Mehrfach geladene Cluster stabiler als angenommen
Innsbruck (universität) - Über hundert Jahre nach ihrer Entdeckung sind Edelgase noch immer
für Überraschungen gut. Jüngstes Beispiel: Wissenschaftler des Institutes für Ionen- und Angewandte
Physik der Universität Innsbruck haben im Teamwork mit US-Kollegen herausgefunden, dass mehrfach geladene
Neon-Tröpfchen – so genannte Cluster – stabiler sind als angenommen. Die Zeitschrift „Physical Review Letters“
berichtet darüber in ihrer aktuellen Ausgabe.
Neon wurde 1898 entdeckt. Es kommt atomar in unserer Luft vor. Dieses Element ist selten, geht als Edelgas keine
chemischen Verbindungen ein und hat extreme Eigenschaften. Erst bei äußerst niedrigen Temperaturen wird
es flüssig. Von allen Edelgasen hat es die stärkste Entladekapazität. Das heißt, es reagiert
auf Ionisierung, auf Ladung durch Elektronenstöße, sehr sensibel. In der Spezialkammer des Innsbrucker
Forscherteams verhielt sich das geclusterte Edelgas nun allerdings stabiler als sein Modell. Das Team rund um A.-Univ.-Prof.
Dr. Paul Scheier von der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck und des US-Physikers Univ. Prof. Dr. Olof
Echt von der Universität New Hampshire zeigte damit, dass eines der anschaulichsten und klassischsten Modelle
der Physik – das Flüssigkeitströpfchen-Modell – nicht vollständig stimmen kann.
Die Überraschung im Detail: beim Innsbrucker Experiment wurden weltweit erstmals mehrfach geladene Neon-Cluster-Ionen
erzeugt. Die nur wenige Nanometer großen Tröpfchen wurden dabei in einer Überschallexplosion bei
hohem Druck und tiefer Temperatur durch eine kleine Öffnung in ein Vakuum eingelassen, wobei sich das Gas
sehr stark abkühlt und Kondensation einsetzt. Nach dem Flüssigkeitströpfchen-Modell, dass Olof Echt
auf der Basis des britischen Physikers Lord Rayleigh (1842-1919) entwickelt hat, hätten die Cluster dabei
ab einer Anzahl von 868 Atomen stabil sein sollen, alles kleinere hätte zerbrechen müssen. In der Praxis
war jedoch bereits ein Cluster mit mehr als drei Mal weniger Atomen stabil. „Entweder halten Neontröpfchen
besser zusammen als wir gedacht haben oder vom Modell nicht berücksichtigte Quanteneffekte sind dafür
verantwortlich“, so Scheier.
Das Ergebnis sei zwar eine reine grundlagenwissenschaftliche Erkenntnis. Für die Erforschung von Clustern
als Bindeglied zwischen der Gas- und der kondensierten Phase, also zwischen fest und flüssig, sei dies laut
Scheier bedeutsam. Viele Modelle die zur Beschreibung von Nanometer großen Strukturen verwendet werden bauen
ähnlich wie das Flüssigkeitströpfchenmodell auf klassischen Erkenntnissen und Gesetzen auf und können
daher, wie in dieser Arbeit gezeigt, unter Umständen komplett versagen. Clusterforschung ist am Innsbrucker
Institut seit Jahrzehnten ein Forschungsschwerpunkt. Unter der Leitung von Univ. Prof. Dr. Dr.h.c. mult. Tilmann
Märk wurde bisher bereits eine Reihe wichtiger Erkenntnisse auf dem Gebiet der Edelgascluster erzielt. Zahlreiche
so genannte kritische Grenzwerte, die beschreiben ab welcher Anzahl von Bausteinen, mehrfach geladene Tröpfchen
„zusammenhalten“, wurden in Innsbruck erstmals gemessen.
Die Neon-Forschungen wurden vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) und der Europäischen
Kommission gefördert. Als nächstes wird sich das Innsbrucker Team mit dem Edelgas Helium beschäftigen.
Edelgascluster – Ensembles aus einigen tausend Atomen – werden bisher unter anderem in der Nanotechnologie zum
Glätten von Oberflächen industriell eingesetzt. |