EU zeichnet internationales Projekt zum Thema Zelltod aus
Wien (imp/imba) - Das Projekt „Apoptose“, an dem Forschungsgruppen aus sechs EU-Ländern teilnehmen,
wurde von der Europäischen Kommission mit dem Descartes-Preis 2007 ausgezeichnet. Josef Penninger, Direktor
des Instituts für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, ist maßgeblich
an dem Projekt beteiligt. Koordinator Guido Kroemer nahm die Auszeichnung am 07.03. in Brüssel entgegen. Die
sechs Teams aus Frankreich, Österreich, Dänemark, Italien, Schweden und Deutschland erhalten je 40.000
Euro Preisgeld.
Apoptose: das Selbstzerstörungsprogramm der Zellen
Als Apoptose bezeichnet man den programmierten Zelltod, einen der elementarsten Prozesse der Biologie.
Im Körper eines Menschen begehen in jeder Sekunde mehrere Millionen Zellen "Selbstmord". Überflüssige,
alte, geschädigte oder mutierte Zellen werden auf diese Weise aus dem Verkehr gezogen. Es handelt sich also
um einen lebenswichtigen Vorgang.
Bei zahlreichen Erkrankungen ist die Regulation der Apoptose gestört. Exzessive Apoptoseraten führen
zu massivem Zellverlust, etwa nach Gehirnschlag, Herzinfarkt oder Vergiftungen. Auch chronisch fortschreitende
Erkrankungen wie AIDS gehen mit erhöhtem Zellsterben einher. Das Gegenteil, also eine Blockierung des Apoptoseprogramms,
führt zum unkontrolliertem Zellwachstum und läßt Tumore entstehen. Unterdrückte Apoptose ist
auch dafür verantwortlich, wenn Krebszellen nicht mehr auf Chemotherapie ansprechen.
Gemeinsame Europäische Apoptose-Forschung
Im Rahmen des nun von der EU ausgezeichneten Projekts haben sich Spezialisten auf dem Gebiet der Apoptoseforschung
zusammengeschlossen, um die beteiligten Mechanismen aufzuklären. Guido Kroemer, der Koordinator des Projekts,
leitet eine Forschungsgruppe zum Thema „Apoptose, Krebs und Immunität“ am Institut Gustave Roussy bei Paris.
Kroemer ist österreichischer Staatsbürger und einer der erfolgreichsten Wissenschaftler auf dem Gebiet
der Biomedizin.
Mit Josef Penninger verbindet Guido Kroemer eine langjährige Zusammenarbeit und persönliche Freundschaft,
die auf gemeinsame Studienjahre in Innsbruck zurückgeht. Vor acht Jahren identifizierten Kroemer und Penninger
ein Protein, das wesentlich am kontrollierten Zelltod beteiligt ist. Dieser sogenannte „apoptosis inducing factor“
(AIF) ist in den Mitochondrien, den „Kraftwerken“ der Zelle lokalisiert. Ist das Selbstmordprogramm in der Zelle
gestartet, so verlagert sich AIF in den Zellkern. Die Arbeit in der Zeitschrift Nature, in der die Forscher das
Protein erstmals beschrieben, wurde zu einer Schlüsselpublikation für das gesamte Forschungsgebiet. Von
der Organisation Science Watch als „red hot paper“ eingestuft, wurde der Artikel seit 1999 insgesamt 1494 mal zitiert.
Das Protein AIF wird von der Arbeitsgruppe Josef Penningers weiterhin intensiv erforscht. Durch Ausschalten des
AIF-Gens in Maus- und Fliegenzellen konnten die Wissenschaftler die Funktion des Proteins einkreisen. Neben der
Rolle beim programmierten Zelltod entdeckten sie eine weitere wichtige Aufgabe: AIF reguliert auch die Bereitstellung
von Energie in der Zelle. Derzeit untersucht Josef Penningers Gruppe die Rolle von AIF bei Diabetes und Fettsucht.
„Defekte bei der Energieproduktion werden derzeit als Ursache für Diabetes angesehen. Dies wurde jedoch nie
experimentell bewiesen“, sagt Penninger. „Mit AIF haben wir das ideale genetische Modellsystem, um diesen wichtigen
Punkt kritisch und in kontrollierten Experimenten zu untersuchen“.
Medizinische Umsetzung der Forschungsergebnisse
Mit dem Projekt Apoptose verfolgt das Konsortium auch klare, medizinische Ziele. Eines davon ist die Suche
nach Medikamenten, die massenhaftes Zellsterben - etwa nach Schlaganfällen – verhindern. Die zentrale Frage,
wie die Zelle „entscheidet“, sich selbst zu vernichten, konnte bereits im Wesentlichen beantwortet werden. Der
„point of no return“ äussert sich dadurch, dass die Hülle der Mitochondrien durchlässig wird. Therapien,
die nach diesem Ereignis ansetzen, sind zum Scheitern verurteilt.
Der Faktor AIF könnte ein geeigneter Ansatzpunkt zur Verhinderung von pathologischem Zellverlust sein. In
Tiermodellen simulierten die Forscher Schlaganfälle, Mangeldurchblutung während der Geburt und Insulinkoma.
Wird die Funktion von AIF unterdrückt, so fallen etwa die Schäden an Nervenzellen geringer aus.
Weitere konkrete Anwendungen erhoffen sich die beteiligten Wissenschaftler auch auf den Gebieten der Krebs- und
AIDS-Forschung. Bei Krebserkrankungen ist das Ziel, Resistenzen gegen Chemotherapien zu verhindern. Dazu müssen
Stoffwechselwege blockiert werden, die Apoptose unterdrücken. Im Fall einer AIDS-Infektion ist das Problem
genau entgegengesetzt. Hier geht es darum, das durch das HI-Virus verursachte Zellsterben im lymphatischen System
und im Gehirn zu verhindern. Auf beiden Gebieten wurden bereits erste Erfolge erzielt.
Descartes-Preis bestätigt Akademie der Wissenschaften
Mit dem Descartes-Preis für Forschung zeichnet die Europäische Kommission jedes Jahr die erfolgreichsten
transnationalen Forschungsprojekte in Europa aus. Die Auszeichnung wird in diesem Jahr zum achten Mal vergeben
und würdigt herausragende wissenschaftliche und technologische Spitzenleistungen in grenzüberschreitender
Zusammenarbeit. Der Preis ist mit insgesamt einer Million Euro dotiert.
Prof. Peter Schuster, Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, meint zu der Würdigung:
"Dieser Preis freut mich ganz besonders, nicht nur als Leiter der Trägerorganisation ÖAW sondern
auch weil es mir 2002 gelang, Josef Penninger als Direktor des IMBA von Kanada nach Österreich zurückzuholen.
Die Auszeichnung bestätigt die Österreichische Akademie der Wissenschaften in ihrer Strategie, Bedingungen
zu schaffen, unter denen hochtalentierte Wissenschafter möglichst unabhängig Spitzenforschung betreiben
können."
IMBA
Das IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
kombiniert Grundlagen- und angewandte Forschung auf dem Gebiet der Biomedizin. Interdisziplinär zusammengesetzte
Forschergruppen bearbeiten funktionsgenetische Fragen, besonders in Zusammenhang mit der Krankheitsentstehung.
Ziel ist es, das erworbene Wissen in die Entwicklung innovativer Ansätze zur Prävention, Diagnose und
Therapie von Krankheiten einzubringen.
IMP- IMBA Research Center
Zwischen dem Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP), das 1988 von Boehringer Ingelheim
ge-gründet wurde, und dem seit 2003 operativen Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen
Akademie der Wissenschaften (IMBA) wurde eine enge Forschungskooperation vereinbart. Unter dem Namen “IMP-IMBA
Research Center” greifen die beiden Institute auf eine gemeinsame Infrastruktur im wissenschaftlichen und administrativen
Bereich zu. Die beiden Institute beschäftigen insgesamt über 300 Mitarbeiter aus 30 Nationen und sind
Mitglied des Campus Vienna Biocenter.
Josef Penninger
Josef Penninger wurde 1964 in Oberösterreich geboren und studierte Medizin und Kunstgeschichte in
Innsbruck. Nach der Promotion verbrachte er vier Jahre als Postdoc am Ontario Cancer Institute in Toronto und ging
danach als Principal Investigator ans Amgen Research Institute an der University of Toronto. Seit 2002 ist er wissenschaftlicher
Direktor des Instituts für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
(IMBA). Josef Penninger ist Professor am Department of Immunology and Medical Biophysics der Universität Toronto,
Honorarprofessor für Genetik an der Universität Wien und Honorarprofessor der Chinesischen Akademie der
Medizinischen Wissenschaften. |