klein- und Kleinstunternehmen",
wobei die Arbeitsbelastung der Frauen besonders hoch ausfalle, schloss Hillmann.
City-Panel diskutierte Best-Practice-Beispiele
"Wien hat auch im internationalen Großstädtevergleich mit 18,8 Prozent ausländischen StaatsbürgerInnen
und 30 Prozent an WienerInnen mit Migrationshintergrund einen sehr hohen ZuwanderInnenanteil. Wir müssen diese
Situation so nützen, dass alle WienerInnen etwas von dieser Vielfalt haben", erklärte die Wiener
Frauen- und Integrationsstadträtin Sonja Wehsely. "Migrantinnen sind Frauen! Viele Probleme, mit denen
sie zu kämpfen haben, decken sich mit den Problemlagen von Frauen, die keine spezifische Migrationserfahrung
gemacht haben. Als Frauenstadträtin geht es mir zunächst darum, Frauen dabei zu unterstützen, ein
eigenständiges und selbst bestimmtes Leben zu führen", stellte Wehsely klar. Dabei sei "interkulturelle
Kompetenz" von allergrößter Wichtigkeit: "Interkulturelle Kompetenz darf aber niemals mit
Beliebigkeit verwechselt werden. Auch wenn ich weiß, warum Frauen aus bestimmten Regionen unterdrückt
werden, heißt das noch lange nicht, dass ich das auch akzeptiere."
Migrantinnen würden unterdurchschnittlich bezahlt, sie hätten noch häufiger als männliche Migranten
mit prekären Arbeitsverhältnissen zu kämpfen. "In einer solchen Situation fällt es schwer,
sich auch um sich selbst zu kümmern", so Wehsely. Frauen- und Integrationspolitik seien Querschnittsmaterien
für die Wiener Stadtverwaltung: "Wir müssen in allen gesellschaftlichen Bereichen fragen, wie die
Auswirkungen von Maßnahmen auf Frauen und Männer sowie ihre Beziehungen aussehen. Genauso müssen
wir diese Frage in Bezug auf die Betroffenheit von MigrantInnen stellen."
Wehsely skizzierte vier zentrale Handlungsfelder in Bezug auf Frauen in der Migration: Arbeitsmarkt, Spracherwerb,
Diversität als Standortfaktor und ältere Migrantinnen.
Am Arbeitsmarkt zeige sich in Österreich, dass das Verbot eigenständiger Erwerbstätigkeit für
Frauen, die insbesondere im Rahmen der Familienzusammenführung immigrierten, traditionelle Rollenbilder verfestige.
"In Wien haben wir spezifische Programme zur Qualifizierungsförderung von Frauen im Rahmen des Wiener
ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds. Diese werden von Migrantinnen entsprechend ihres Anteils an der Gesamtbevölkerung
genützt", so Wehsely. Arbeitsmarktpolitik müsse besonders bei den Mädchen ansetzen. "Auch
für Mädchen mit Migrationshintergrund liegt die Zukunft in technischen Berufen. Hier gibt es bessere
Verdienstchancen, bessere Aufstiegschancen und damit bessere Chancen auf ein eigenständiges Leben."
Besonderen Wert lege die Stadt auf das Ansprechen und Aufbrechen tradierter Familienbilder. "Die MA 17 (Integrations-
und Diversitätsangelegenheiten) hat hier einen Förderschwerpunkt gesetzt. Wir arbeiten an diesem Thema
intensiv mit den verschiedenen Communities", so Wehsely.
Zum Thema Spracherwerb stellte die Wiener Frauen- und Integrationsstadträtin klar: "Die Kenntnis der
deutschen Sprache ist der Schlüssel zum ersten Tor der Integration. Nur wer ausreichend Deutsch sprechen kann,
hat die Chance auf gesellschaftlichen Aufstieg der eigenen Person und der eigenen Töchter." Müttern
komme bei der Förderung von Mädchen eine besondere Rolle zu. Die Stadt Wien habe daher mit dem Programm
"Mama lernt Deutsch" gezielt auf den Spracherwerb von Müttern gesetzt.
Darüber hinaus zeige sich bei allen Spracherwerbsmaßnahmen in Wien, dass bei stimmigen Angeboten Kurse
auch angenommen würden. "Ich halte die Frage, ob man Menschen in Deutschkurse zwingen soll oder nicht,
für eine Phantomdiskussion. Ich kann nur raten, die Energie für diese Debatte zu investieren, um flächendeckend
Kurse anzubieten", betonte Wehsely.
Diversität als Standortfaktor werde immer stärker zum Thema. "Der Export von Waren und Dienstleistungen
nach Ost- und Südosteuropa ist vital für die Wiener Wirtschaft." Ziel müsse es daher sein,
den Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften durch das vorhandene Arbeitskräftepotenzial an MitarbeiterInnen
mit Migrationshintergrund in Wien zu decken. Auch die Stadt setze auf Ausbildung: "Gemeinsam mit unseren Unternehmungen
bildet die Stadt Wien 400 Lehrlinge aus. Das ist auch für Migrantinnen interessant und führt zu einer
Win-Win-Situation. Die Wiener Stadtverwaltung kommt ihrem langfristigen Ziel, ein Spiegelbild der Gesellschaft
zu sein, näher und die Jugendlichen erhalten eine hervorragende Ausbildung".
In den nächsten Jahren würden ältere Migrantinnen eine zentrale Herausforderung für Kommunen.
"Zu den spezifischen Bedürfnissen von Seniorinnen kommen die noch spezifischeren Bedürfnisse von
Migrantinnen. Damit müssen und damit werden wir uns auseinandersetzen", schloss Wehsely. |