Festrede von Vizekanzler a. D. Erhard Busek anlässlich des Festabends zum 100. Geburtstag
von Tobi Reiser
Salzburg (lk) - Man könne das Europa von heute nur begreifen, wenn man die Vielfalt kenne. Diese
komme nicht nur in der Sprache, der Landschaft und der Architektur zum Ausdruck, sondern vor allem im Kulturellen,
in der Art der Lebensweise und ihren Ausdrucksformen. Diese Ausdrucksformen seien tief zu Hause in den Menschen
und haben in der globalisierten Welt von heute eine unendlich große Bedeutung. Was wäre etwa Mozart
ohne die Einflüsse jener Musik, die in den Landschaften Europas zu Hause sei. Die Vielfalt der Ausdrucksformen
zeigen auch den Weg von der Vergangenheit in die Zukunft, von der Tradition in die Innovation Schritt um Schritt
auf. Kultur sei ein Lebensmittel. Kulturelles Erbe lebe davon, dass es weitergegeben wird, nicht als Konserve,
sondern als lebendes Lebensmittel. Dieses verlange Entwicklung, vor allem durch die junge Generation, die die Tradition
nicht als Konserve zu verstehen hat, sondern als Aufforderung zu Neuem.
Mit diesen Gedanken leitete Vizekanzler a. D. Dr. Erhard Busek seine Festrede anlässlich des Festabends zum
100. Geburtstag von Tobi Reiser d. Älteren, am Abend des 01.03. in der Salzburger Residenz ein. Die Veranstaltung
wurde vom Verein der Freunde des Adventsingens und vom Salzburger Heimtatwerk gemeinsam organisiert und sollte
anhand musikalischer Interpretationen eines der bekanntesten Stücke Reisers, dem Maxglaner Zigeunermarsch,
durch fünf verschiedene Ensembles den Wandel in der Volkskultur zeigen und damit die Ausführungen Buseks
musikalisch unterstreichen. Die Festrede selbst wurde aufgrund des schweren Schiunfalls von Dr. Busek von seiner
langjährigen Generalsekretärin im österreichischen Volksliedwerk, Mag. Maria Walcher, vorgetragen.
Musik braucht keine Übersetzungen
"War es vielleicht der Fehler der Vergangenheit, Volkskultur und Volkskunde als trennendes Element anzusehen,
so wissen wir heute, dass vor allem die Musik die Sprache des Miteinanders ist. Hier brauchen wir keine Übersetzungen,
es ist die Seelensprache der Kulturen. Mit Selbstverständlichkeit hören wir dem "türkischen
Marsch" zu, wir registrieren die Janitscharen-Musik in den österreichischen Militärmärschen,
wissen, dass ohne Csardas, Polka, Masurka etc. die Musik in unserem Land nicht das wäre, was sie ist. Es ist
Sprache des Miteinanders, die uns zur Selbstverständlichkeit werden muss. Das kann nicht diktiert werden,
das muss wachsen, das kommt aus der Tiefe, ja manchmal aus dem Unergründlichen. Es ist in uns drinnen, sowie
Musik in der größten Selbstverständlichkeit passiert", betonte Dr. Busek.
Dies sei auch kein Gegensatz zur Entwicklung der Globalisierung – im Gegenteil, es sei eine Voraussetzung. Busek
verwies in diesem Zusammenhang auf den Austropop, der aus den Elementen einer Musik, die über dem Atlantik
zu Hause ist, zu einer spezifischen österreichischen Aussageweise wurde, die wieder internationale Anerkennung
fand. Das seien die Tobi Reisers unserer Zeit, die sicher mehr als fremd gewesen wären, wenn sie vor 50 Jahren
aufgetaucht wären. Aber auch hier müsse die Zeit verstanden werden, denn Musik und Volkskultur seien
ein Element der Demonstration und des Ausdrucks einer Verbundenheit, möglicherweise mit Grenzen. Heute seien
sie Ausdruck einer Verbundenheit, die über Grenzen hinweggeht, mit dem Ziel, die Grenzen zum Verschwinden
zu bringen. Hier kommen Elemente von Tobi Reiser zum Ausdruck, die unbedingt festgehalten werden müssen, nämlich
das Bewahren und Erneuern, das Wiederfinden und Entwickeln.
Mit Heimat sorgsam umgehen
Der Festabend zum 100. Geburtstag von Tobi Reiser sei Zeichen einer Bindung an ein Werk, Bindung an ein Gefühl,
Bindung an menschliche Gestaltung. Dies sei die eigentliche Bedeutung von Heimat, denn Heimat sei Bindung, stellte
Dr. Busek fest. Mit Heimat sei sorgsam umzugehen, um Wurzeln erhalten zu können, zu pflegen, was Heimat ausmacht,
und diese auch weiterzuentwickeln. Heimat sei kein nostalgisch-kitschiger Heimatfilm mit Sennerin und Wilderer,
keine Spielwiese für folkloristisches Gehabe. Es wäre billig und fahrlässig, sich auf die Scheinformen
der traditionellen Volkskultur zu stützen, die zu touristischen Zwecken das Klischee des jodelnden und dodelnden
Österreichs züchten. Es gehe nicht um Heimatdümmeleien, und erst recht nicht um Heimattümeleien.
Trotz der subjektiven Bezüge sei Heimat ein politischer Begriff, weil es in seinem Gehalt um das Zusammenleben
der Menschen gehe. Die Repolitisierung von Heimat zähle daher zu den wichtigen Aufgaben der Politik, weil
sich Politik daran zu orientieren habe, was dem einzelnen Menschen und den Gemeinschaften ein Zuhause sichern kann.
Heimat vermittle Identität und Geborgenheit. Im tiefsten Sinn des Begriffs gehe es um das demokratische, freie
und friedliche Zusammenleben der Menschen, das sich an einer gemeinsamen Kultur, gemeinsamen Werten und gemeinsamen
Zielen orientieren müsse, betonte Dr. Busek.
Die Erinnerung an 100 Jahre Tobi Reiser solle auf die Notwendigkeit von Heimatverbundenheit, eines "Behaustseins",
hinweisen. "Es geht nicht um Brauchtumspflege, sondern das Haus von Kunst und Kultur so einzurichten, dass
wir das Menschliche wiedererkennen. Aus den Vorfahren, auch von Tobi Reiser, können wir dafür lernen,
was gut ist, um zu bewahren, was falsch war und nicht zu wiederholen ist. Es ist gut, sich zu erinnern, denn wenn
der Mensch das Gedächtnis verliert, verliert er eigentlich sich selbst", stellte Dr. Busek in seiner
Festrede abschließend fest. |