Im Rahmen der Luther-Ausstellung lud die Evangelische Akademie Wien zur
Podiumsdiskussion in das Evangelische Gymnasium
Wien (epd Ö) - Spendensammlungen als moderner Ablasshandel? Von Rainald Tippow (Caritas Wien)
kommt ein klares Nein: Die Österreicherinnen und Österreicher spenden nicht wegen ihres schlechten Gewissens,
sondern weil sie gezielt in Notsituationen helfen wollen. Bei einer Podiumsdiskussion auf Einladung der Evangelischen
Akademie Wien ließ Tippow gemeinsam mit Michael Bubik vom Evangelischen Flüchtlingsdienst hinter die
Kulissen der Spendenmaschinerie blicken. Den Rahmen der von Waltraut Kovacic moderierten Diskussion bildete die
derzeit im Evangelischen Gymnasium laufende Luther-Ausstellung.
„Luther hat sich Sorgen gemacht, dass sich’s die Leute leichtmachen und zum Heil über den Ablass gelangen
wollen“, erklärte Michael Bubik. Heute liege das Spendenvolumen in Österreich zwischen 250 und 400 Millionen
Euro, wobei im Durchschnitt jede/r rund 60 Euro pro Jahr spende. Hier räumte Tippow gleich mit einem „Mythos“
auf: Die ÖsterreicherInnen wären bei weitem keine Spendenweltmeister. Bei großen Spendenaktionen
wie etwa dem Tsunami lag Österreich unter acht Staaten mit 6,10 Euro pro Kopf an siebter Stelle, „Spendenweltmeister“
war damals die Schweiz, wo jede/r durchschnittlich mit 23 Euro den Flutopfern half. Und noch einen „Mythos“ korrigierte
Tippow: Die ÖsterreicherInnen spenden nicht in erster Linie für Tiere, wie häufig angenommen, sondern
am liebsten für Kinder. An zweiter Stelle, noch vor den Tieren, rangieren Inlandskatastrophen. Gespendet wird
generell aus „partizipatorischem Altruismus“, so Michael Bubik. Motive sind die Freude, anderen zu helfen, sich
selber großzügig und hilfsbereit erleben zu wollen, das Bedürfnis nach Anerkennung und Prestige
oder Schuldgefühle gegenüber Schlechtergestellten. Die ÖsterreicherInnen spenden zudem primär
nach ihrer Einschätzung, ob die Notsituation selbst verschuldet ist oder nicht – ein „unbiblischer Ansatz“,
kritisierte Tippow. Kritik fand auch ein weiteres Phänomen: Spendengeber wollen, so der Caritas-Experte, oft
das Zielobjekt kennenlernen und beispielsweise ihre Spende persönlich übergeben. Hier habe die Caritas
schon Spendenangebote ablehnen müssen, um „beschämende Situationen“ zu vermeiden. Problematisch sei auch
das Spendenüberangebot zu Weihnachten im Vergleich zum restlichen Jahr.
Einig waren sich Bubik und Tippow, dass es nicht bei der „tätigen Caritas“ bleiben darf, sondern die „politische
Caritas“ folgen müsse, um Elend an der Wurzel zu bekämpfen – auch wenn Menschen, die für unmittelbare
Hilfe gerne spenden, die notwendige politische Arbeit oft heftig kritisierten. Dass in der politischen Arbeit auch
immer wieder aufgezeigt werden muss, wie gefährdet die Demokratie ist, hat Michael Bubik beim Aufbau der Flüchtlingsarbeit
erfahren. Wie es um die Demokratie steht, „sehen wir daran, wie mit Schwachen, mit Minderheiten umgegangen wird“.
Gerade auch für die politische Arbeit sei ein hohes Spendenaufkommen „enorm wichtig“, denn: „Nur wenn der
Staat merkt, dass genügend Leute für die Hilfsorganisationen spenden, werden wir auch politisch ernstgenommen.“
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