Hochkarätig besetzter Grundrechtskonvent im Parlament
Wien (pk) - Hat das Grundrechtsbeschwerdegesetz die Erwartungen erfüllt, mit denen es der Gesetzgeber
vor eineinhalb Jahrzehnten beschlossen hat? - Wie setzt der OGH als oberster Wächter über das Grundrecht
auf persönliche Freiheit dieses Gesetz in der Praxis um? - In welche Richtung soll der Grundrechtsschutz in
Judikatur und Legislative weiterentwickelt werden? - Das waren die Ausgangsfragen eines Grundrechtskonvents, zu
dem der Zweite Präsident des Nationalrates Michael Spindelegger gemeinsam mit dem Zentrum für Rechtsforschung
in das Parlament einlud. Präsident Spindelegger betonte die hochkarätige Beteiligung aus Justiz, Wissenschaft
und Rechtsanwaltschaft und begrüßte am Podium die OGH-Senatspräsidenten Karl Mayrhofer und Robert
Schindler, die Untersuchungsrichterin am Landesgericht für Strafsachen Wien Christine Forstner, die Rechtsanwälte
Manfred Ainedter und Michael Graff sowie Universitätsprofessor Hans Klecatsky. Im zahlreichen Publikum waren
die Präsidentin des OGH Irmgard Griss, die ehemaligen Bundesminister Willibald Pahr, Franz Hums und Herbert
Haupt sowie Volksanwalt Peter Kostelka und der ehemalige Rechnungshofpräsident Franz Fiedler erschienen.
Präsident Spindelegger sprach in seinen Einleitungs- und Begrüßungsworten die Aktualität des
Themas an, indem er darauf hinwies, dass die Behandlung von Grundrechtsfragen gerade in der Zeit der Erarbeitung
des Entwurfs einer neuen Bundesverfassung große Aufmerksamkeit verdiene. Das Parlament sei der richtige Austragungsort
für diesen Konvent als Beitrag zur intensiven Arbeit der Legislative in diesem Bereich.
Der Leiter des Zentrums für Rechtsforschung, Universitätsprofessor Adrian Eugen Hollaender, führte
durch die Veranstaltung und betonte die Wichtigkeit der gemeinsamen Behandlung dieses Themas durch Praktiker, Rechtswissenschaft
und Legislative, um eine allmähliche Entfernung der Rechtsprechung von den ursprünglichen Intentionen
des Gesetzgebers zu verhindern. Das Grundrechtsbeschwerdegesetz sei Anfang der neunziger Jahre auf Grund eines
Initiativantrages ins Leben gerufen worden, um das Recht auf Freiheit besonders zu schützen. Denn der Eingriff
in die Grundrechtsphäre bedürfe insbesondere im Provisorialverfahren einer zusätzlichen Prüfungsmöglichkeit
mit hoher Qualität.
Laut Grundrechtsbeschwerdegesetz soll der OGH als Tatsacheninstanz die Rechtmäßigkeit der Untersuchungshaft
überprüfen. Nachdem der OGH anfänglich in diesem Sinne initiativ wurde, habe er aber nach und nach
bei den Verfahren teilweise strafprozessuale Nichtigkeitsgründe angewendet und damit Formalaspekte in den
Vordergrund gerückt. Bei Nichtigkeitsbeschwerdeverfahren geht das Rechtsmittelgericht nur von vorliegenden
Feststellungen aus, im Grundrechtsbeschwerdeverfahren soll der OGH laut Gesetz aber Tatsächliches überprüfen:
Tatverdacht und Haftgründe. Bei Anwendung der Nichtigkeitsgründe kann der OGH die Sachverhaltsgrundlagen
des dringenden Tatverdachts nicht umfassend und aufgrund eigener Feststellungen prüfen. Die Anwendung strafprozessuraler
Nichtigkeitsgründe werde dem Prognose- und Provisorialcharakter von U-Haftentscheidungen nicht gerecht. Daher
soll der OGH darauf verzichten.
Senat 12 des OGH sei zuletzt von dieser Formaljudikatur abgegangen und habe im Sinne des Gesetzgebers deutlich
gemacht, dass er an Feststellungen der angefochtenen OLG-Entscheidung nicht gebunden ist, sondern im Grundrechtsbeschwerdeverfahren
sowohl den dringenden Tatverdacht als auch alle anderen Haftvoraussetzungen einer eigenständigen Beurteilung
unterziehen und eigene Feststellungen an die Stelle jener der angefochtenen Entscheidung setzen kann.
Es bestehe also eine Judikaturdivergenz bei der Grundrechtsbeschwerde, wobei die methodische Ableitbarkeit der
Nichtigkeitsbeschwerde sowie deren Sinnhaftigkeit im Hinblick auf den Grundrechtschutz im Mittelpunkt stehen. Ziel
dieser Auseinandersetzung sei nun, wie Senatspräsident Mayrhofer es in einer aktuellen Publikation zur Überprüfung
der Tatfrage formuliert habe, "mit einem kleinen Federstrich den ursprünglichen Willen des Gesetzgebers
wiederherzustellen".
Senatspräsident Karl Mayrhofer hielt zunächst fest, dass unter bestimmten Bedingungen das Nichtigkeitsverfahren
sinnvoll, zweckmäßig und zielführend sei. Die sinngemäße Anwendung des Nichtigkeitsverfahrens
im Grundrechtsbeschwerdeverfahren beim OGH sei nicht zwingend. Die Anwendung der Formvorschriften des Nichtigkeitsverfahrens
sei mit den Intentionen des Gesetzgebers beim Grundrechtsbeschwerdegesetz nicht in Einklang zu bringen, weil dieser
ausdrücklich festgestellt habe, dass jeder Formalismus vermieden werden soll. "Der OGH ist nicht an Sachverhaltsannahmen
der Untergerichte gebunden."
Rechtsanwalt Michael Graff erinnerte an die Intentionen der Abgeordneten, die das Grundrechtsbeschwerdegesetz im
Jahr 1992 beschlossen haben. Die Frage, ob Tatverdacht besteht und Haftgründe vorliegen, sei etwas ganz anderes
als die Frage danach, ob ein Strafurteil mit Nichtigkeitsgründen behaftet sei. Für den "Vater des
Grundrechtsbeschwerdegesetzes", als den ihn Univ.-Prof. Hollaender apostrophierte, war es wichtig, jeden Formalismus
bei der Grundrechtspflege zu vermeiden, "die Richter sollen Grundrechtsverletzungen umfassend prüfen",
sagte Graff.
Univ.-Prof. Hans Klecatsky trat Vorschlägen, die Grundrechtsbeschwerde dem Verfassungsgerichtshof zu übertragen,
entschieden entgegen. Die Strafrichter haben einen wesentlich besseren Einblick in die Materie als sie der Verfassungsgerichtshof
hätte, dort wäre der Weg zu Entscheidungen wesentlich länger, gab Klecatsky zu bedenken. Statt einer
Verfassungsänderung sollte der OGH seine Judikatur an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
für Menschenrechte anpassen.
Senatspräsident Robert Schindler stellte fest, dass die Anwendung des Nichtigkeitsverfahrens weder aus dem
Text noch aus den Materialien des Grundrechtsbeschwerdegesetzes ableitbar sei. Der OGH werde vielmehr mit der Aufgabe
betraut, Grundrechtsbeschwerden als Tatsacheninstanz zu prüfen. Die dargestellte Judikatur sei daher nicht
vertretbar und unzulässig, weil sie einen umfassenden Rechtsschutz nicht gewährleiste. "Die Judikatur
ist nicht gut beraten, auf dieser Schiene weiterzufahren."
Untersuchungsrichterin Gabriele Forstner erläuterte den Ablauf der Überprüfung des dringenden Tatverdachtes
durch den Untersuchungsrichter. Auf die Ermittlungen durch Polizei und Staatsanwaltschaft und die Erlassung des
Haftbefehls folge die Überprüfung des Aktes durch den Untersuchungsrichter und eine erste Anhörung
des Beschuldigten. Auf der Grundlage einer Momentaufnahme, die sich stündlich als überholt erweisen kann,
müsse nach dem Kriterium der Wahrscheinlichkeiten entschieden werden, ob dringender Tatverdacht und Haftgründe
vorliegen. Der OGH sollte sich nach Meinung Gabriele Forstners bei der Prüfung von Grundrechtsbeschwerden
nicht auf Nichtigkeitsgründe beschränken, sondern sollte den Akt so beurteilen wie ein Untersuchungsrichter.
Rechtsanwalt Manfred Ainedter fasste die bisherigen Ausführungen zur Judikatur des OGH zusammen, indem er
eine Gesetzesänderung vorschlug, weil der OGH des Grundrechtsbeschwerdegesetz nicht so judiziere, wie es sich
der Gesetzgeber ursprünglich gedacht habe. Das Gesetz sei gut, es sei den Anwendern aber gelungen, es gegen
alle Erwartungen kaputt zu machen, indem man etwas hineinbrachte, was nichts darin verloren habe, nämlich
die Nichtigkeitsgründe. Der Anwalt erinnerte daran, dass bereits der Ruf nach dem Verfassungsgerichtshof laut
geworden sei, und forderte eine Gesetzesnovelle, durch die fixiert werde, dass der OGH Grundsrechtsbeschwerden
umfassend zu prüfen habe.
In einer lebhaften und teilweise stark ins Detail gehenden Publikumsdiskussion kam die wachsende Sensibilität
für Grundrechtsfragen während der letzten Jahre zur Sprache. Gegenüber dem OGH wurde einerseits
Kritik wegen "rechtsschutzunfreundlicher Haltung" laut, andererseits war aber auch zu hören, dass
der Oberste Gerichtshof seine Entscheidungen mit großer Sorgfalt und hohem Grundrechtsbewusstsein treffe.
Ergänzend wurde angemerkt, dass die kritisierte Formalisierung der Grundrechtsbeschwerde nicht nur Nachteile
mit sich bringe, sondern auch Vorteile habe, etwa eine raschere Erledigung der Verfahren und die gleiche Behandlung
gleicher Fälle. Der Ruf nach Betrauung des Verfassungsgerichtshofs wurde vereinzelt mit dem Hinweis auf die
Zuständigkeit des deutschen Bundes-Verfassungsgerichts für Grundrechtsbeschwerden untermauert. |