Unterschiedliche Bewertung der wirtschaftlichen Lage in Österreich  

erstellt am
15. 12. 06

Aktuelle Stunde im Nationalrat
Wien (pk) - "Mehr Jobs, mehr Wachstum, mehr Innovation – Österreichs Wirtschaft auf Erfolgskurs." Unter dieses Thema stellte die ÖVP die Aktuelle Stunde, mit der der Nationalrat am 14.12. seine Plenarsitzung eröffnete. ÖVP-Klubobmann Mag. MOLTERER eröffnete die Debatte mit Zitaten aus Medien der jüngsten Zeit, die über die gute wirtschaftliche Situation Österreichs berichteten. Das Wirtschaftswachstum liege nach OECD bei 3,2 %, nach der Nationalbank sogar bei 3,3 %, die Wirtschaftsforschungsinstitute würden demnächst ihre Wachstumsprognosen nach oben revidieren. Damit liege Österreich vor der Eurozone, ja sogar vor Japan und den USA, betonte Molterer.

Wirtschaftswachstum sei aber kein Selbstzweck, sondern Voraussetzung für Vollbeschäftigung – und die bleibe ein zentrales Anliegen seiner Fraktion. In der Kaufkraftparität habe Österreich eine "Schallmauer" durchbrochen und die Schweiz überholt, fuhr der Redner fort. Österreich verzeichne die seit 25 Jahren günstigste Wirtschaftsentwicklung, eine stabile Entwicklung des Wachstums und einen nachhaltigen Wachstumspfad. Unter diesen Voraussetzungen sei das Vollbeschäftigungsziel bis 2010 erreichbar. "Wir sind auf einem guten Weg", fasste der VP-Klubchef zusammen.

Molterer ging auf das Lob ein, das der Internationale Währungsfonds und die EU-Kommission Österreich ausgesprochen haben und sprach sich dafür aus, auf diesem soliden Fundament weiterzubauen. Als Eckpunkte dafür skizzierte er einen ausgeglichenen Haushalt und stabile Staatsfinanzen, Investitionen in die Zukunft, Entlastungen bei Steuern und Abgaben sowie eine Staats- und Verwaltungsreform. Weder ein "arbeitsloses Grundeinkommen" noch ein gesetzlicher Mindestlohn seien ein Ziel dieser Politik.

Wirtschafts- und Arbeitminister Dr. BARTENSTEIN wies darauf hin, dass der Erfolg Österreichs in einem eher mäßigen europäischen Konjunkturumfeld zu sehen sei. Auch er bekannte sich dazu, das Wirtschaftswachstum für Arbeitsplätze und Wohlstand zu nützen. Positiv wertete der Minister auch, dass das Wachstum nicht allein vom Export getragen werde – bei dem heuer die Marke von 100 Mrd. € übertroffen werde –, sondern auch durch den Inlandskonsum und private Investitionen gestützt werde.

Als Ziele nannte der Minister die Anhebung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf 3 % des BIP bis zum Jahr 2010 – ein Ziel, das er mit Hinweis auf die in den Koalitionsverhandlungen vereinbarten zusätzlichen 800 Mio. € erreichbar nannte. Es gelte aber auch, die allgemeine positive Wirtschaftsentwicklung für den einzelnen spürbar zu machen. Bartenstein nannte in diesem Zusammenhang die Stärkung der Mitarbeiterbeteiligung. Einer gesetzlichen Festlegung von Mindestlöhnen erteilte er eine Absage; einem von den Sozialpartnern auszuverhandelnden General-Kollektivvertrag sei hier der Vorzug zu geben.

Die am 1. Oktober abgewählte Bundesregierung habe ein schweres Erbe hinterlassen, setzte Abgeordneter Dr. MATZNETTER (S) als nächster Redner andere Akzente. Er wies auf die reduzierten Währungs- und Geldreserven der Nationalbank, die weiter gestiegenen Staatsschulden und auf 20 Mrd. € "bei Schiene und Straße versteckte Schulden" hin und ergänzte in diesem Sinn das Motto für die Aktuelle Stunde: "Wir brauchen mehr Jobs, mehr Wachstum, mehr Innovation". Kritisch vermerkte der Abgeordnete weiter, dass Österreichs Wachstum seit dem Jahr 2000 die meisten Jahre unter dem EU-Durchschnitt gelegen sei, und auch die Arbeitslosigkeit sei erst im letzten Jahrzehnt drastisch angestiegen.

Abgeordneter Matznetter sei "im falschen Film", mutmaßte Abgeordneter Dr. MITTERLEHNER (V) als nächster Redner. Immerhin liege Österreichs Wachstum nicht geringfügig, sondern um 0,5 Punkte über dem der EU, es gäbe 5.000 Lehrstellen mehr, der Export boome. 3 Mrd. € staatliche Mehreinnahmen würden die Richtigkeit der Steuerreform beweisen. Der Redner warnte davor, die erwirtschafteten Gewinne gleich neu zu verteilen, sie sollten vielmehr für Investitionen zur Hilfe bei Umstrukturierungen genützt werden. Generell warnte Mitterlehner vor "zu starken Markteingriffen" und dem Verteilen von Mitteln durch die "Gießkanne".

G-Abgeordnete SBURNY äußerte Zweifel an den von ihrem Vorredner genannten 3 Mrd. € Mehreinnahmen und forderte mit Hinweis auf eine Äußerung des Chefs des Staatsschuldenausschusses Felderer ein Nulldefizit ein. Österreichs gute wirtschaftliche Position sei unbestreitbar, meinte die Rednerin weiter, aber angesichts struktureller Probleme helfe "nur mehr Geld" nicht weiter. Österreich sei vielfach nur "Anwender" von Innovation, nicht "originärer Innovateur", kritisierte Sburny und sah "dramtischen Veränderungsbedarf", etwa in Richtung einer Erhöhung der Akademikerquote.

Statt einer "aktuellen Stunde" gebe es eine "aktuelle Märchenstunde", meinte FP-Klubobmann STRACHE in Richtung ÖVP. Über 293.000 Menschen seien arbeitslos, rechne man die in Schulungen "geparkten" Personen dazu, kritisierte der Redner, und viele der neuen Jobs seien unterbezahlte Teilzeitjobs. Gut gehe es den großen Konzernen, bei den kleinen und mittleren Unternehmen habe die Regierung aber "geschlafen". Bei den Abgaben auf Arbeit liege Österreich vier Punkte über dem europäischen Durchschnitt. Strache sprach sich u.a. für die Abschaffung der Erbschaftssteuer bei Firmenübergaben innerhalb der Familie aus.

BZÖ-Klubobmann WESTENTHALER äußerte Sorge um Österreich, wenn die SPÖ Regierungsverantwortung übernehme. Damit drohe die Rückkehr zu Zeiten höchster Abgaben, hoher Arbeitslosigkeit, der Regulierungswut und der Verbotspolitik. Von der Hochkonjunktur sollten alle, Arbeitnehmer und Unternehmer, profitieren können. Westenthaler sprach sich für verstärkte Mitarbeiterbeteiligung im Sinn eines Investivlohns aus und forderte eine neue Partnerschaft von Arbeitnehmern und Unternehmern sowie die Gleichstellung von Männern und Frauen bei der Entlohnung ein.

Die wirtschaftliche Lage habe sich zwar gebessert, doch seien trotz Wirtschaftswachstum über 300.000 Menschen – einschließlich der Personen in Schulung und der Bezieher von Pensionsvorschüssen oder Übergangsgeldern – ohne Arbeit, stellte Abgeordnete CSÖRGITS (S) fest. Viele junge Menschen seien arbeitslos, viele Familien seien der Armut preisgegeben. Sie sprach sich für eine gezielte bedarfsorientierte Grundsicherung und eine aktive Arbeitsmarktpolitik aus. Es gäbe viele gute Ansätze, meinte Csörgits, und betonte, ihre Fraktion wolle "die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit mit allen Mitteln".

Abgeordneter AMON (V) fand es bedauerlich, dass man sich angesichts der guten Wirtschaftsdaten nicht gemeinsam freue. Österreich sei ein guter Wirtschaftsstandort, und dazu trage auch das Bildungssystem bei. Amon warnte davor, die mit dem dualen Ausbildungssystem erreichten Erfolge zu gefährden, indem man das duale System über Bord werfe.

Abgeordneter Mag. ROSSMANN (G) forderte einen Kurswechsel in der Budget- und Wirtschaftspolitik. Seiner Meinung nach könne man nicht von einem nachhaltig sanierten Budget sprechen, und auch von Vollbeschäftigung könne keine Rede sein. Die Zahl der Vollzeitarbeitsplätze sei nämlich gesunken und jene der prekären Arbeitsverhältnisse stark angestiegen. Seit dem Jahr 2001 habe die Arbeitslosigkeit enorm zugenommen und heute seien mehr als 1 Million Österreicherinnen und Österreicher armutsgefährdet. Eine Erfolgsstory sehe anders aus, sagte Rossmann, vielmehr müsse man vor diesem Hintergrund von einer Schande sprechen.

Selbstverständlich sei das Wirtschaftswachstum ein entscheidender Hebel für die Senkung der Arbeitslosigkeit, dafür brauche man aber 3 % Wachstum, prognostiziert seien jedoch nur rund 2 %. Dass Österreich und Europa das weltwirtschaftliche Wachstum nicht nützen können, liegt laut Rossmann am Konzept, das einseitig auf Liberalisierung und Wettbewerb setze. Es fehle an einer griffigen Wettbewerbspolitik, hielt er fest, und die Innovationsstrategie sei nicht mit Weiterbildung verknüpft worden. Man habe die gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge, z.B. die Binnenmarktnachfrage, ausgeblendet, sagte Rossmann und unterzog auch die Politik der Europäischen Zentralbank einer Kritik.

Abgeordneter THEMESSL (F) bezeichnete es als beschämend, dass man den PensionistInnen bei der letzten Erhöhung nur ein, wie er es ausdrückte, Almosen gegeben habe. Er warf der ÖVP vor, Lobhudelei zu betreiben, denn die Bundesregierung habe höchstens ein gutes Mittelmaß in der Wirtschaftspolitik erreicht. Die Politik selbst schaffe keine Jobs, meinte er, das mache nur die Wirtschaft. Themessl bemängelte die Neuregelung der KOEST insofern, als dabei die Humanressourcen nicht berücksichtigt worden seien. Auch habe man die Klein- und Mittelbetriebe völlig vergessen. Die Abgabenquote sowie die Lohn-Nebenkosten lägen noch immer über dem EU-Durchschnitt und die Arbeitslosenzahlen seien höher als je zuvor. Die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung sei daher keinesfalls erfolgreich, so sein Resümee.

Abgeordneter SCHALLE (B) konterte, die Wirtschaft der letzten Jahre habe Positives für die Gesamtbevölkerung bewirkt, und zitierte zur Untermauerung dessen Medienberichte aus dem In- und Ausland. In vielen Fällen habe Österreich eine Vorreiterrolle eingenommen. So sei beispielsweise die Budgetpolitik vorbildhaft für ganz Europa geworden. Das Ziel dieser Politik, ein ausgeglichenes Budget über den Konjunkturzyklus, die Senkung der Abgabenquote auf 40 % und ein nachhaltiges Wachstum müsse auch von der künftigen Regierung weiter verfolgt werden, forderte Schalle. Die Konjunkturpakete hätten bewirkt, dass das BIP seit 2000 um 13,2 % gestiegen sei. Die Arbeitslosenraten seien im Sinken begriffen, so Schalle weiter, und im EU-Ranking nehme Österreich bei der Innovation bereits Platz 5 ein. Schalle sprach sich auch dezidiert für die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten aus.
 
zurück