Die Erforschung der Wiener Sinneslandschaften
Wien (boku) - Die Stadt ist ein multipler sensorieller Lebensraum, der alle Sinne anspricht. Mit
zwei dieser Sinne, dem Geruchssinn und dem Tastsinn, wird sich ab 2007 ein interdisziplinäres Forschungsteam
von Kunstphilosophen, Chemikern, Botanikern, Designern und Kunstpädagogen von mehreren Wiener Universitäten,
darunter auch die BOKU Wien, im Rahmen eines vom WWTF geförderten Forschungsprojekts "Tast- und Duftdesign:
Ressourcen für die Creative Industries in Wien" befassen. Am Beispiel ausgewählter Wiener Parks
und Gärten, des öffentlichen Verkehrs, von Kaffeehäusern, öffentlichen Plätzen, Antiquitätenläden
und Spielplätzen wird das Forschungsteam mit unterschiedlichen Methoden untersuchen, welche Gerüche und
Tastmaterialien die spezifischen Sinneslandschaften Wiens ausmachen und wie sie von der Wiener Stadtbevölkerung
bewertet werden. Das Projekt wird von den Initiatoren als ein Beitrag zum "5D-Design" bzw. zum holistischen
Design betrachtet, der durch konkrete Analysen erforschen wird, wo Architekten, Stadtplaner, Gartengestalter und
Designer eingreifen können und welche Erwartungen an und in Wien für ein elaboriertes Tast- und Duftdesign
bestehen.
Düfte und Materialien sind Qualitäten, die zumeist unbemerkt bleiben, uns aber an einen Ort binden oder
die Erinnerung an eine Stadt nachhaltig prägen. Jahreszeiten, Räume und Feiern sind stets mit Gerüchen
verbunden: der Flieder im Mai, der Würstelstand, die Weihnachtsmärkte, der Kaffee- und Tortengeruch in
den Cafés, sogar die Pferdeäpfel der Wiener Fiaker oder der Malzgeruch der Brauerei in Ottakring bilden
alle ein olfaktorisches Stadtporträt, das kaum je Eingang in touristische Prospekte findet. Die Atmosphäre
- oder wortwörtlich das "Flair" - der Stadt Wien ist auch diesen Gerüchen zu verdanken. Allerdings
gibt es kaum etwas Flüchtigeres als die Gerüche. Wie Wien einst roch, lässt sich bestenfalls noch
aus dem Gedächtnis der älteren Generationen Wiens erschließen. Auch Interviews mit Migrantinnen
und Migranten werden dem Forschungsteam bei der Erstellung eines Duftkalenders und von Duftkarten der Stadt Wien
dienlich sein - zusätzlich zu Duftmessungen und Duftanalysen in ausgewählten Wiener Stadtteilen. Als
Alternative zu geläufigen Stadtführungen sollen Möglichkeit gefunden werden, "Duftführungen"
zu organisieren, sei es zu besonderen Plätzen von Wien, sei es durch den experimentellen Duftgarten an der
Wiener Universität für Bodenkultur.
Außer den Düften werden auch die Eindrücke der Berührungen von Materialien in Cafés,
im öffentlichen Verkehr oder auf Spielplätzen untersucht. Wie "sieht" Wien eigentlich für
Blinde und Rollstuhlfahrer aus? Auf welche Weise kann die Stadt Wien noch lebenswerter gestaltet werden? Das Projekt
beabsichtigt, eine Datenbank der spezifischen Wiener Gemütlichkeit zum Gebrauch von Architekten und Designern
zu erstellen. Die Stärke des Forschungsteams besteht nicht nur in seinem interdisziplinären Charakter
- zwischen Geistes-, Natur-, und Kunstwissenschaften sowie den "Kreativen" der Creative Industries -,
sondern auch in der Zusammenarbeit von etablierten und jungen Forscherinnen und Forschern: Univ.-Prof. James G.
Skone, Leiter der Abteilung Design, Architektur und Environment für Kunstpädagogik an der Universität
für angewandte Kunst Wien, ist ein Designer mit über 30 Jahren Erfahrung in der Produktentwicklung und
im -design, Gewinner zweier österreichischer Staatspreise und einer Vielzahl internationaler Designauszeichnungen.
Univ.-Prof. Dr. Gerhard Buchbauer ist Autor von über 350 wissenschaftlichen Aufsätzen, darunter zahlreiche
zur wissenschaftlichen Aromatherapie, auch in Zusammenarbeit mit VAss. Dr. Eva Heuberger, die eine internationale
Forschungserfahrung im Bereich der Wirkungen der Düfte auf das Nervensystem, die Befindlichkeit und das Verhalten
vorweisen kann. VAss. Dr. Ruth Mateus-Berr hat mit den Studierenden der Universität für angewandte Kunst
Wien Projekte zum holistischen Design durchgeführt und initiierte gemeinsam mit Ass.-Prof. Mag. Igor Lintz-Maués
(Universität für Musik und darstellende Kunst Wien) und Mag. Franz Pomassl (Akademie der bildenden Künste
Wien) die Vortragsreihe "I-Sinne" zu den intermedialen Sinnen. Und Mag. Marie- Louise Oschatz hat an
der Wiener Universität für Bodenkultur einen experimentellen "Duftgarten" gestaltet. Projektleiterin
Univ.-Doz. Dr. Mãdãlina Diaconu hat sich in ihrem Buch "Tasten, Riechen, Schmecken. Eine Ästhetik
der anästhesierten Sinne" (Würzburg, 2005), in zahlreichen Fachartikeln und Vorträgen für
eine ästhetische Theorie aller Sinne gegen den theoretischen Vorrang des Sehens und des Hörens in der
Kunsttheorie ausgesprochen. |