Schlußstrich? Die Geschichte der Restitution  

erstellt am
22. 03. 07

Buchpräsentation und Podiumsdiskussion im Hohen Haus
Wien (pk) - Nationalratspräsidentin Barbara Prammer und die Evangelische Akademie Wien luden am 21.03. zu einer Veranstaltung mit dem Titel "Schlußstrich? Die Geschichte der Restitution" ins Parlament. Im Sitzungssaal des Nationalrats wurde die vierbändige Buchreihe "Raub und Rückgabe – Österreich von 1938 bis heute" von der Herausgeberin Dr. Verena Pawlowsky und Herausgeber Dr. Harald Wendelin präsentiert. Im Anschluss daran setzten sich die Abgeordnete Terezija Stoisits (G), der Präsident des Verwaltungsgerichtshofes und ehemaliger Vorsitzender der Historikerkommission Clemens Jabloner, der Restitutionsbeauftragte der Stadt Wien Kurt Scholz und der Historiker Gerhard Baumgartner in einer Podiumsdiskussion vor einem zahlreich erschienenen Publikum mit dem Thema Restitution und Wiedergutmachung auseinander.

Wie geht der demokratische Staat der Zweiten Republik mit ererbtem Unrecht um? Wie verhält er sich zu den Ansprüchen der Opfer von Vermögensentzug, Enteignung, Arisierung und Entrechtung in den Jahren zwischen 1938 und 1945? Das sind komplexen Probleme, in denen widersprüchliche Interessen und Wahrnehmungen die Praxis der Entschädigung wie den Diskurs darüber von 1945 bestimmten haben und teilweise bis heute bestimmen.

Die im Mandelbaum-Verlag erschienene vierbändige Reihe "Raub und Rückgabe – Österreich von 1938 bis heute" hat sich zum Ziel gesetzt, die wesentlichen Ergebnisse aus dem 49 Bände und 14.000 Seiten umfassenden Endbericht der Historikerkommission in kondensierter und verständlicher Form darzustellen. Damit sollen die Ergebnisse der zahlreichen, von mehr als 160 Forschern und Forscherinnen im Auftrag der Historikerkommission durchgeführten Forschungsprojekte sowie aus der Provenienzforschung vieler Museen zu einer Vielzahl von Einzelthemen, einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Bei der Aufarbeitung wurde auch immer bewusst das Jahr 1938 als Ausgangspunkt genommen, um auf die Tatsache hinzuweisen, dass die Republik Österreich nach 1945 in diesen Fragen immer wieder auch als Rechtsnachfolger des NS-Staates agierte.

Die von der Republik Österreich 1998 eingesetzte Historikerkommission hat es unternommen, auch als Reaktion auf immer wieder auftauchenden Forderungen nach einem "Schlußstrich", die Leistungen wie auch Defizite der Restitutionsgesetze aufzuarbeiten. Die Praxis der Restitution, die sich auf ein immer mehr anwachsendes gesetzliches Regelwerk stützte, konnte Zweifel daran, dass die Republik gewillt sei, die Anliegen der Opfer angemessen zu berücksichtigen, nicht ausräumen. Das führte seit den neunziger Jahren zu internationalem Druck auf Österreich, seine Position gegenüber den NS-Opfern neu zu überdenken. Die Haltungsänderung Österreichs in dieser Frage kam unter anderem in der Einrichtung des National- und Versöhnungsfonds zum Ausdruck.

Der erste Band, "Die Republik und das NS-Erbe" widmet sich der Praxis der Rückstellungsgesetze seit den 40er und 50er Jahren bis heute. Anhand von Einzelbeispielen wird eine durchaus ambivalente Vorgangsweise der Republik Österreich gegenüber den Ansprüchen von Einzelpersonen wie Institutionen auf Wiedergutmachung erlittener Vermögensverluste dargestellt. Die österreichischen Behörden zeigten teils wirkliches Bemühen, in anderen Fällen wurde vertröstet und verzögert. Die Bilanz lautet, dass vor allem eine Überbürokratisierung der Verfahren es den Überlebenden schwer machte, zu ihrem Recht zu kommen.

Der zweite Band "Arisierte Wirtschaft" widmet sich den aus "rassischen" Gründen erfolgten Enteignungen. Dabei diente die Enteignung von Wirtschaftsunternehmen jüdischer BürgerInnen, die von Kleinst- bis Großunternehmen reichte, neben der unmittelbaren Beraubung auch einer nachhaltigen Strukturbereinigung der Wirtschaft auf dem Gebiet des an "Großdeutschland" angeschlossenen Österreich. Die Resultate dieser ökonomischen Neustrukturierungen waren nach 1945 nicht gänzlich unwillkommen, was die Auseinandersetzung mit diesem Thema erschwerte.

Im dritten Band, "Enteignete Kunst" geht es um das nach wie vor aktuelle Thema der Restitution enteigneter Kunstschätze. Gerade diese Frage hat, wie die Herausgeber feststellen, eine Katalysatorfunktion in der gesamten Restitutionsdebatte, da die zweifelhafte Provenienz und Rückgabe berühmter Kunstwerke eine besondere mediale Aufmerksamkeit erfährt.

Der vierte Band, "Ausgeschlossen und entrechtet" widmet sich besonders den Bevölkerungsgruppen, die im NS-Regime besonders intensiven Verfolgungen ausgesetzt waren, entweder aus Gründen der NS-Rassenideologie oder weil sie von den Nationalsozialisten aus anderen Gründen als nicht der "Volksgemeinschaft" zugehörig betrachtet wurden.

Prammer: Kein "Schlußstrich" unter die NS-Vergangenheit
In ihren einleitenden Worten meinte Nationalratspräsidentin Barbara Prammer, im Titel der Veranstaltung sei aus guten Gründen hinter das Wort "Schlußstrich" ein Fragezeichen gesetzt worden. Der Begriff "Schlußstrich" habe im österreichischen Umgang mit der NS-Vergangenheit schon sehr frühzeitig Konjunktur gehabt, sich durch einen "Schlußstrich" von ihr abzugrenzen, schien, so Prammer, den Reiz einer bequemen Lösung gehabt zu haben. Selbst in jüngster Zeit sei von mancher Seite argumentiert worden, dass mit der nunmehrigen Restitution ein "Schlußstrich" unter die Vergangenheit gezogen werden könne.

Genau vor dieser Sicht warnte Prammer allerdings. Vergangenheit wirke immer in die Zukunft, auch verdrängte Vergangenheit wirke weiter – oft unbewusst und gefährlich. Wir müssen uns vielmehr mit unserer Vergangenheit bewusst auseinandersetzen, um sie aufarbeiten zu können. Jede Generation müsse dies aufs Neue tun, in diesem Sinn gebe es keinen "Schlußstrich" unter die Vergangenheit, betonte Prammer mit Nachdruck.

Die Präsidentin würdigte weiters die Tätigkeit der Historikerkommission und bemerkte, spätestens aus ihren Forschungsergebnissen gehe eindeutig hervor, wie das offizielle Österreich nach 1945 nur beschränktes Interesse an der Rückgängigmachung des Unrechts an den Tag legte. Einer der Gründe dafür sei das Selbstverständnis Österreichs als erstes Opfer der NS-Aggression gewesen, das erst in den 1980er Jahren in Frage gestellt wurde. Die Erklärung von Bundeskanzler Vranitzky zur "moralischen Mitverantwortung für Taten unserer Bürger", aber auch die Einrichtung des Nationalfonds seien wichtige Schritte auf diesem Weg gewesen.

Die dem Entschädigungsfonds zur Verfügung stehenden beschränkten Mittel könnten weder in quantitativer und schon gar nicht in qualitativer Hinsicht die während der NS-Zeit erlittenen Verluste ersetzen. Der Fonds setze nach den Worten Prammers aber auch eine Erinnerungsarbeit fort, der sich jeder von uns aussetzen sollte, dem das Bekenntnis zur Vergangenheitsaufarbeitung nicht nur ein politisches, sondern auch ein persönliches Anliegen ist.

Kovacic: Es darf kein "Gras darüber wachsen"
Direktorin Waltraut Kovacic dankte namens der Evangelischen Akademie Wien für die Möglichkeit der Abhaltung dieser Veranstaltung in den Räumen des Parlaments. Die Evangelische Akademie sehe sich als Plattform, wo gesellschaftlich wichtige Debatten offen und kontrovers geführt werden könnten. Das Thema der Restitution sei eines der Themen, in dem sie sich aufgerufen sehe, nicht zuzulassen, wie man das sprichwörtliche "Gras darüber" wachsen lasse. Nationalratspräsidentin Prammer zeige mit ihrer Unterstützung, dass sie dieses Anliegen teile.

Herausgeberin Dr. Verena Pawlowsky und Herausgeber Dr. Harald Wendelin erläuterten das Anliegen der vierbändigen Reihe, die Ergebnisse der Restitutionsforschung in einer auch einem Publikum von Nichtfachleuten in einer zugänglichen, einfachen Form zu präsentieren, ohne dabei in Simplifizierungen zu verfallen.

Jabloner: "Buchhalterische Bilanz" des Unrechts nicht möglich
In der anschließenden Podiumsdiskussion, die von der Historikerin Eva Blimlinger moderiert wurde, betonte Clemens Jabloner, solange man über einen "Schlußstrich" spricht, sei er noch nicht gezogen. Auch die Historikerkommission habe keine "buchhalterische Bilanz" liefern können, dazu seien die Dimensionen einfach zu groß gewesen. Als wesentliche bleibende Eindrücke seiner Arbeit in der Kommission nannte Jabloner die Komplexität der NS-Maschinerie und ihre Modernität hinsichtlich der Managementmittel, aber auch das Fortwirken der NS-Propaganda und den Aufbau eines wirksamen antisemitischen Klischees – der "reiche" Jude bzw. das Lumpenproletariat - , das bis heute für viele Menschen eine Identifizierung mit den Opfern verhindert habe.

Stoisits: "Schlußstrich"-Debatte ist Provokation
Terezija Stoisits betrachtete jegliche Diskussion über einen "Schlußstrich" als Provokation. Wie könne es einen "Schlußstrich" geben, wenn selbst Opferfürsorgeleistungen nicht valorisiert werden, wenn Kunstwerke in öffentlichen Sammlungen nicht von der Restitution erfasst werden, fragte sie. Es sei gerade jetzt vor dem Gedenkjahr 2008 besonders notwendig weiterzumachen, schon deshalb, da es in Österreich nie eine systematische Aufarbeitung der sogenannten Elitenkontinuität gegeben habe, war sie überzeugt.

Scholz: Es gibt nichts zu bejubeln
Kurt Scholz sprach sich ebenfalls gegen einen "Schlußstrich" aus. Solange es ein Kunstwerk, eine Liegenschaft gibt, die nicht in den Händen der rechtmäßigen Erben sind, sei die Frage der Restitution nicht abgeschlossen, meinte er. Solange nicht Familienerinnerungen fortleben, sei es eine Illusion zu glauben, dass irgendwann Schweigen herrschen könne. In der Restitutionspraxis gebe es nichts zu bejubeln und zu feiern, warnte Scholz. Es gehe nicht an, dass die Restitutionsdebatte in einem schulterklopfenden Selbstlob endet, handle es sich doch bei der Restitution um nichts anderes als das Herstellen einer Normalität mit mehr als 60 Jahren Verspätung, gab er zu bedenken.

Baumgartner: Restitution für Roma erst am Anfang
Gerhard Baumgartner betrachtete die Restitutionsdebatte aus der Sicht der Roma und stellte fest, gerade für diese Gruppe könne es keinen "Schlußstrich" geben, zumal man noch nicht einmal mit der Erhebung der Namen der Opfer angefangen habe und bei der Restitution erst ganz am Anfang stehe. Für viele Vermögenswerte gebe es heute keine Antragsteller mehr. Die Republik habe aber die eindeutige Verpflichtung, für die Roma einen Entschädigungsmechanismus zu finden, da ja einer der Hauptprofiteure der Enteignungen immer wieder auch die öffentliche Hand gewesen sei, sagte Baumgartner.
 
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