Von den sonst üblichen 100 Tagen "Schonfrist" für "neue" Gesichter in der Politik
kann weit und breit keine Rede sein. Es geht etwa einen Monat nach Angelobung der neuen Bundesregierung so zu,
wie wenn SPÖ und ÖVP schon wesentlich länger gemeinsam die Geschicke unseres Landes leiten würden.
Das Verhältnis der Koalitionäre zueineinder läßt sich, zumindest teilweise, als "bemüht"
beschreiben, andernteils sieht es nach bevorstehendem Wahlkampf aus. Wir haben an dieser Stelle schon das eine
oder andere Mal daran erinnert, wie sehr sich die beiden großen bürgerlichen Parteien in den vergangenen
Jahren von einander entfernt haben. Die großkoalitionären Zeiten der 90er Jahre sind vorbei und vergessen.
Mit dem Scheitern des Versuches, nach der Wahl 1999 wieder eine große Koalition einzugehen, haben sich die
Fronten verhärtet, was vor allem im Wahlkampf des vergangenen Herbstes deutlich wurde. Die Lagerbildung, von
der Meinungsforscher noch vor gar nicht allzulanger Zeit meinten, sie würde einem mehr oder weniger lockeren
Kräftespiel zwischen mehreren kleineren Parteien weichen, hat sich verstärkt. Als Beispiel dafür
sei die Frage der Studiengebühren genannt, die die SPÖ ersatzlos abschaffen wollte. Doch wenn die dafür
notwendige Mehrheit nicht vorhanden ist und die ÖVP das nicht will, ist das nicht mehr durchzusetzen. Stellt
sich die ÖVP vor, von ihr, gemeinsam mit dem BZÖ eingeführte Pensionsregelungen müßten
so bleiben, muß sie sich abfinden, daß das ohne die SPÖ nicht geht.
Nun gibt es da, bekanntlich, zwei Wege des Herangehens: der eine ist der, daß sich in "geheimen"
Gesprächen die Entscheidungsträger einigen und dem Publikum fertige Lösungen präsentieren,
die - dank der entsprechenden Mehrheit im Parlament - dann auch sofort umgesetzt werden. Der zweite Weg ist der,
den die Regierung derzeit geht. Es werden Ideen und Vorschläge verlautbart, ob gut oder nicht, sei dahingestellt,
die vom eigenen Regierungspartner unter großem Protest als nicht machbar oder nicht finanzierbar abgetan
werden. Jeder möchte in seiner Position möglichst sinnvoll regieren, seinen Wählern zeigen, daß
man sich auch innerhalb der Koalition durchsetzen kann. Man muß sich nicht nur damit abfinden, daß
das aber alleine nicht geht, sondern auch damit, von der eigenen Parteibasis vorgeworfen zu bekommen, man habe
Wahlversprechen gemacht, die man nun nicht halten wolle.
Diese Stimmung kommt der Opposition naturgemäß gerade recht, denn diese feuert sozusagen aus allen Rohren
auf die Regierungsmannschaft, die sich - siehe oben - dann meist nicht gemeinsam und einig, sondern getrennt und
mit unterschiedlichen Argumenten zu rechtfertigen versucht.
Es liegt an Bundeskanzler Alfred Gusenbauer und an Vizekanzler Wilhelm Molterer, dieses tägliche Durcheinander
zu beenden. Das mag leicht gesagt sein, ist aber unumgänglich. Denn Gerüchte, es würde wohl in nächster
Zeit zu einer Neuwahl kommen, sollten auch Gerüchte bleiben. (mm) |