Heidelberger Forscher zeigen, warum Chemotherapie ihre Wirkung verlieren kann
Heidelberg (idw) - Behandlung mit Bumerang-Effekt: Vier bis sechs Wochen lang tötet ein Chemotherapie-Wirkstoff
bestimmte Blutkrebszellen effektiv ab. Doch dann schlagen die Krebszellen zurück, wie Forscher am Institut
für Immunologie, Abteilung Transplantationsimmunologie des Universitätsklinikums Heidelberg festgestellt
haben. Im Laborversuch vermehrten sich die überlebenden Krebszellen explosionsartig. Weder hochwirksame Zellgifte
noch eine Bestrahlung konnten ihnen noch etwas anhaben.
Die Biologen Dominik Fuchs und Carsten Berges aus der Arbeitsgruppe von Dr. Cord Naujokat entdeckten, dass ein
bisher unbekannter enzymatischer Rückkopplungsmechanismus die Krebszellen aggressiver macht, als das bislang
von anderen Resistenzmechanismen gegen Krebswirkstoffe bekannt ist. Dieses Phänomen könnte die Ursache
für Rückfälle nach zunächst erfolgreicher Krebstherapie sein.
Der untersuchte Chemotherapie-Wirkstoff Bortezomib wird bisher für die Behandlung der seltenen Blutkrebsart
Multiples Myelom eingesetzt und in klinischen Studien für weitere Anwendungsgebiete untersucht. Die Heidelberger
Forschungsergebnisse, die bereits in zwei renommierten internationalen Fachzeitschriften publiziert wurden, könnten
wichtige Hinweise für die zukünftige Anwendung sowie Studien mit Bortezomib liefern.
Mini-Evolution im Reagenzglas
Zunächst lief in den Zellkulturen der Wissenschaftler alles nach Plan: Bortezomib tötete wirkungsvoll
Blutkrebszellen ab, indem es ein Enzym- System der Zellen, das so genannte Proteasom, blockierte. Doch nach vier
bis sechs Wochen sind die wenigen überlebenden Krebszellen "geradezu explodiert", so Arbeitsgruppenleiter
Cord Naujokat. "Wir konnten eine Mini-Evolution im Labor beobachten. Einige Zellen setzten sich aufgrund besonderer
Fähigkeiten durch und wurden praktisch unsterblich. Die veränderten Zellen sind so bösartig, dass
weder starke Zellgifte noch eine Bestrahlung sie abtöten können."
Ursache ist ein bislang unbekannter Rückkopplungs-Mechanismus des Proteasom-Systems. Dieser in den Zellen
der meisten Lebewesen vorkommende Eiweißkomplex schneidet Proteine - und sorgt dabei wie ein intelligenter
Schneider dafür, dass im Stoffwechsel der Zelle zum richtigen Zeitpunkt die notwendigen Eiweiße in ihrer
korrekten Zusammensetzung vorliegen. Über einen noch unbekannten zellulären Sensor reagieren einige Krebszellen
anscheinend auf die Blockade des Proteasom-Systems durch Bortezomib. Als Folge geht ein Signal an das Erbgut, was
dazu führt, dass in den veränderten Krebszellen massenhaft "Schneiderwerkstätten" (Proteasome)
entstehen - und in diesen wesentlich effektiver gearbeitet (Eiweiße geschnitten) wird.
Konsequenzen für die Therapie
Bortezomib ist der erste auf dem Markt zugelassene "Proteasom- Inhibitor", also ein Wirkstoff,
der das Proteasom hemmt, wodurch der Stoffwechsel in den Krebszellen zum Erliegen kommt. Der Wirkstoff wird gegen
das Multiple Myelom eingesetzt, eine seltene Form von Blutkrebs. Auch gesunde Zellen sind von der Therapie betroffen.
Offensichtlich sind die schnell wachsenden und sich vermehrenden Krebszellen aber besonders auf die Funktion der
Proteasomen angewiesen und reagieren daher empfindlicher auf deren Hemmung als normale Zellen.
In der Regel dauert eine Bortezomib-Behandlung mindestens sechs bis acht Wochen. "In unseren Laborversuchen
war dies eine gefährliche Zeitspanne", so Cord Naujokat. Im nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler
nun gemeinsam mit Onkologen Patienten untersuchen, die nach einer Bortezomib-Therapie einen Rückfall erlitten
haben. Sollte sich zeigen, dass in den Krebszellen dieser Patienten das Proteasom- System überaktiv ist, wäre
das eine zusätzliche Bestätigung der Ergebnisse aus Cord Naujokats Labor. "Das könnte dann
bedeuten, dass Bortezomib in Kombination mit anderen Wirkstoffen gegeben werden sollte."
Auch auf weitere klinische Studien könnten die Heidelberger Forschungen eine Auswirkung haben. Zur Zeit wird
untersucht, ob Bortezomib gegen anderen Blutkrebsformen und gegen Tumoren eingesetzt werden kann.
Feedback-Mechanismus bei einem Enzym-System
Auch für die zellbiologische Grundlagenforschung sind die aggressiven Krebszellen interessant: Bisher
war bekannt, dass Enzym-Systeme, die eine entscheidende Rolle bei der Umwandlung von Stoffen spielen, bei einer
Hemmung langsamer oder gar nicht mehr arbeiten. Um ein Enzym- System zu verstärken, ist in der Regel ein Überangebot
des umzusetzenden Stoffes erforderlich. Die Heidelberger Forscher konnten erstmalig beschreiben, dass sich ein
Enzym-System (in diesem Falle das Proteasom) gegen seine Hemmung zur Wehr setzt - und in der Folge um so aktiver
wird. |