Wien (grüne) - Einen Tag vor der Regierungsklausur hat Grünen-Vizechefin Eva Glawischnig die Große
Koalition in die Mangel genommen. "Der Stil dieser Regierung ist geprägt von gegenseitigem Misstrauen",
kritisierte sie Rot-Schwarz bei einer Pressekonferenz am 09.07. "Wadelbeißen" und "gegenseitige
Unterstellungen" würden an der Tagesordnung stehen. Bundeskanzler Alfred Gusenbauer attestierte Glawischnig
Führungsschwäche, der ÖVP warf sie vor, wichtige Projekte zu blockieren.
"Paartherapie" auf dem Rücken der Familien
"Wenn zwei sich dauernd streiten und man fährt dann gemeinsam weg, dann nennt man das in der Regel Paartherapie",
kommentierte Glawischnig die anstehende Regierungsklausur am Dienstag und Mittwoch. Alles würde auf dem Rücken
der Familien ausgetragen. Und selbst halbherzige Lösungen - etwa jene zur 24-Stunden-Betreuung - seien erst
nach monatelangen gegenseitigen Fouls möglich gewesen.
Handlungsbedarf sieht Glawischnig vor allem bei den Kinderbetreuungsplätzen. Eltern würden im Sommer
vor verschlossenen Einrichtungen stehen. "Wir wollen deutlich mehr als 50.000 Kinderbetreuungsplätze
und eine Qualitätsdiskussion", forderte die stellvertretende Grünen-Chefin. Auch der Umweltschutz
und der Anti-Atombereich würden außerdem "dahindümpeln". So habe der Umweltkontrollbericht
die Regierung völlig unbeeindruckt gelassen.
Weitere Bereiche, in denen Glawischnig mehr Engagement sehen will: Die Verfassungsreform und die Ortstafelfrage,
die offensichtlich schon ad acta gelegt worden sei.
Kindergeld neu regeln
Überdies will Glawischnig eine komplett neue Regelung zum Kindergeld. Anlass ist die Stichprobenkontrolle
in Salzburg mit dem Ergebnis, dass 40 Prozent der jungen Mütter in den vergangenen Jahren zu Unrecht diese
Leistung bezogen hätten. "Ich bin der Meinung, dass es eine Generalamnestie geben sollte und dass man
eine neue Basis schaffen sollte", sagte Glawischnig. Eine Reparatur der derzeitigen Regelung kommt für
die Grünen-Vizechefin nicht in Frage: "Ich habe keine Lust, ein vermurkstes Modell zu verbessern."
Dieses sei zudem "kontraproduktiv" für berufstätige Frauen, da diese nur wenige Stunden arbeiten
könnten. Glawischnig schlug stattdessen ein "einkommensabhängiges Karenzgeld" vor.
Fremdenrecht: umfassende Reform nötig
Als die "größte offene Wunde dieser Koalition" bezeichnete Glawischnig das Fremdenrecht. Bezugnehmend
auf die Stellungnahme des Menschenrechtsbeirates forderte sie eine umfassende Reform. Wenn ein Höchstgericht
die Ausweisung einer 80-jährigen schwer kranken Türkin stoppen müsse, dann sei wohl offenkundig,
dass es Änderungsbedarf gebe.
"Das Fremdenrechtspaket schreit nach einer Reparatur", so Glawischnig. Sie sprach sich erneut für
ein Bleiberecht für gut integrierte AsylwerberInnen aus. Der Menschenrechtsbeirat hat am Montag darauf hingewiesen,
dass das derzeitige Fremdenrecht "menschenrechtswidrig" sei und den Artikel 8 der europäischen Menschenrechtskonvention
nicht berücksichtige. Der Artikel schützt das Privat- und Familienleben. |