Jülich (universität) - Das Sehzentrum von Männern und Frauen ist verschieden aufgebaut. Sie
haben dadurch wahrscheinlich unterschiedliche Strategien, um sich in ihrer Umgebung zu orientieren. Das fanden
Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich gemeinsam mit ihren Kollegen der Universitäten Düsseldorf
und Aachen heraus. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Journal
of Neuroscience.“
„Wir haben an den Gehirnen verstorbener Menschen die Bereiche untersucht, die für das Erkennen von Bewegungen
zuständig sind. Die Areale stehen miteinander in Kontakt und sind zum Beispiel aktiv, wenn man ein Auto vorbeifahren
sieht“, sagt Prof. Dr. Karin Amunts vom Forschungszentrum Jülich. An hauchdünnen Scheiben des Gehirns
hatte sie gemeinsam mit ihren Kollegen die Ausdehnungen der Areale mikroskopisch untersucht. Dabei fanden sie Unterschiede
in der Zellarchitektur: In einem Bereich hatten Frauen eine breitere Hirnrinde als Männer. In einem anderen
Bereich war das Volumen des gemessenen Areals in der rechten Hirnhälfte bei Männern größer
als bei Frauen.
„Ein größeres Volumen könnte dem Gehirn mehr Raum geben, um an dieser Stelle zusätzliche Informationen
zu verarbeiten und sich Bewegung räumlich vorstellen“, erklärt Amunts und warnt aber im gleichen Satz
davor, aus der Größe alleine falsche Schlüsse zu ziehen: „Unterschiede im Bau des Gehirns müssen
nicht heißen, dass Männer etwas besser können als Frauen, oder umgekehrt. Sie weisen eher darauf
hin, dass sie unterschiedliche Strategien haben, um zum Ziel zu kommen, also verschiedene Vernetzungen im Gehirn
nutzen.“
Karin Amunts ist Spezialistin für den Aufbau des Gehirns. Seit über zehn Jahren arbeitet sie zusammen
mit Prof. Dr. Karl Zilles am Forschungszentrum Jülich an einem dreidimensionalen Atlas des Gehirns und dokumentiert
feinste Unterschiede im zellulären Bau der Hirnrinde. Im renommierten Fachmagazin „Nature Reviews Neuroscience“
haben die Wissenschaftler erst kürzlich mit US-amerikanischen Kollegen den aktuellen Stand ihres weltweit
einzigartigen Vorhabens vorgestellt. Mehr als 100 verschiedene Areale lassen sich aufgrund ihrer Zellstruktur abgrenzen,
schätzt Amunts. 40 Prozent des Gehirns haben sie bereits kartiert. Den Rest möchten die Forscher in den
kommenden fünf Jahren erfassen.
Dabei wird es sich nicht um ein rein anatomisches Kartenwerk handeln. „Zusammen mit unseren Kollegen am National
Institute of Health in den USA entwickeln wir eine Datenbank, in dem wir den Hirnbau mit funktionellen Eigenschaften
des Gehirns in Zusammenhang bringen“, erklärt Amunts. Dafür erhalten die Jülicher Wissenschaftler
unter anderem finanzielle Unterstützung aus den Vereinigten Staaten: Das National Institute of Health, eine
der renommiertesten US-amerikanischen Forschungseinrichtungen, unterstützt die Jülicher Arbeit am Atlas.
Mithilfe der Hirnkarten können die Forscher die gemessenen Aktivitäten des Gehirns eindeutig bestimmten
Bereichen zuordnen. Sie können die Messdaten besser interpretieren, als Hilfe bei Operationen nutzen und verfolgen,
wo medizinische Wirkstoffe angreifen.
Auch in der deutschen Forschungslandschaft wird die Arbeit der Jülicher Mediziner gewürdigt. So erhielt
Institutsleiter Prof. Dr. Karl Zilles im vergangenen Jahr für seine Forschung über Struktur und Funktion
des menschlichen Gehirns den Robert-Pfleger-Preis, mit 50.000 Euro eine der am höchsten dotierten Auszeichnungen
in Deutschland im Bereich Medizin. Er wird alle zwei Jahre verliehen für „herausragende wissenschaftliche
Leistungen aus dem Themenbereich Grundlagen und Perspektiven der Medizin, insbesondere grundlegende Konzepte mit
zukunftsweisenden Denkanstößen“. |