Graz (universität) - Auch in Zeiten der Globalisierung bleibt der Nationalstaat die bedeutendste gesellschaftliche
Einheit. Zu diesem Ergebnis kommt ein jetzt abgeschlossenes Projekt des Österreichischen Wissenschaftsfonds
FWF, das bisherige Behauptungen vom aktuellen Sterben des Staats widerlegt. Das Ergebnis zeigt ganz klar, dass
BürgerInnen eines Staates mehr miteinander verbindet als Menschen aus kulturell einander nahe stehenden Regionen
verschiedener Länder nicht zuletzt im Fall Bayerns und Österreichs.
"Der Staat ist tot. Lang lebe der Staat." Dieser Ausspruch, der zu Zeiten der Monarchien auf deren Fortbestand
anspielte, hat nicht an Aktualität verloren. Denn obwohl der Nationalstaat im Kontext der Globalisierung und
der europäischen Integration heutzutage vielfach totgesagt wird, belegt ein Team rund um Prof. Max Haller,
Institut für Soziologie der Universität Graz, im Rahmen des Projekts "Nationale Identität und
Staatsbürgerschaft" jetzt, dass dem keineswegs so ist. Die Projektergebnisse zeigen deutlich, dass dem
Nationalstaat noch immer eine hohe gesellschaftliche Bedeutung zukommt.
Gute Beweislage
Auf diesen Umstand weist eine Studie hin, die einen zentralen Bestandteil des Projektes darstellt. Die Studie liefert
dabei Ergebnisse in drei unterschiedlichen Feldern:
Erstens: Die Menschen identifizieren sich nach wie vor am stärksten mit dem eigenen Staat und nicht mit der
Gemeinde, der Region oder dem Staat übergeordneten Einheiten wie der EU. Während sich mehr als die Hälfte
der Befragten mit dem eigenen Staat sehr eng verbunden fühlt, sind es im Fall "Europas" weniger
als 30 Prozent. Diese Verbundenheit zeigt sich auch in der geringen Übersiedlungsbereitschaft: Nur 4 Prozent
sind bereit, in eine andere Region innerhalb der EU zu ziehen, und jeweils nur 1 Prozent in einen anderen Staat
oder eine Region außerhalb Europas.
Zweitens: Die Wertvorstellungen der Menschen sind innerhalb eines Landes am ähnlichsten, wie Prof. Haller
anhand eines Beispiels erläutert: "Man könnte vermuten, dass die katholischen Bayern in ihren nationalen
Wertauffassungen den Österreichern ähnlicher sind als den protestantischen Norddeutschen, die auch von
anderer ethnisch-sprachlicher Herkunft sind. Dies ist aber nicht der Fall, Bayern und Norddeutsche sind hierin
einander ähnlicher als den Österreichern. Dies zeigt, dass die Einheit des Nationalstaates von größerer
Bedeutung ist als die darunter liegende Einheit der Region."
Drittens: Staatliche Strukturen und hier dominierende Wertehaltungen prägen die Ansichten der Menschen eindeutig.
Sichtbar wird dies, wenn BürgerInnen die soziale (Un-)Gleichheit innerhalb des eigenen Landes beurteilen müssen:
Dort, wo Ungleichheiten groß sind, wie in Brasilien, können diese sehr kritisch bewertet werden. In
Staaten wie den USA kann hingegen der Glaube an den individuellen Aufstieg eine solche kritische Haltung stark
abschwächen. Hier lebt der Traum "vom Tellerwäscher zum Millionär".
Länderstudie
Die Ergebnisse der Studie beruhen auf einer Auswertung von umfassenden Daten aus internationalen Datenhandbüchern
sowie dem International Social Survey Programm (ISSP). Dazu Prof. Haller: "Durch das ISSP ist es möglich,
auf Daten von sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitutionen aus mehr als 40 Ländern zuzugreifen. Unsere
Forschungsgruppe selbst erhebt die Daten für Österreich bereits seit mehr als 20 Jahren."
Dank dieser Daten konnte im Rahmen des Projektes, das auch Untersuchungen zur nationalen und europäischen
Identität, zur Demokratieeinstellung der EuropäerInnen und zum Staatsbürgerschaftsverständnis
sowie zur politischen Partizipation vorgenommen hat, nun die Bedeutung des Nationalstaates empirisch gemessen werden.
Damit ist der Mythos vom sterbenden Nationalstaat vom Tisch. Denn wie das FWF-Projekt zeigt, bleibt trotz globaler
Veränderungen der Staat den BürgerInnen auch weiterhin als Sicherheits-, Rechts-, Wohlfahrts- und Identifikationsgemeinschaft
erhalten. |