Der Bericht der Energie-Control 2006 liegt dem Parlament vor
Wien (pk) - Das Thema Energiepolitik stand im Jahr 2006 in der EU und ihren Mitgliedsländern
im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses und rückte auf der politischen Prioritätenliste weit
nach vorne. Detaillierte Informationen über die Ereignisse und Entwicklungen in Europa und in Österreich
gibt der Tätigkeitsbericht 2006 des österreichischen Strom- und Gasmarktregulators Energie-Control, den
Energieminister Martin Bartenstein dem Parlament kürzlich vorgelegt hat (III-58 d.B.). Das Dokument fasst
die Ergebnisse der Strom- und Gas-Branchenuntersuchungen von Seiten der EU-Kommission sowie der parallel dazu durchgeführten
Branchenuntersuchung über Strom und Gas in Österreich zusammen.
Eine raschere Entwicklung des EU-Energiebinnenmarktes werde durch die ungenügende Entflechtung ("Unbundling")
ehemaliger Monopolunternehmen, durch Unternehmenszusammenschlüsse und durch zu geringen grenzüberschreitenden
Wettbewerb wegen nicht ausreichender Leitungskapazitäten gebremst. Österreich sei als europäischer
Vorreiter erfolgreich in die Energiemarktöffnung gestartet, wovon zunächst alle Verbrauchergruppen profitiert
haben, schreibt E-Control-Geschäftsführer Walter Boltz, lasse bei der Entwicklung des Wettbewerbs auf
den Energiemärkten aber ebenfalls Mängel erkennen. Der Regulator hofft auf die Wirkung zahlreicher gesetzlicher
Verbesserungen der letzten Zeit sowie auf der Umsetzung des mit der E-Wirtschaft vereinbarten Wettbewerbsbelebungspakets.
Auch mit der Gaswirtschaft, wo ebenfalls noch Wettbewerbsprobleme bestehen, will Boltz Gespräche über
den Wettbewerb fördernde Maßnahmen führen.
Angeheizt wurde die energiepolitische Debatte in Europa und in Österreich 2006 aber nicht nur von Kritik an
Wettbewerbsdefiziten und Verzögerungen bei der Vollendung des EU-Energiebinnenmarktes. Am Beginn des Vorjahres
führte ein Gaspreisstreit zwischen Russland und der Ukraine zu einem kurzfristigen Engpass beim Gasimport
der EU aus dem Osten.
Dieses Ereignis hinterließ deutliche Spuren in der Energiepolitik der Union. Die Abhängigkeit von Gas-
und Ölimporten aus Drittländern wurde bewusst, zusätzlich zum Klimaschutz rückte das Thema
Versorgungssicherheit in das Zentrum der Energiepolitik. Mit einem Mal war klar, dass die Europäische Union
eine neue Energiepolitik braucht, die mehrere Ziele integriert: Vollendung des EU-Energiebinnenmarktes, mehr Wettbewerb,
Versorgungssicherheit, höhere Energieeffizienz, Investitionen in Netz- und Produktionskapazitäten, Nutzung
erneuerbarer Energieträger und eine gemeinsame Energieaußenpolitik.
Umrisse einer integrierten gemeinsamen Energiepolitik der EU
Der E-Control-Bericht dokumentiert die Fakten und absehbaren Entwicklungen, die eine neue Energiepolitik für
Europa verlangen: Während der weltweite Energieverbrauch bis 2030 um 60 % steigt, werden die europäischen
Ressourcen abnehmen. Die EU, die heute 50 % ihrer Primärenergien importiert, wird dann 70 % einführen
müssen - bei Öl über 90 % und bei Gas über 80 %. Der in den letzten sieben Jahren versechsfachte
Ölpreis wird wegen steigender Förderkosten weiter steigen, in der Folge auch die Preise anderer Energieträger.
Abhilfe soll eine gemeinsame integrierte europäische Energiepolitik schaffen, die die Wettbewerbsfähigkeit
des Wirtschaftsstandorts Europa erhält, umweltpolitische Ziele erreicht und die Energieversorgung sichert.
Voraussetzung dafür ist die Vollendung des Energiebinnenmarktes mit einem europäischen Netz für
Strom und Gas, auf dem Wettbewerb und technologische Innovationen genützt werden, um die Energieeffizienz
zu steigern und die Nachhaltigkeit durch den Einsatz erneuerbare Energiequellen zu sichern. Aktuelles Kerninstrument
der neuen EU-Energiepolitik ist das Energiepaket, ausgearbeitet während der österreichischen Ratspräsidentschaft.
Ebenfalls 2006 hat die EU-Kommission ihr Grünbuch "Eine europäische Strategie für nachhaltige,
wettbewerbsfähige und sichere Energie" vorgelegt. Die Stichwörter lauten auch hier: Vollendung der
europäischen Binnenmärkte für Strom und Gas, Ausbau der grenzüberschreitenden Leitungsverbindungen,
Investitionen in Stromerzeugungsanlagen und gleiche Wettbewerbsbedingungen durch ausreichende Entflechtung vertikal
integrierter Strom- und Gasunternehmen. Die Kommission hat angekündigt, alle wettbewerbsrechtlichen und regulatorischen
Kompetenzen auszuschöpfen und gegebenenfalls auch zu stärken, um Wettbewerbshindernisse auf dem Energiebinnenmarkt
zu beseitigen.
Weichen in Richtung einer gemeinsamen EU-Energieaußenpolitik waen auf den EU-Gipfeln in Hampton Court (Oktober
2005) und Lahti (November 2006) gesetzt worden. Im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) wurden
gemeinsam mit einzelnen Ländern oder Regionen Aktionspläne zur Harmonisierung des Energierechts, Integration
und Ausbau der Energienetze, Energieeffizienz, erneuerbare Energiequellen und nukleare Sicherheit ausgearbeitet.
Dazu kommen verstärkte regionale, bilaterale und internationale Kooperationen (Baku, Südosteuropa; China,
Indien, Norwegen, Russland, Ukraine, Moldawien, Aserbeidschan, Kasachstan; USA, IEA, G8, OPEC).
Österreich engagiert sich vorrangig beim Projekt südosteuropäischer Energiebinnenmarkt, der nach
EU-Muster geschaffen und in die EU integriert werden soll. Die E-Control unterstützt die südosteuropäischen
Länder bei der Energiemarktliberalisierung durch Regulierungsexpertise.
Die E-Control berichtet auch über ihre Aktivitäten als Mitglied der beiden Regulierungsgremien CEER (Council
of European Energy Regulators) und ERGEG (European Regulators’ Group for Electricity and Gas). Im Jahr 2006 starteten
die europäischen Regulatoren die "Electricity Regional Initiative (ERI)" – bestehend aus sieben
regionalen Märkten – und im April 2006 die "Gas Regional Initiative (GRI)", bestehend aus vier regionalen
Märkten. Diese Initiativen dienen der Aufdeckung und Beseitigung von Hindernissen für die Marktintegration.
Weiters wurden Transparenzvorgaben für den Gasmarkt zur Vereinheitlichung von Ausgleichsenergiemärkten
und Leitlinien für Transparenz (Guidelines of Good Practice for Information Management and Transparency)
auf dem Stromgroßhandelsmarkt sowie für das Strom- und Gas-Engpassmanagements ausgearbeitet. Denn beim
grenzüberschreitenden Gastransport in den Mitgliedstaaten sind Transparenz, Netzzugang und Gleichbehandlung
von Speichernutzern unbefriedigend entwickelt.
Dazu kamen 2006 Leitlinien für das buchhalterische, funktionale und managementmäßige Unbundling
sowie Vorschläge für den Schutz der Konsumenten durch transparente Rechnungen, Preisvergleiche und Preisausweisung
sowie für Vertragsgestaltung und Lieferantenwechsel.
Die Strom- und Gasmärkte in Österreich
Fünf Jahre nach der Liberalisierung des Strommarktes und vier Jahre nach der Liberalisierung des Gasmarktes
zieht der Geschäftsführer der Energie-Control Walter Boltz eine differenzierte Bilanz. In der ersten
Phase der Liberalisierung haben alle Kundengruppen von der Liberalisierung profitiert, schreibt er, Preissteigerungen
seien trotz enormer Primärenergiepreiserhöhungen moderater ausgefallen als in den meisten anderen EU-Ländern.
Seit zwei Jahren habe sich die Situation aber verschlechtert. Europäische Unternehmenszusammenschlüsse
und die unzureichende Umsetzung der EU-Richtlinien wirkten sich auch in Österreich aus, klagt Boltz, der einmal
mehr an das Erfolgsrezept der Energiemarktliberalisierung erinnert: lebendiger und intensiver Wettbewerb um Endkunden.
Dieser Wettbewerb sei aber nach wie vor schwach ausgeprägt. Die Marktdominanz ehemals monopolistischer Versorger
werde durch Unternehmenszusammenschlüsse begünstigt. Dem von Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) und
E-Control ausgearbeiteten "Wettbewerbsbelebungspaket" habe die organisierte E-Wirtschaft nur teilweise
zugestimmt. Für die Umsetzung verlangen E-Control und BWB eine wirksame Überwachung durch die Behörden
nach strengen Maßstäben und eine Evaluierung der wettbewerbsbelebenden Maßnahmen.
Im Detail informiert der Bericht der Energie-Control über die zahlreichen rechtlichen Fortschritte, die das
Jahr 2006 auf dem Energiesektor gebracht hat: das Energie-Versorgungssicherheitsgesetz, mit dem EU-Richtlinien
zur Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) und über Maßnahmen zur Gewährleistung der
sicheren Erdgasversorgung umgesetzt und der E-Control eine zentrale Rolle bei der Krisenvorsorge übertragen
wurde. An dieser Stelle lobt Energieminister Bartenstein das leistungsfähige Krisenmanagement des Marktregulators
bei den Gas-Lieferengpässen Anfang 2006.
Mit der Ökostrom-Gesetz-Novelle 2006 wurde eine Budgetbegrenzung eingezogen, die Aufbringung der Budgetmittel
auf eine Zählpunktpauschale umgestellt, eine Ökostromabwicklungsstelle geschaffen und neue KWK-Anlagen
sowie Wasserkraftwerke mit einer Leistung zwischen 10 und 20 MW in das Förderungsregime aufgenommen.
Auf die im Zwischenbericht zur Branchenuntersuchung Gas festgestellten Probleme bei der Entwicklung des Wettbewerbs
am Gasmarkt - ungleiche Wettbewerbsbedingungen, zögerliche Entwicklung des kurzfristigen Gashandels am Hub
Baumgarten, erschwerter Zugang zu Transportkapazitäten im Transitbereich, Marktabschottung durch langfristige
Verträge und Markteintrittsbarrieren am Endkundenmarkt - hat der Gesetzgeber mit einer Novellierung des Gaswirtschaftsgesetzes
reagiert, die die Vorlage der Lieferbedingungen und den getrennten Ausweis des Energiepreises vorschreibt, den
Netzzugang beim grenzüberschreitendem Gastransport reguliert und Standards für Sicherheit, Zuverlässigkeit
und Konsumentenschutz verankert.
Im Sinne der Entflechtung der österreichischen Gaswirtschaft beurteilt die E-Control die im September 2006
erfolgten Veränderungen der Importverträge positiv und begrüßt das Ausscheiden der OMV Gas
als Nachfrager auf dem Großhandelsmarkt und als Anbieter für große Weiterverteiler. Gut entwickelt
sich laut E-Control auch der Handel am zentraleuropäischen Gas Hub Baumgarten. Veröffentlichungen des
Betreibers dienen der Transparenz und senken die Transaktionskosten der Gashändler. Die E-Control drängt
auf Weiterführung dieser Maßnahmen in Abstimmung mit den Gashändlern - der Gashub soll sich zu
einem regionalen Handelsplatz weiterentwickeln.
Der Wettbewerb auf dem Gasmarkt wird durch Langfristverträge mit restriktiven Klauseln behindert, analysiert
die E-Control weiter. 83 % des gesamten Bezugs lokaler Weiterverteiler (2,2 Mrd. m3) wurden 2004 von einem Anbieter
auf der Basis langfristiger (unbefristeter) Verträge mit Mindestabnahmeverpflichtungen von 80 % gedeckt. Es
handelt sich um Quasi-Gesamtbedarfsdeckungsverträge, die den Markt abschotten und den Wettbewerb behindern.
Eine kartellrechtskonforme Anpassung der Verträge müsste die Laufzeit verringern und die Mindestabnahmeverpflichtung
streichen oder deutlich senken. Im Endkundenmarkt besteht das Problem langfristiger Bindung der Kunden nicht, heißt
es im Bericht.
Daten und Prognosen zum österreichischen Elektrizitätsmarkt
Der Strom-Endverbrauch nahm im Jahr 2005 um 0,8 Terawattstunden (TWh) oder 1,4 % auf insgesamt 60,2 TWh
zu. Davon stammten aus dem öffentlichen Netz 52,2 TWh, was einem Zuwachs von 0,6 TWh oder 1,1 % entspricht.
Der aus Eigenerzeugung abgedeckte Stromverbrauch der Großabnehmer nahm 2005 deutlich stärker zu als
der Bezug aus dem öffentlichen Netz. Mit Netz- und Umwandlungsverlusten nahm der Stromverbrauch im zehnjährigen
Mittel um 2,3 % insgesamt sowie um 2,5 % im öffentlichen Netz zu, beschleunigte sich zuletzt weiter - für
2006 wird die Zunahme der Abgabe im öffentlichen Netz auf 3,2 % geschätzt.
Seit dem Inkrafttreten des Ökostromgesetzes 2003 ist die Entwicklung bei den erneuerbaren Energieträgern
durch die Errichtung neuer Windkraft-, Biomasse-, Biogas- und Photovoltaikanlagen geprägt. Mitte 2006 waren
Anlagen mit folgenden Leistungen in Betrieb: 959,89 MW Windkraft, 234,75 MW Biomasse und 57,06 MW Biogas. Am 31.
März 2006 waren bereits 992,63 MW Windkraft (171 Windparks mit 641 Windrädern), 403,03 MW Biomasse fest
(166 Anlagen) sowie 81,06 MW Biogas (325 Anlagen) genehmigt. Dazu kommen 2.421 Kleinwasserkraftanlagen (bis zu
10 MW Engpassleistung) mit einer Gesamtleistung von 1.149 MW (1.986 bestehende Anlagen mit 954 MW zuzüglich
214 neue Anlagen mit 129 MW zuzüglich 221 revitalisierte Anlagen mit 66 MW). Da diese Kraftwerke im freien
Stromverkauf teilweise höhere Erlöse als mit verordneten Einspeisetarifen erzielen, sind viele dieser
Kleinwasserkraftanlagen nicht mehr im Förderungsregime der Ökobilanzgruppen enthalten.
Auch wenn man den jährlichen Gesamtenergieverbrauch bis 2020 durch Nutzung möglicher Effizienzpotentiale
um rund 100 PJ (28 TWh) senkt, wird der energetische Endverbrauch um 170 PJ (47 TWh) höher sein als 2004.
Der Stromendverbrauch wird bis 2020 auf 320 PJ (89 TWh) im Jahr 2020 steigen. Mit Effizienzmaßnahmen könnte
man den jährlichen Endverbrauch elektrischer Energie bis 2020 um rund 30 PJ (8 TWh) senken, dennoch läge
der Endverbrauch im Jahr 2020 um 75 PJ (21TWh) höher als im Jahr 2004.
Für eine realistische Einschätzung der Potenziale erneuerbarer Energieträger genügt es laut
E-Control nicht, technische und theoretische Maximalpotenziale darzustellen, ökonomische Machbarkeit und Umweltverträglichkeit
sind in die Bewertung einzubeziehen. Als Richtwert für die zusätzliche Nutzung erneuerbarer Energieträger
nennt die E-Control bis 2020 68 Petajoule (PJ). Damit kann nur ein Teil der Steigerung des Gesamtenergiebedarfs)
von 1.080 PJ im Jahr 2004 auf zumindest 1.250 PJ im Jahr 2020 abgedeckt werden. Ähnliches gilt für die
zusätzliche Nutzung erneuerbarer Energieträger in der Stromversorgung. Von ihr sind 19 PJ (5TWh) bis
2020 zu erwarten. Da der Endverbrauch von 215 PJ (60 TWh) im Jahr 2004 auf 290 PJ (81 TWh) steigen wird, ist klar,
dass erneuerbare Energieträger den Anstieg des Strombedarfs bis 2020 nur zum Teil kompensieren können. |