Sprachforschung in der Praxis - Frauen im "Wartezimmer"  

erstellt am
21. 05. 07

Wien (fwf) - Bei Frauen können ÄrztInnen komplexe Schmerzen weniger gut diagnostizieren als bei Männern - die Ursachen dafür liegen im Sprachgebrauch. Diese für ÄrztInnen wie auch PatientInnen wichtige Erkenntnis liefert ein soeben abgeschlossenes Projekt des Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF. Die Forschungsergebnisse zur geschlechtstypischen Schmerzbeschreibung werden nun am 2nd International Congress of Gender Medicine am 2. und 3. Juni in Wien präsentiert.

Dass Frauen von der Venus und Männer vom Mars sind, glauben wir schon lange zu wissen - wissenschaftlich belegt ist nun, dass in der Beschreibung von komplexen Schmerzen Welten zwischen Mann und Frau liegen. Dies zeigen Untersuchungen von PatientInnen, die unter komplexen Kopfschmerzen leiden. Während weibliche Patienten diese Beschwerden gegenüber ÄrztInnen sehr verkürzt und abgeschwächt darstellen, beschreiben Männer ihre Schmerzen äußerst konkret. Damit sind männliche Patienten bei der Schmerzbehandlung im Vorteil, da es für die Diagnostik und Therapie sehr wichtig ist, den Schmerz genau zu analysieren.

Fehlende Verständigung
Die Ursachen für die unterschiedliche Schmerzbeschreibung sind Sprachbarrieren, wie das Team rund um Prof. Florian Menz, Institut für Sprachwissenschaft an der Universität Wien, herausgefunden hat. Prof. Menz dazu: "Frauen schildern ihren Schmerz eher unspezifisch und weniger ausführlich und fokussieren dabei oftmals auf die Alltagssituationen, in denen der Schmerz auftrat. Dies entspricht jedoch nicht den Anforderungen von MedizinerInnen an eine Schmerzbeschreibung, die während ihrer Laufbahn eine stark symptomorientierte Sprache entwickeln. Männer hingegen schildern ihre Schmerzen sehr konkret und eben symptomorientiert, was den medizinischen Diagnoserastern sehr entgegenkommt und die Verständigung erleichtert."

Dass die Kommunikation zwischen ÄrztInnen und PatientInnen auch auf anderen Ebenen unzureichend ist und zu Missverständnissen führt, zeigt das Projekt anhand von Untersuchungen an weiteren PatientInnen mit chronischen Schmerzen. Während MedizinerInnen im Gespräch mit PatientInnen wiederum primär an der Schmerzanalyse interessiert sind, stehen für diese - die eine langjährige Erfahrung mit den eigenen Schmerzen haben - beispielsweise Behandlungsalternativen im Vordergrund. Hier erfüllt das Arztgespräch oftmals nicht die Erwartungen der PatientInnen, die gerne in die Entscheidungsfindung eingebunden werden wollen.

Die Ambulanz als Labor
Aufgedeckt werden konnten die Probleme in der Kommunikation von komplexen Schmerzen nur aufgrund einer aufwändigen Gesprächsanalyse in Kooperation mit der Kopfschmerzambulanz am AKH Wien, wie Projektmitarbeiterin Dr. Johanna Lalouschek erklärt: "Unser Team hat beinahe 100 Gespräche zwischen ÄrztInnen und PatientInnen auf Tonband und zumeist auch auf Video aufgezeichnet. Zusätzlich haben wir im Rahmen des Projekts erstmals systematisch dargestellt, wie deutschsprachige PatientInnen ihre Schmerzen beschreiben, wenn keine MedizinerInnen anwesend sind. Dadurch war es uns auch möglich zu erkennen, dass Frauen ihre Beschwerden speziell nur gegenüber ÄrztInnen eingeschränkt kommunizieren. Denn fällt die hier bestehende Sprachbarriere weg und sind keine ÄrztInnen anwesend, sind diese Frauen offener und geben viel mehr von ihrem Schmerz preis."

Bereits zuvor hatte das Team Hinweise, dass Frauen und Männer Brustschmerzen bei koronaren Herzerkrankungen im Gespräch unterschiedlich darstellen. Mit dem jetzt abgeschlossenen Projekt konnten diese geschlechtstypischen Unterschiede in der Kommunikation auch bei komplexen Formen von Schmerzen festgestellt werden. Die gesammelten Forschungsergebnisse werden auf dem am 2. und 3. Juni in Wien stattfindenden International Congress of Gender Medicine präsentiert. Langfristiges Ziel des Teams ist es, die im Rahmen des FWF-Projekts aufgezeigten Sprachschwierigkeiten zu beheben und ÄrztInnen entsprechend zu sensibilisieren.
 
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