Wien – Gerochen & Gefühlt  

erstellt am
08. 01. 07

Die Erforschung der Wiener Sinneslandschaften
Wien (boku) - Die Stadt ist ein multipler sensorieller Lebensraum, der alle Sinne anspricht. Mit zwei dieser Sinne, dem Geruchssinn und dem Tastsinn, wird sich ab 2007 ein interdisziplinäres Forschungsteam von Kunstphilosophen, Chemikern, Botanikern, Designern und Kunstpädagogen von mehreren Wiener Universitäten, darunter auch die BOKU Wien, im Rahmen eines vom WWTF geförderten Forschungsprojekts "Tast- und Duftdesign: Ressourcen für die Creative Industries in Wien" befassen. Am Beispiel ausgewählter Wiener Parks und Gärten, des öffentlichen Verkehrs, von Kaffeehäusern, öffentlichen Plätzen, Antiquitätenläden und Spielplätzen wird das Forschungsteam mit unterschiedlichen Methoden untersuchen, welche Gerüche und Tastmaterialien die spezifischen Sinneslandschaften Wiens ausmachen und wie sie von der Wiener Stadtbevölkerung bewertet werden. Das Projekt wird von den Initiatoren als ein Beitrag zum "5D-Design" bzw. zum holistischen Design betrachtet, der durch konkrete Analysen erforschen wird, wo Architekten, Stadtplaner, Gartengestalter und Designer eingreifen können und welche Erwartungen an und in Wien für ein elaboriertes Tast- und Duftdesign bestehen.

Düfte und Materialien sind Qualitäten, die zumeist unbemerkt bleiben, uns aber an einen Ort binden oder die Erinnerung an eine Stadt nachhaltig prägen. Jahreszeiten, Räume und Feiern sind stets mit Gerüchen verbunden: der Flieder im Mai, der Würstelstand, die Weihnachtsmärkte, der Kaffee- und Tortengeruch in den Cafés, sogar die Pferdeäpfel der Wiener Fiaker oder der Malzgeruch der Brauerei in Ottakring bilden alle ein olfaktorisches Stadtporträt, das kaum je Eingang in touristische Prospekte findet. Die Atmosphäre - oder wortwörtlich das "Flair" - der Stadt Wien ist auch diesen Gerüchen zu verdanken. Allerdings gibt es kaum etwas Flüchtigeres als die Gerüche. Wie Wien einst roch, lässt sich bestenfalls noch aus dem Gedächtnis der älteren Generationen Wiens erschließen. Auch Interviews mit Migrantinnen und Migranten werden dem Forschungsteam bei der Erstellung eines Duftkalenders und von Duftkarten der Stadt Wien dienlich sein - zusätzlich zu Duftmessungen und Duftanalysen in ausgewählten Wiener Stadtteilen. Als Alternative zu geläufigen Stadtführungen sollen Möglichkeit gefunden werden, "Duftführungen" zu organisieren, sei es zu besonderen Plätzen von Wien, sei es durch den experimentellen Duftgarten an der Wiener Universität für Bodenkultur.

Außer den Düften werden auch die Eindrücke der Berührungen von Materialien in Cafés, im öffentlichen Verkehr oder auf Spielplätzen untersucht. Wie "sieht" Wien eigentlich für Blinde und Rollstuhlfahrer aus? Auf welche Weise kann die Stadt Wien noch lebenswerter gestaltet werden? Das Projekt beabsichtigt, eine Datenbank der spezifischen Wiener Gemütlichkeit zum Gebrauch von Architekten und Designern zu erstellen. Die Stärke des Forschungsteams besteht nicht nur in seinem interdisziplinären Charakter - zwischen Geistes-, Natur-, und Kunstwissenschaften sowie den "Kreativen" der Creative Industries -, sondern auch in der Zusammenarbeit von etablierten und jungen Forscherinnen und Forschern: Univ.-Prof. James G. Skone, Leiter der Abteilung Design, Architektur und Environment für Kunstpädagogik an der Universität für angewandte Kunst Wien, ist ein Designer mit über 30 Jahren Erfahrung in der Produktentwicklung und im -design, Gewinner zweier österreichischer Staatspreise und einer Vielzahl internationaler Designauszeichnungen. Univ.-Prof. Dr. Gerhard Buchbauer ist Autor von über 350 wissenschaftlichen Aufsätzen, darunter zahlreiche zur wissenschaftlichen Aromatherapie, auch in Zusammenarbeit mit VAss. Dr. Eva Heuberger, die eine internationale Forschungserfahrung im Bereich der Wirkungen der Düfte auf das Nervensystem, die Befindlichkeit und das Verhalten vorweisen kann. VAss. Dr. Ruth Mateus-Berr hat mit den Studierenden der Universität für angewandte Kunst Wien Projekte zum holistischen Design durchgeführt und initiierte gemeinsam mit Ass.-Prof. Mag. Igor Lintz-Maués (Universität für Musik und darstellende Kunst Wien) und Mag. Franz Pomassl (Akademie der bildenden Künste Wien) die Vortragsreihe "I-Sinne" zu den intermedialen Sinnen. Und Mag. Marie- Louise Oschatz hat an der Wiener Universität für Bodenkultur einen experimentellen "Duftgarten" gestaltet. Projektleiterin Univ.-Doz. Dr. Mãdãlina Diaconu hat sich in ihrem Buch "Tasten, Riechen, Schmecken. Eine Ästhetik der anästhesierten Sinne" (Würzburg, 2005), in zahlreichen Fachartikeln und Vorträgen für eine ästhetische Theorie aller Sinne gegen den theoretischen Vorrang des Sehens und des Hörens in der Kunsttheorie ausgesprochen.
 
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