Demokratie-Speed-Dating mit Politikern im Hohen Haus
Wien (pk) - Das Desinteresse der Jugend an Politik und die Politikverdrossenheit dürften doch
nicht so groß sein wie vielfach vermutet. Das suggeriert zumindest eine Pilotstudie der Donau Universität
Krems zum Thema "Jugend und Politische Bildung", die Politikwissenschafter Peter Filzmaier am 08.05.
gemeinsam mit Unterrichtsministerin Claudia Schmied und Wissenschaftsminister Johannes Hahn bei einer Pressekonferenz
im Parlament präsentierte. Filzmaier wies darauf hin, dass das politische Interesse von Jugendlichen mit jenen
von Erwachsenen zu vergleichen sei, wobei sie in viel stärkerem Ausmaß Politische Bildung einforderten
als diese. Für ihn zeigt die Studie deutlich, dass Jugendliche durchaus Demokratie lernen wollten.
Sieht man sich die Daten im Detail an, wird dieser Befund bestätigt. Demnach gaben immerhin 64 % der
befragten Jugendlichen zwischen 14 und 24 an, sie hätten in der Schule gerne mehr politische Bildung, fast
drei Viertel sprachen sich für ein eigenes Unterrichtsfach "Demokratielernen" aus. Nur eine verschwindende
Minderheit findet, in der Schule wird zu viel über dieses Thema gesprochen.
Inhaltlich betrachtet, wünschen sich die Jugendlichen vor allem eine stärkere Thematisierung der Gleichbehandlung
von Frauen und Männern und der Integration von Ausländern, während Globalisierung, Zeitgeschichte
sowie politische Beteiligung und Wahlen im Mittelfeld rangierten. Weniger Defizite werden hingegen bei den Themen
EU-ropa, Medien, Internet und aktuelle politische Ereignisse geortet. Mit Abstand wichtigste Informationsquelle
der Jugendlichen für politisches Wissen sind die Medien, gefolgt von persönlichen Gesprächen in
der Familie bzw. mit Freunden, wobei die Medien auch als glaubwürdigste Informationsquelle eingestuft werden.
Ambivalent sind die Ergebnisse der Studie, was die Zustimmung zur geplanten Senkung des Wahlalters betrifft. Zwar
spricht sich, wie Filzmaier berichtete, eine Mehrheit der befragten Jugendlichen (59 %) gegen das Wählen mit
16 aus, filtert man jedoch die 14-17jährigen heraus, ergibt sich eine ganz knappe Mehrheit für diesen
Schritt. Dezidiert als "politisch sehr interessiert" bezeichnete sich ein Fünftel der Jugendlichen,
68 % haben zumindest etwas politisches Interesse. Knapp 60 % meinten, es wäre wichtig, sich politisch zu beteiligen
und erklärten sich grundsätzlich auch bereit dazu.
Die Zufriedenheit der Jugendlichen mit der Demokratie in Österreich wertete Filzmaier als durchschnittlich.
69 % der Jugendlichen gaben an sehr zufrieden bzw. ziemlich zufrieden zu sein, gleichzeitig gebe es, so Filzmaier,
"eine gefährliche Zahl von Jugendlichen", die latent unzufrieden seien. Fast jeder fünfte Jugendliche
präferiert – ähnlich wie bei den Erwachsenen – einen starken Mann in der Politik, wobei die Autoritätsgläubigkeit
umso höher ist je geringer das Interesse an Politik.
Unterrichtsministerin Schmied und Wissenschaftsminister Hahn werteten die Studie in ihren Statements als deutlichen
Auftrag an die Regierung. Startschuss für die von ihnen geplante Demokratie-Initiative wird ein Demokratie-Dialog
am Minoritenplatz sein, zu dem rund 300 Personen – PädagogInnen, SchülerInnen, Elternverbände, ParlamentarierInnen,
WissenschafterInnen etc. – eingeladen werden. Erste konkrete Maßnahmen sind dann für den Herbst geplant,
wobei die Frage, ob Politische Bildung ein eigenes Unterrichtsfach werden soll, Schmied zufolge noch offen ist.
Es gehe jedenfalls nicht nur um Wissenserwerb und Institutionenlehre, unterstrich die Ministerin, vielmehr wolle
man Lust an Politik sowie Werte wie Toleranz und Zivilcourage vermitteln. Konkret in Aussicht genommen ist die
Verankerung des Faches "Politische Bildung" im Curriculum der Pädagogischen Hochschulen.
Wissenschaftsminister Hahn will in seinem Kompetenzbereich für die Einrichtung eines eigenen Lehrstuhls "Didaktik
der politischen Bildung" eintreten. Geht es nach ihm, soll es überdies bei den ÖH-Wahlen 2009 erstmals
die Möglichkeit geben, seine Stimme mittels E-Voting abzugeben. Generell meinte der Minister, man müsse
jungen Leuten vermitteln, dass Kompromisse per se nichts Schlimmes seien. Wenn junge Menschen sich möglichst
früh politisch engagierten bzw. sich für eine Sache einsetzten, würden sie lernen, wie mühsam
es gelegentlich sei, Mehrheiten zu finden.
Sowohl Schmied als auch Hahn wiesen darauf hin, dass das Parlament als Veranstaltungsort für die Pressekonferenz
mit Bedacht gewählt worden sei, da kein Ort besser dafür geeignet wäre, Demokratie und Partizipation
zu vermitteln.
Im Anschluss an die Pressekonferenz stellten sich Hahn und Schmied gemeinsam mit Zweitem Nationalratspräsidenten
Michael Spindelegger (V), Dritter Nationalratspräsidentin Eva Glawischnig-Piesczek (G) und den Abgeordneten
Elisabeth Grossmann (S), Silvia Fuhrmann (V) und Dagmar Belakowitsch-Jenewein (F) einem Demokratie-Speed-Dating
mit Schülerinnen und Schülern einer sechsten AHS-Klasse aus Krems. In Zwei-Minuten-Intervallen konnten
die 16jährigen den PolitikerInnen Fragen stellen und mit ihnen diskutieren, wobei sich die Gesamtschule und
Wählen mit 16 rasch als die zentralen Themen herauskristallisierten. Die SchülerInnen interessierten
sich beispielsweise aber auch für die Einkommensschere zwischen Männern und Frauen und die Gleichstellung
von Homosexuellen.
Seitens der Politik gab es dabei eine klare Präferenz für das Wählen mit 16. So gab Dritte Präsidentin
Glawischnig-Piesczek zu bedenken, dass es nicht darum gehe, Jugendliche zu zwingen, mit 16 ihre Stimme abzugeben;
wer wählen wolle, solle dies aber tun können. Auch bei der Einführung des Frauenwahlrechts habe
es seinerzeit geheißen, dass Frauen politisch nicht interessiert seien und eigentlich nicht wählen wollten,
skizzierte sie. Zudem erzählte Glawischnig den Jugendlichen von der Gedenkveranstaltung im Parlament, die
vor kurzem abgehalten wurde und bei der sich ehemalige Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime betrübt
gezeigt hatten, dass die Jugendlichen mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten heute nicht mehr unbedingt als große
Errungenschaft sehen würden. Zweiter Präsident Spindelegger regte zur besseren Vorbereitung der Jugendlichen
unter anderem ein eigenes Unterrichtsfach Politische Bildung an. Er räumte zudem Bedenken aus, dass es in
der Frage "Wählen mit 16" noch zu einem Meinungsumschwung seitens der PolitikerInnen kommen werde,
und zeigte sich überzeugt, dass sich im Parlament dafür die notwendige Mehrheit finden wird.
Auch im Hohen Haus gibt es eine Reihe von Projekten, um Demokratie für Jugendliche erlebbar zu machen. So
haben Schülerinnen und Schüler beispielsweise morgen im Rahmen der Aktionstage Politische Bildung die
Möglichkeit, mit Unterstützung von PolitikerInnen Parlamentsausschüsse zu simulieren. Auch eine
"Demokratiewerkstatt" für Kinder und Jugendliche zwischen 8 und 14 ist in Planung. |