EU-Gipfel / Türkei-Frage / Erweiterung  

erstellt am
13. 12. 06

Swoboda: Keine EU-Erweiterung ohne Vertiefung
Wien (sk) - "Nicht die Quantität der Mitgliedsländer sondern die Qualität der Institutionen und der Politik bestimmen den Erfolg der Europäischen Union", betonte der SPÖ- Europaabgeordnete Hannes Swoboda am 12.12. in der Aussprache zur Erweiterung der Europäischen Union im Plenum des Europäischen Parlaments in Strassburg. "Im Bewusstsein der durchaus erfolgreichen Erweiterung der Union ist es jetzt höchste Zeit die Entscheidungsfähigkeit der Union zu stärken, bevor die nächsten Schritte der Erweiterung vollzogen werden", so Swoboda.

"Voraussetzung dafür ist einerseits ein Verfassungsvertrag, der nicht diesen Namen tragen, aber die Kernelemente des Entwurfs beinhalten muss, andererseits auch eine ausreichende finanzielle Basis. Vor der Aufnahme neuer Mitglieder muss der Verfassungsprozess abgeschlossen werden und eine neue Budgetstruktur geschaffen werden. Nur so kann die Integrationsfähigkeit der EU hergestellt werden", fordert Swoboda.

"Parallel dazu müssen die Versprechen der EU eingehalten werden bzw. die Verhandlungen mit den Ländern des Balkans fortgesetzt oder aufgenommen werden. Auch im Europäisierungsprozess der Türkei müssen im Interesse der EU weitere Schritte unternommen werden. Die klare Haltung der EU muss aber auch zum Ende der wirtschaftlichen Isolierung Nord-Zyperns führen. Zypern sollte sein Veto gegen die Unterstützungsmaßnahmen der EU aufgeben", so der SPÖ-Europaabgeordnete.

Für die Länder um das Schwarze Meer (Ukraine, Moldawien, Süd-Kaukasus) schlägt Swoboda eine EU-Schwarzmeer Gemeinschaft vor, um den östlichen Nachbarn eine Anbindung an die EU zu ermöglichen, die auch zu einer späteren Mitgliedschaft führen kann ohne allerdings automatisch folgen zu müssen.

 

 Schüssel: Kein Automatismus bei der Erweiterung
Wien (övp-pk) - Die Frage der EU-Erweiterung ist ein Schwerpunkt des EU-Rates am 14. und 15. Dezember. Die Strategie Österreichs, bei der Beitrittsperspektive der Türkei eine klare Präzisierung vorzunehmen, hat sich dabei im Kreis der EU Außenminister als absolut mehrheits- und konsensfähig erwiesen. Es gebe keinen Automatismus und das Ende der Beitrittsverhandlungen sei offen, sagte heute, Dienstag, Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Außenministerin Dr. Ursula Plassnik im Anschluss an den EU-Hauptausschuss. Es sei zudem "vollkommen klar, dass nicht nur die Beitrittskandidaten Bedingungen zu erfüllen hätten, sondern auch die Union aufnahmefähig sein muss".

"Die Verhandlungen mit der Türkei sind ein offener Prozess. Das bedeutet, dass auch andere Dinge als eine Vollmitgliedschaft möglich sind.", so Schüssel. Die österreichische Position sei nach wie vor unverändert: "Keine Einbahnstraße und sicher kein Förderband, das nicht gestoppt werden kann, sondern ein kluger Prozess, der sicherstellt, dass die Türkei näher an Europa herangeführt wird."

Der Kanzler verwies darauf, dass sich die konsequente Position Österreichs in der Frage der Türkei als richtig erwiesen habe. "Wir stehen zu diesen Verhandlungen - Kapitel für Kapitel -, am Ende wird dann zu entscheiden sein, wo wir stehen. Wenn es zu einem Vollbeitritt kommt, dann jedenfalls nicht ohne Volksabstimmung in Österreich." Schüssel glaubt persönlich allerdings nicht an einen Vollbeitritt der Türkei.

Ebenfalls diskutieren werden die Staats- und Regierungschefs die Fragen der Migration sowie der inneren Sicherheit, und hier konkret die Erweiterung des Schengenraumes. Schüssel: "Wenn alles nach Plan verläuft und die Länder alle Sicherheits-Auflagen erfüllen, könnten ab 2008 hier sukzessive Integrationsschritte vorgenommen werden."

Ferner wird es beim EU-Rat zu einer Präzisierung der unter der österreichischen Präsidentschaft vorgenommenen Ziele kommen. Als Beispiel nannte der Kanzler das Thema erneuerbare Energien. "Unter deutscher Präsidentschaft wird zu diesem Thema eine Substanzdebatte stattfinden."

Im Zusammenhang mit der ebenfalls auf der Tagesordnung des Rates stehenden Innovations- und Forschungspolitik erinnerte der Kanzler abschließend an die Bewerbung Österreichs für den Sitz des Europäischen Instituts für Technologiepolitik.

 

 Lunacek: Lunacek kritisiert großkoalitionäre Einigkeit vor Europäischem Rat
Wien (grüne) - Die "großkoalitionäre Einigkeit" im heutigen Hauptausschuss ist eine "demokratiepolitische Absurdität", kritisiert Ulrike Lunacek, außenpolitische Sprecherin der Grünen, die Tatsache, dass beim Europäischen Rat am Ende der Woche immer noch der seit nunmehr zehn Wochen abgewählte Bundeskanzler die Vertretung Österreichs innehat - für eine Koalition, die am 1. Oktober eindeutig abgewählt wurde.

"Die SPÖ hat sich von der ÖVP wieder einmal über den Tisch ziehen lassen und sowohl einen gemeinsamen Antrag mit der ÖVP für den Europäischen Rat formuliert als auch einem Antrag der Grünen zur Anti-Atompolitik auf EU-Ebene die Zustimmung verweigert," kritisiert Ulrike Lunacek, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Hauptausschuss, den "Umfaller" der SPÖ. "Von der ÖVP ist bekannt, dass sie sich auf europäischer Ebene in der Anti-Atompolitik nicht festlegen will und immer darauf pocht, dass Energiepolitik nationale Politik ist. Die SPÖ sah das anders, als sie noch eindeutig in Opposition war," so Lunacek.

In der EU-Türkeifrage begrüßt Lunacek die Tatsache, dass im Beschluss der EU-AußenministerInnen vom 11.12. auch eine klare Aufforderung an die Republik Zypern enthalten ist, endlich die Blockade des Inselnordens aufzugeben und damit die seit 2004 offenen Versprechungen der EU zur Finanzhilfe und zum Ende des Handelsembargos endlich einzuhalten. Kritik übt Lunacek an der Aussage Plassniks, es handle sich um einen "de facto Verhandlungsstopp": "Zum Glück ist dieser nicht erreicht worden, über andere Kapitel wird nämlich weiterhin verhandelt und die Beitrittsperspektive für die Türkei - bei Erfüllung der Kopenhagener Kriterien - offen gelassen."

In der Migrationsfrage kritisiert Lunacek, dass zwar mehr Dialog mit den afrikanischen Staaten geplant sei, die mangelnde Kohärenz zwischen der EU-Außenwirtschafts- und Agrarpolitik mit der Entwicklungspolitik zu wenig Thema sei: "Solange in der EU die Subvention landwirtschaftlicher Exporte millionenschwer gefördert wird, ist es kein Wunder, dass die lokalen Bäuerinnen und Bäuern auf ihren eigenen afrikanischen Märkten keine Chance haben - und damit die jungen Menschen auch keine Perspektiven für eine Zukunft im eigenen Land," kritisiert Lunacek die "halbherzigen Bemühungen der EU". "Die Stärkung der Grenztruppe FRONTEX als vorrangiges Mittel gegen Migration ist einer auf Menschenrechtswerten beruhenden

Europäischen Union unwürdig," betont Lunacek abschließend.

 

 Schlappe für Bundesregierung in Brüssel
EU setzt nur einen Teil, aber nicht die ganzen Beitrittsgespräche aus
Wien (fpd) - Außenministerin Ursula Plassnik und Kanzler Schüssel versuchten ihre Niederlage im EU-Außenministerrat als Erfolg zu verkaufen. Immerhin habe die EU doch acht von 35 Kapiteln der Beitrittsverhandlungen ausgesetzt – aber nicht die ganze Verhandlung, wie sie von den beiden im Vorfeld gefordert wurde.

Der türkische Ministerpräsident Erdogan kann dagegen jubeln. Seine Erpressungsversuch mit Zypern ist gelungen. Denn Ankara braucht das EU-Mitglied Zypern nicht anzuerkennen, und dennoch laufen die Beitrittsverhandlungen weiter. Ja, nachdem im Vorfeld schon 250 Millionen Euro in den türkischen Nordteil Zyperns geflossen sind, erhält dieser jetzt weitere wirtschaftliche Unterstützung aus Brüssel – und damit quasi die Anerkennung.

Auch die Heranführung der Türkei an die EU wird mit Millionen aus Brüssel fortgesetzt, ungeachtet der Nichterfüllung des „Ankara-Protokolls“ durch die Türkei. In diesem verlangte EU über den Umweg einer ausgeweiteten Zollunion mit der Türkei die Anerkennung der EU-Mitglieds Zyperns - als Voraussetzung für die Beitrittsverhandlungen.

Ein letzter Versuch der FPÖ, die Bundesregierung vor dem EU-Gipfel auf die EU-Verträge einzuschwören scheiterte. Klubobmann Heinz-Christian Strache und die freiheitlichen Abgeordneten Barbara Rosenkranz und Reinhard Bösch haben im Hauptausschuss noch versucht, mit einem Antrag den sofortigen Abbruch der Vollbeitrittsverhandlungen mit der Türkei zu ereichen. Dieser wurde von den anderen Parteien jedoch abgewiesen.

Klubobmann Strache übte in diesem Zusammenhang Kritik am halbherzigen Vorgehen der EU. Der Beschluss der EU-Außenminister, acht von 35 Verhandlungskapiteln einzufrieren, sei "weder Fisch noch Fleisch, sondern verlängere nur das Leiden". Ein sofortiger Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit Ankara wäre die einzig richtige Entscheidung gewesen.
 

Wir übernehmen hier Stellungnahmen aller im Parlament
vertretenen Parteien – sofern vorhanden! Die Redaktion

 
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