Außenministerin Ursula Plassnik zum Europäischen Rat
Brüssel (bmaa) - "Europa hat wieder Mut zur offenen Diskussion gefunden" erklärte
Außenministerin Ursula Plassnik zur Debatte im Rahmen des Europäischen Rates zur Erweiterung und zur
Frage der Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union. "Österreich hat sich hartnäckig dafür
eingesetzt, das Kriterium der Aufnahmefähigkeit auf die EU-Agenda zu setzen. Dass jetzt eine offene Orientierungsdebatte
unter den Mitgliedstaaten zur Erweiterung stattfindet, ist ein großer Fortschritt und auch Verdienst der
geduldigen österreichischen Vorarbeit", unterstrich Plassnik. "Durch dieses Thema zieht sich ein
rot-weiß-roter Faden".
Jetzt sei es entscheidend - so die Außenministerin - das Konzept der Aufnahmefähigkeit praktisch anwendbar
zu machen: "Keine akademische Übung, sondern konkrete Umsetzung ist gefragt. Dabei geht es nicht um ein
kategorisches Aufstellen von Grenzbäumen oder um die Errichtung künstlicher Hürden. Die Aufnahmefähigkeit
ist vielmehr eine Frage des gesunden Hausverstandes: Was kann die Union an Neuaufnahmen verkraften?"
Neben den so genannten Folgen-Abschätzungen (impact assessments) zur Beurteilung der Auswirkung einer möglichen
Erweiterung für sensible EU-Politikbereiche komme aus österreichischer Sicht insbesondere der Kommunikation
Bedeutung zu. "Dieser Punkt wurde bislang vernachlässigt. Wir haben in der Vergangenheit allzu sehr darauf
vertraut, dass die Vorteile der EU-Erweiterung für jeden augenscheinlich sind. Manchen ist es aber in den
letzten Jahren zu schnell gegangen. Wir müssen daher aktiv auf die Ängste und Anliegen der Bürger
eingehen. Jeder Erweiterungsprozess muss umsichtig und sorgfältig vorbereitet und von einer nachhaltigen und
offenen Kommunikationspolitik begleitet werden. Die EU muss die Bürger an Bord haben, will sie die Erweiterung
zum Erfolg machen", so Plassnik.
Mit dem Beitritt Rumäniens und Bulgariens am 1.1.2007 werde die sechste Erweiterungsrunde seit Beginn der
europäischen Integration abgeschlossen. "Die Geschichte hat uns mit dem Fall des Eisernen Vorhangs vor
eine epochale Herausforderung gestellt. Wir haben sie sehr gut bestanden. Die schrittweise Wiedervereinigung Europas
durch Ausdehnung des europäischen Raums der Freiheit und des Rechts wird vor der Geschichte Bestand haben",
sagte die Außenministerin.
Das Tempo der Erweiterung der EU werde jetzt aber geringer. Die Union werde die Prozesse sehr umsichtig und sorgfältig
vorbereiten, nach innen wie nach außen. "Künftige Erweiterungsprozesse dürfen nicht zur Aushöhlung
unseres gemeinsamen Besitzstandes führen. Das muss - im Interesse der gegenwärtigen und künftigen
Mitglieder - sichergestellt sein."
Das bedeute keineswegs, dass die Tür zugemacht wird. Insbesondere für den am Horizont stehenden Balkan
bleibe die klare europäische Perspektive gesichert. "Der Europäische Rat wird ein sehr positives
Signal aussenden und klarstellen, dass die Staaten des Westbalkans als Freunde und Nachbarn in der EU willkommen
sind", betonte Plassnik. Dies gelte selbstverständlich auch für Serbien. "Mit der gestrigen
Unterzeichnung der Partnerschaft für den Frieden hat Serbien seine Isolierung durchbrochen. Das ist ein Erfolg
für die proeuropäischen Kräfte im Land und ein weiterer konsequenter Schritt in der Heranführung
an die europäische Wertefamilie", so die Außenministerin.
Die Außenminister berieten unter anderem auch über die Lage im Nahen Osten, Iran und den Sudan. Zur
Lage im Nahen Osten betonte Plassnik, dass die Festigung des Waffenstillstandes zwischen Israelis und Palästinensern
und dessen mögliche Ausweitung auf das Westjordanland ein wichtiges Element auf dem Weg zu einer friedlichen
Koexistenz beider Völker sei. "Der nächste Baustein muss nun die Bildung einer Regierung der nationalen
Einheit im Rahmen der palästinensischen Verfassung sein. Gerade die heutigen Zusammenstösse im Gaza-Streifen
zeigen, wie wichtig jede Bemühung um einen innerpalästinensischen Dialog ist", so die Außenministerin.
"Derzeit gibt es wieder gewisse vorsichtige Hoffnungszeichen in der Region. Zugleich stehen aber auch dunkle
Wolken am Horizont - eine sich zuspitzende Krise im Libanon und eine zunehmende humanitäre und wirtschaftliche
Notlage in den palästinensischen Gebieten. Gerade jetzt ist nachhaltiges internationales Engagement gefordert.
Die Politik darf sich nicht wieder die Initiative von Extremisten entreißen lassen". |