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Internationaler Historiker-Workshop in Wien |
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Frühmittelalterforscher suchen Ursprünge des modernen Menschen
Wien (öaw) - Wo liegen die Ursprünge des modernen Menschen? Diese Frage steht ab Montag im Zentrum eines internationalen Historiker-Workshops in Wien. Bei der zweitägigen Veranstaltung mit dem Titel "Ego Trouble - Authors and their identities in the early middle ages" im Theatersaal der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (OEAW) treffen sich führende Vertreter der Frühmittelalterforschung aus Europa und den USA. Das teilte der Wittgensteinpreisträger 2004 und Direktor des Institutes für Mittelalterforschung der OEAW, Univ.-Prof. Dr. Walter Pohl, am Sonntag in einer Aussendung mit. "Seit Langem geht die Geschichtswissenschaft davon aus, dass es im Mittelalter gar keine Individuen im modernen Sinn gegeben hat, nur schwache, selbstvergessene Menschen, überwältigt vom Glauben an einen allmächtigen Gott, gebunden an eine strenge Kirche und verblendet vom Aberglauben. Das antike Individuum, dies lesen wir häufig, ging im 5. Jahrhundert mit dem Ende der klassischen Kultur unter. Allenfalls wird diskutiert, ob der Ursprung des modernen Individuums in der Scholastik des 12. Jahrhunderts liegt oder erst in der Renaissance. Bei der Tagung wollen wir überprüfen, ob dieses einfache Modell überhaupt stimmt", betonte Pohl. Kreativität, Reflexionsfähigkeit und Selbstzweifel der Menschen des früheren Mittelalters würden nach Ansicht des Wittgensteinpreisträgers häufig unterschätzt. Beim Workshop werden die Werke von rund einem Dutzend der wichtigsten Autoren des Mittelalters unter die Lupe genommen. Als Beispiele nannte Pohl unter anderem die Gelehrten Augustinus (354-430), Gregor von Tours (538-594), Liudprand von Cremona (920-972) und Thietmar von Merseburg (975-1018). "Uns interessieren die Probleme, inneren Widersprüche und Konflikte dieser Menschen, die vor über tausend Jahren gelebt haben. Dies ist eine bislang kaum erforschte Sichtweise. Für die Frage nach den Identitäten der Vergangenheit, für die Entwicklung des modernen Menschen, sind daraus viele neue Erkenntnisse zu erwarten", erklärte der Frühmittelalterforscher. Damit stellt sich die Geschichtsforschung der Widersprüchlichkeit unserer europäischen Vergangenheit. Im Frühmittelalter wurde Europa christianisiert, viele Völker und ihre Staaten entstanden. Dieses durchaus zwiespältige Erbe werde oft als so genannt ‚dunkles Mittelalter' verdrängt. Das allgemeine Interesse ziele, betont Pohl, "nur auf den 'rationalen', humanistischen, aufgeklärten Teil unserer Geschichte, auf die Entstehung der Moderne, ab. Doch um das Heute zu verstehen, sollten wir unsere vielfältige und widersprüchliche Vergangenheit als Ganzes akzeptieren". Veranstaltet wird der Workshop vom Institut für Mittelalterforschung der OEAW. Er ist frei zugänglich. Die Veranstaltung ist Höhepunkt und zugleich Abschluss der Wittgenstein-Projektwoche mit dem Titel "Early Medieval Identities". Bei dieser, seit 17. Mai laufenden, Veranstaltungsreihe präsentierten Pohl und sein 15-köpfiges, internationales Historikerteam erste Ergebnisse des Wittgensteinprojektes zum Frühmittelalter. Pohl erhielt 2004 den Wittgensteinpreis. Das ist die höchste wissenschaftliche Auszeichnung in Österreich. Bis 2009 untersuchen der Experte und sein Team ethnische Identitäten im frühmittelalterlichen Europa. Das Frühmittelalter - die Zeitspanne von 400 bis 1000 n. Chr. - ist grundlegend für das Verständnis des gegenwärtigen Europa. Informationen: http://www.oeaw.ac.at/gema/wittg_pro/wittg_event.htm |
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