Neue "Bernstein-Gruppe" an der Ruhr-Universität BMBF fördert Forschung in
"Computational Neuroscience"
Bochum (universität) - In jeder Millisekunde sind im Gehirn Millionen von Nervenzellen aktiv,
um den fortwährenden Informationsstrom aus der Außenwelt über Sensoren mit Prozessen der neuronalen
Innenwelt zu verbinden. Wie diese hochdynamischen Prozesse ablaufen und funktionieren, untersuchen die Bochumer
Neurowissenschaftler Professor Gregor Schöner, Juniorprofessor Dirk Jancke und Juniorprofessor Christian Igel.
Seit März fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) dieses Projekt als "Bernstein-Gruppe"
mit rund 1 Million Euro für zunächst drei Jahre. Die Bochumer Forscher sind damit Teil des nationalen
Netzwerkes "Computational Neuroscience".
Theorie mit neuen experimentellen Ansätzen verbinden
Ziel des Netzwerkes ist es, die fachübergreifende Forschungsrichtung "Computational Neuroscience"
in Deutschland zu stärken, um die neuronalen Grundlagen von Hirnleistungen zu verstehen - von der Verarbeitung
von Sinnesreizen über Lernen bis zur kognitiven Verhaltensplanung. Die Bochumer Bernstein-Gruppe nutzt die
rasant gestiegenen technischen Möglichkeiten, um komplexe Netzwerkdynamiken zu simulieren, und verbindet dies
mit neuen bildgebenden Verfahren zur Darstellung von Gehirnaktivität. In den nächsten Jahren entwickeln
die Forscher sowohl theoretische Modelle als auch experimentelle Ansätze zum Verständnis des Gehirns.
Das Gehirn als dynamisches System
Langfristig setzt sich die Bernstein-Gruppe zum Ziel, durch ein eng verzahntes theoretisches und experimentelles
Forschungsprogramm die Entstehung höherer Hirnfunktionen zu verstehen. Sie resultieren aus der kontinuierlichen
neuronalen Dynamik von Nervennetzen, die Sensorik und Motorik verknüpfen und sich erfahrungsabhängig
ändern. Die neuronalen Aktivitäten verlaufen innerhalb komplexer Architekturen, in denen Nervenzellen
hochgradig vernetzt sind. Wie das Gehirn die Verarbeitungsprozesse autonom und stabil bewerkstelligt, ist eines
der großen Rätsel neurobiologischer Forschung. Jun. Professor Jancke nutzt zur Visualisierung sich rasch
ändernder Aktivitätsmuster im Gehirn ein neues optisches Verfahren. Mit Hilfe fluoreszenter Farbstoffe,
deren Moleküle sich in die Membranen von Nervenzellen verankern, werden Aktivitätsänderungen durch
Lichtsignale sichtbar. Die optische Messapparatur gestattet dabei den gleichzeitigen Blick auf größere
Gehirnflächen. So lassen sich in Echtzeit neuronale Prozesse über weitreichende Netzwerkstrukturen erfassen.
Weitverzweigte Netzwerke
Einzelne Neurone vermitteln dabei nur wenige Informationen über die zugrundeliegenden Verarbeitungsprozesse.
Vielmehr sind Nervenzellen in weitverzweigten Netzwerken organisiert, die in ihrer Gesamtheit stetig wechselnde
Zustände generieren. Die Bochumer Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich die komplexe Dynamik solcher
Vorgänge durch Wechselwirkungen innerhalb neuronaler Populationen beschreiben lässt.
Neuronale Felder
Mathematisch kann man diese Form der Repräsentation von Information durch neuronale Populationen mit
dem Begriff des "neuronalen Feldes" erfassen. So wie in der Physik das elektrische Feld jedem Raumpunkt
eine Größe zuordnet, aus der die Kraft auf eine elektrische Ladung abgeleitet werden kann, so ordnet
das neuronale Feld jedem möglichen Stimulus eine Größe - die Aktivierung - zu. Die zeitliche Entwicklung
der Populationsaktivität modellieren die Wissenschaftler mit Differenzialgleichungen, den Felddynamiken. Sensorische
Eingänge, aber auch Wechselwirkungen innerhalb der neuronalen Population tragen zur Felddynamik bei. Professor
Schöner nutzt diesen theoretischen Rahmen, um zu verstehen, wie sich Menschen aus dem Fluss der visuellen
Information ein Bild der Umwelt machen. Die Identifikation solcher Felddynamiken aus experimentellen Daten und
Vorhersage von neuronalen Antworten auf neue Reize sind Gegenstand der Arbeiten von Juniorprofessor Igel. Die Bernstein-Gruppe
legt ihren Schwerpunkt dabei auf Modelle der frühen visuellen Verarbeitung und der Beschreibung und Analyse
von Lernprozessen in neuronalen Feldern.
Forschungskapazitäten bündeln
Das Rektorat der Ruhr-Universität plant, die interdisziplinär arbeitende Forschungsgruppe langfristig
am Institut für Neuroinformatik zu etablieren, und hat durch diese Entscheidung im Vorfeld den Weg geebnet,
um dauerhaft die enge Verzahnung zwischen theoretischen und experimentellen Neurowissenschaften an der RUB zu fördern.
Die Neurowissenschaften sind seit Jahren ein fachübergreifender Forschungsschwerpunkt in Bochum und eine der
tragenden Säulen im Zukunftskonzept der RUB in der Exzellenzinitiative. |