Wirtschaftsethik oder Neoliberalismus?  

erstellt am
29. 03. 07

Werte oder Shareholder Value – Podiumsdiskussion über Sinnfragen der Wirtschaft im Parlament
Wien (pk) - Ist der Neoliberalismus auf dem Vormarsch? - Beherrscht die Wirtschaft den Menschen - oder umgekehrt? - Sind Mitarbeiter nur noch Kostenstellen in den Kalkulationen der Manager? - Wie sieht wertorientierte Unternehmensführung heute aus? - Das waren zentrale Fragen der Wirtschaftsethik-Diskussion, zu der der Zweite Nationalratspräsident Michael Spindelegger am Abend des 27.03. in das Parlament einlud. Am Podium hatten die Vorstandsvorsitzenden Wolfgang Anzengruber (Palfinger AG) und Norbert Griesmayr (VAV Versicherungs AG), Vorstandsmitglied Gerhard Grund (Raiffeisen-Centrobank AG) sowie der ehemalige Manager und nunmehrige Abt des Stiftes Heiligenkreuz Gregor Henckel-Donnersmarck Platz genommen. Das Publikum mit viel Prominenz aus Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft diskutierte lebhaft mit. Namentlich begrüßte Präsident Spindelegger den ehemaligen Zweiten Nationalratspräsidenten Robert Lichal und den ehemaligen Bundesratspräsidenten Herwig Hösele.

Zu Beginn seiner einleitenden Worte betonte der Zweite Präsident des Nationalrates Michael Spindelegger, dass das Thema "Wirtschaftsethik versus Neoliberalismus" gerade im Parlament diskutiert werden müsse, da dort die Zukunftsgestaltung wesentlich bestimmt werde. Viele Menschen hätten nämlich heute auch in Österreich das Gefühl, Entwicklungen nicht mehr beeinflussen zu können, da sich in der Wirtschaft eine Eigendynamik bemerkbar mache und der Unternehmenserfolg vielfach auf Kosten der Mitarbeiter erwirtschaftet werde. Präsident Spindelegger hielt es für wichtig, Schlagworte wie "Shareholder Value" oder "Umsatzsteigerung" zu relativieren, kritisch dahinter zu blicken und das Thema seriös aufzuarbeiten. Es müsse in einigen Punkten Korrekturen geben und zu manchen Entwicklungen ein klares Nein gesagt werden. Unter den zahlreichen Maßnahmen zur Gegensteuerung sei vor allem die Mitbestimmung der Mitarbeiter von großer Bedeutung, so Spindelegger.

Vorstandsvorsitzender Wolfgang Anzengruber (Palfinger AG) wies darauf hin, die Wirtschaft sei heute tendenziell anonym geworden und nicht mehr personendominiert. Kurzfristiges Denken und Orientierung am schnellen Erfolg bestimme das wirtschaftliche Leben. In der Theorie, etwa in vielen Unternehmensleitbildern, seien die Mitarbeiter zwar das "höchste Gut", in der Praxis behandle man sie aber als Aufwandsposition, als Teil der Investitionen. Wissenschaftliche Prognosen zeigten aber, dass gut ausgebildete, kompetente und engagierte Mitarbeiter in Zukunft eine knappe Ressource darstellen werden und die Wirtschaft gut daran täte, die Menschen dementsprechend zu behandeln. Die "Mitarbeiterdimension" müsse stärker beachtet werden, Moral und Ethik seien auf jeden Fall in die Unternehmensführung zu inkludieren, betonte Vorstandsvorsitzender Anzengruber.

"Der Mensch beherrscht die Wirtschaft und nicht umgekehrt" müsse nach den Worten des Vorstandsvorsitzenden Norbert Griesmayr (VAV Versicherungs AG) das Motto moderner Unternehmensführung lauten. Bei der jährlichen Befragung der Mitarbeiter seines Betriebes findet der Satz "Ich trage mit meiner Arbeit zum Erfolg des Unternehmens bei" 90-prozentige Zustimmung.

Die Soziale Marktwirtschaft ist laut Griesmayr heute so stark wie noch nie in der Geschichte. Als mitteleuropäische Ausprägungsform des Wirtschafts- und Sozialsystems und als "Exportschlager Europas" hat sie positive ethische Konsequenzen, denn sie schafft ideale sittliche Rahmenbedingungen für den Markt. In Österreich sah Griesmayr die Errungenschaft der "Abfertigung neu" und die Verlängerung des Jahresurlaubs auf fünf Wochen besonders positiv. Der Schlüssel zur Gestaltung der Sozialen Marktwirtschaft liegt bei den Managern, betonte Norbert Griesmayr. Es gelte, die Mitarbeiter zu stärken und auch deren Beteiligung am Wirtschaftsprozess in jeder Weise zu sichern. Der "Shareholder Value" stehe in Europa nicht so sehr im Vordergrund, meinte Griesmayr und hielt "Stock Options" für Manager in Mitteleuropa für eine Fehlentwicklung. Der Erfolg der Unternehmen werde hier nicht in erster Linie am Aktienkurs gemessen. Für Griesmayr ist es die nobelste Aufgabe eines Managers, den Mitarbeitern Sinn zu vermitteln: Da der Mensch rund 80.000 Stunden seines Lebens in der Arbeit verbringe, gelte es, diese sinnvoll zu gestalten.

Vorstandsmitglied Gerhard Grund (Raiffeisen-Centrobank AG) analysierte die Entwicklung der globalisierten Marktwirtschaft und stellte fest, dass vom Wachstum der letzten Jahre in erster Linie Entwicklungsländer in Asien und Afrika profitierten. Trotz bescheideneren Wachstums in den alten Industrieregionen sinkt dort die Arbeitslosigkeit. Überdies habe das System die Verdreifachung des Ölpreises verkraftet. Grund nennt dies eine Folge der Globalisierung. Die Kosten für diese Entwicklung trage der "flexible Mensch", für den die "Karotten" immer höher hängen, auch wenn sie immer größer würden, was bedeutet, dass die Managergehälter überproportional steigen, während die realen Mitarbeiterlöhne etwa in den USA sinken. Zu den Kosten der Entwicklung zählt der Bedeutungsverlust menschlicher Bindungen, zu den Unternehmen, aber auch in den Partnerschaften. Die Menschen leiden unter diesen Veränderungen, sie brauchen neue Bindungschancen, in der Familie, in Schulen, Kirchen, Vereinen und im öffentlichen Rundfunk. Das setzt für Grund "marktfreie Zonen" voraus, es sei nicht einzusehen, dass man auch an den Wochenenden der Kauflust frönen müsse, sagte Grund und plädierte nachdrücklich für den freien Sonntag.

Für Abt Gregor Henckel-Donnersmarck (Stift Heiligenkreuz) steht der Mensch als Subjekt der Wirtschaft ganz im Zentrum der Betrachtung. Die Menschen sind nicht mit Produktionsfaktoren gleichzusetzen, sagte der Abt und plädierte nachdrücklich für die Humanisierung der Wirtschaft. Die Globalisierung sieht Henckel-Donnersmarck hingegen differenziert, er bejaht sie im Sinne einer Integrationspolitik, als Chance für Begegnung, Frieden und Zusammengehörigkeit der Menschen. "Die Globalisierung braucht aber eine Kultur der Regelungen". Dabei erinnert der Abt an die Grundbegriffe der Katholischen Soziallehre, an Solidarität und Subsidiarität. Gegenüber der Idee, einen Raum des freien Markt von einem marktfreien Raum zu trennen, zeigte Abt Henckel-Donnersmarck Skepsis und unterstrich die Notwendigkeit, den Markt zu regulieren und ihn vor der ihm innewohnenden Tendenz der Autodestruktion zu schützen.

Eine lebhafte Publikumsdiskussion erweiterte das Themenspektrum des Abends um den Begriff der ökosozialen Marktwirtschaft, der notwendig sei, "um zu verhindern, dass wir die Umwelt unserer Nachfahren zerstören", sowie um jenen der Wissensgesellschaft, mit dem die Hoffnung auf einen höheren Stellenwert des Individuums in der Wirtschaft verbunden war, weil das Wissen stets einem Einzelnen gehöre. Immer wieder wurden Klagen darüber laut, die Wirtschaft lasse in ihrer jüngsten Entwicklung eine Reduktion der Werte auf den Gewinn erkennen, eine Tendenz, die als gefährlich und bedauerlich bezeichnet wurde.

Demgegenüber konnte Norbert Griesmayr keine Fokussierung der Wirtschaft auf reines Gewinnstreben erkennen und hielt fest, dass erfolgreiche Unternehmen ohne Wertorientierung nicht geführt werden können.

In seinem Schlussstatement mahnte Gregor Henckel-Donnersmarck beim Begriff der ökosozialen Marktwirtschaft die Schöpfungsverantwortung ebenso ein wie die ethische Kompetenz der Politik, wobei er insbesondere an die Verantwortung des Staates zum Schutz des Lebens erinnerte.

Für Gerhard Grund steht in der Wirtschaftsethik weniger die Programmatik, sondern vielmehr das Handeln im Vordergrund, Handeln im Sinne der Loyalität zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern und ethisches Handeln im Sinne verantwortungsvollen Investierens, Produzierens und Konsumierens.

Wolfgang Anzengruber zeigte sich überzeugt davon, dass am freien Markt Korrekturen angebracht werden müssen, wenn man eine ökosoziale Marktwirtschaft entwickeln wolle. Er schlug schließlich vor, Wachstumsprozesse weniger an Quantitätskriterien zu messen und stärker an Qualitätskriterien sowie am Nachhaltigkeitsprinzip.
 
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