Joseph Maria Olbrich und die Wiener Secession – 27. März bis 12. Mai 2007
Wien (kunstnet) - Vom 27. März bis 12. Mai 2007 präsentiert das WAGNER:WERK Museum Postsparkasse
im Grossen Kassensaal die Ausstellung "Der Zeit ihre Kunst. Joseph Maria Olbrich (1867-1908)". Im Mittelpunkt
der Ausstellung stehen die beiden Hauptwerke des österreichischen Architekten Joseph Maria Olbrich: die Wiener
Secession und die Künstlerkolonie Mathildenhöhe in Darmstadt. Architekturmodelle, exemplarische Skizzen
und Entwürfe sowie historische Bau- und Interieuraufnahmen veranschaulichen Olbrichs Bedeutung im Kontext
des europäischen Jugendstils.
Darüber hinaus werden Originalmöbel und Gebrauchsobjekte aus den Sammlungen des Museums Künstlerkolonie
Darmstadt, der Universität für angewandte Kunst Wien sowie privater Leihgeber zu sehen sein, die Olbrich
in der kurzen Zeitspanne seines Schaffens zwischen 1897 und 1908 gestaltet hat. Mit der Einzelpräsentation
im WAGNER:WERK Museum Postsparkasse stehen seine künstlerischen und architektonischen Ideen nach Jahrzehnten
erstmals wieder im Licht der Öffentlichkeit. Am 22. Dezember 2007 jährt sich der Geburtstag von Joseph
Maria Olbrich zum 140. Mal.
Als Sohn eines wohlhabenden Konditormeisters und Wachsherstellers ging der 1867 in Troppau geborene Joseph Maria
Olbrich 1882 nach Wien, um die Architekturklasse an der Wiener Staatsgewerbeschule zu absolvieren. Nach Beendigung
seiner Ausbildung - Julius Deininger und Camillo Sitte zählten zu seinen Lehrern - kehrte er kurzfristig nach
Troppau zurück, um als Zeichner in einer Baufirma zu arbeiten. Doch schon bald entschied sich der junge Olbrich,
das Studium der Architektur an der Akademie der bildenden Künste in Wien (1880 - 1883) als Schüler von
Carl Freiherr von Hasenauer wieder aufzunehmen. Hasenauers dekorativer neobarocker Grundzug sollte sich nachhaltig
auf die Gesamtkunstvorstellungen Olbrichs auswirken. Ein weiterer Meilenstein in Olbrichs Karriere war sein Eintritt
in das Architekturbüro von Otto Wagner 1893. Fünf Jahre lang unterstützte er Wagner mit seinen überragenden
zeichnerischen Fähigkeiten. Das bezeugen Olbrichs erworbene Preise - der "Hofpreis 1. Klasse" oder
der "Rom-Preis" der Akademie -, und die Tatsache, dass Otto Wagner den jungen Zeichner noch während
eines Besuchs einer Schulausstellung engagierte. Als Träger des "Rom-Preis" reist Olbrich 1893/94
nach Rom, Süditalien und Nordafrika. Die schmucklosen, "großen Formen" der mediterranen Hausarchitektur
wecken ebenso sein Interesse wie die monumentale Wirkung der archaischen Grab- und Kultbauten.
Jugendstil: Verschmelzung von "Kunst und Leben"
Mitte der 1890 Jahre entstand in mehreren europäischen Hauptstädten eine neue Kunstrichtung,
die in Deutschland als "Jugendstil" und in Frankreich als "art nouveau" bezeichnet wurde. In
Österreich wurde die Entwicklung vor allem durch die Zeitschrift "Ver Sacrum" und die Künstlergruppe
der Wiener Secession vorangetrieben. Ihre Ambitionen richteten sich gegen den Konservatismus an den Hochschulen
und sollten eine Alternative zu den traditionellen Kunstvorstellungen des Wiener Künstlerhauses darstellen:
die Abkehr vom Historismus und der bis dato gängigen Praxis der Nachahmung historisch überlieferter Formvorbilder.
Typisches Merkmal des Jugendstils in seinen Anfangsjahren bis um 1900 waren geschwungene, der Natur entlehnte und
abstrahierte Linien, später überwogen geometrische Ornamente. Neben der architektonischen Erneuerung
wurde der Jugendstil vorrangig in der angewandten Kunst sichtbar, den Dingen des täglichen Lebens, die nützlich
sein sollten und gleichzeitig das Ergebnis eines künstlerischen Gestaltungsprozesses.
Im heutigen Verständnis steht der Begriff auch für die großen gesamtkünstlerischen Gestaltungen:
als Beispiele mögen das Palais Stoclet in Brüssel (Josef Hoffmann) oder auch das Hauptgebäude der
Wiener Postsparkasse (Otto Wagner) dienen, in denen die Architekten jedes noch so kleine Detail dem gesamtkünstlerischen
Konzept unterwarfen. Die Jugendstilepoche bleibt faszinierend, wegen der immer wieder überraschenden Experimentierfreude,
Phantasie und ästhetischen Gestaltungskraft seiner Protagonisten, und weil diese Phase des Neubeginns den
Weg für den Beginn der moderner Kunst und Architektur ebnete.
Olbrich und die Wiener Secession: Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit
Am 3. April 1897 spalteten sich unter der Führung von Gustav Klimt mehrere Künstler - u.a. Kolomann
Moser, Josef Hoffmann, Max Kurzweil - vom Künstlerhaus ab. Die Gründung der Wiener Secession und insbesonders
die Errichtung einer neuen Ausstellungshalle brachte der Kunstszene eine Alternative zu den konservativen Richtlinien
des Künstlerhauses und die Möglichkeit, ein breites Publikum zu erreichen. 1897 erhielt Joseph Maria
Olbrich den Auftrag, ein Ausstellungsgebäude mit einem repräsentativen Eingangsbereich und einem zeltartig
verglasten Ausstellungsbereich zu bauen. Die Stadt Wien hatte ein Grundstück an der Wienzeile, in der Nähe
des Karlsplatzes und des Naschmarkts, für den Bau des Gebäudes zur Verfügung gestellt. Zu diesem
Zeitpunkt konnten die Secessionisten und der junge Architekt noch nicht ahnen, dass das Secessionsgebäude
als eines der Hauptwerke des europäischen Jugendstils in die Kunstgeschichte eingehen sollte.
Glatte ineinander verschachtelte Kuben, weiß verputzt, mit direkt in den Mörtel geschnittenen, vegetativen
und geometrischen Ornamenten und eine aus 3.000 Blättern und 700 Beeren geschmiedete und echt vergoldete Kuppel
eines Lorbeerbaums als Krönung: Diese neue Formensprache mit ihren symbolischen Bezügen war eine deutliche
Absage an die Architektur des Historismus, ebenso wie Hermann Bahrs Zitat "Der Zeit ihre Kunst, der Kunst
ihre Freiheit.", den sich die Künstlergruppe als Zeichen ihrer Geisteshaltung unter die goldene Kuppel
setzen ließ. Die Eröffnung des neuartigen Bauwerks am 12. November 1898 löste eine Flut von Empörungen
und Diskussionen aus. Diese gingen soweit, dass ein Redner im Österreichischen Ingenieur- und Architektenverein
forderte, einen obersten Baurat gegen die Ausbreitung der Moderne einzusetzen. Obwohl publizistische Vertreter
der "Secession" Lobeshymnen auf das moderne Bauwerk anstimmten, beschrieb die Öffentlichkeit das
Gebäude als "Grab" oder als "Tempel für Laubfrösche". "Dass Olbrich im
Grunde ein richtiges Schmuckkästchen, eine mit Gold und neuartigem Ornament überhöhtte und monumentalisierte
pavillonartige Kleinarchitektur im großen Maßstab schuf, blieb von den zeitgenössischen Rezipienten
weitgehend unberücksichtigt" (Peter Haiko). Ein Jahr nach der Eröffnung der Secession, 1899, folgte
Olbrich der Einladung des hessischen Großherzogs Ernst Ludwig, der ihm in Darmstadt die Möglichkeit
gab, seine architektonischen und künstlerischen Ideen zu verwirklichen. Er kehrte nicht mehr nach Wien zurück.
Die Künstlerkolonie Mathildenhöhe: die Avantgarde als Monument
Mit dem Ziel, aus einer Verbindung von Kunst und Handwerk das Land Hessen wirtschaftlich zu kulturell zu
beleben, gründete der Großherzog Ernst Ludwig 1899 eine Künstlerkolonie und siedelte sie auf der
Mathildenhöhe in Darmstadt an. Olbrich fand hier das von ihm erträumte "freie Feld" zur Verwirklichung
seines immensen Ideenreichtums vor. Auch die Tatsache, dass er der einzige ausgebildete Architekt der Künstlergruppe
war, sicherte ihm unter seinen Kollegen Peter Behrens, Paul Bürck, Rudolf Bosselt, Hans Christiansen, Ludwig
Habich und Patriz Huber die Rolle als "primus inter pares".
Unter seiner Führung veranstaltete die Künstlerkolonie 1901 eine erste programmatische Ausstellung mit
dem Titel "Ein Dokument Deutscher Kunst." Ihr offenbar auch auf Olbrich zurückgehendes Konzept war
für die Zeit einzigartig und sah die Errichtung einer kleinen Mustersiedlung mit bleibenden und temporären
Bauten vor. Nach Olbrichs Plänen wurde aus diesem Anlass das Ernst-Ludwig-Haus als gemeinschaftliches Ateliergebäude
und geistiges Zentrum der Künstlerkolonie errichtet. Die Kombination von funktionalen Arbeits- und Ausstellungsräumen
und tempelartig überhöhter Schaufassade weist konzeptionell und gestalterisch noch deutliche Bezüge
zum Gebäude der Wiener Secession auf.
Zudem entstanden im ehemaligen Landschaftspark Mathildenhöhe eine Reihe von vollständig eingerichteten
Wohnhäusern, die mit Ausnahme des Hauses Behrens, alle von Olbrich entworfen wurden. Die schmucken Villen,
jeweils individuell gestaltet, waren Lebens- und Arbeitsmittelpunkt der Künstler. Vor allem waren sie aber
auch exemplarische Vorzeigeobjekte für reformiertes Bauen und Wohnen.
Die Idee der Bauaustellung wurde von der Künstlerkolonie wiederholt aufgegriffen. 1904 legte Olbrich mit der
Planung der so genannten "Dreihäusergruppe" den Akzent auf Wohnmodelle für das mittlere bis
höhere Bürgertum. Im Rahmen der "Hessischen Landesausstellung für freie und angewandte Kunst",
die 1908 auf der Mathildenhöhe veranstaltet wurde, vollendete Olbrich sein Darmstädter "chef d`œuvre",
die markante "Stadtkrone" mit Hochzeitsturm und angrenzendem Städtischem Ausstellungsgebäude.
Zwei weitere, zeitgleich fertiggestellte Projekte - das repräsentative "Oberhessische Haus" und
das Muster-Arbeiterhaus für die Firma Opel - verdeutlichen die enorme Schaffenskraft und baukünstlerische
Spannweite Olbrichs. Die weitere Entwicklung der Künstlerkolonie Mathildenhöhe sollte Olbrich nicht mehr
erleben: Schon 1908 hielt er sich überwiegend in Düsseldorf auf, wo er mit seinem Baubüro an der
Realisierung des Warenhauses Tietz arbeitete. Nach kurzer schwerer Krankheit (Leukämie) verstarb er dort am
8. August 1908 im Alter von erst 40 Jahren.
Hatte Olbrich zwischen 1897 und 1900 mit der Wiener Secession und dem Ernst-Ludwig-Haus Ikonen des ins Ornament
verliebten Jugendstils geschaffen, so gelangte er beim Ausstellungsgebäude auf der Mathildenhöhe zu einer
fast nüchternen, auf die "große Form" bedachten Architektur. Mit ihrer Synthese aus Archaik
und Moderne verweist diese "neuzeitliche Akropolis", die wie ein Wahrzeichen aus dem Stadtbild Darmstadts
wächst, auf die immer noch unterschätzte monumentale Seite der Avantgarde-Architektur. |