Bonn (idw) - Das Immunstimulans Alpha-Interferon ist sündhaft teuer: Mehrere Tausend Euro werden für
ein Dutzend Injektionen fällig. Ärzte setzen die Substanz beispielsweise gegen chronische Formen der
Hepatitis C ein - eine Leberentzündung, die durch Viren ausgelöst wird. Das Paradoxe daran: Normalerweise
produziert der Körper bei einer Virus- Infektion selbst Alpha-Interferon. Manchen Erregern gelingt es jedoch,
diesen Abwehrmechanismus zu unterlaufen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert jetzt am Universitätsklinikum
Bonn eine neue Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe. Die Forscher untersuchen, wie sich das so genannte angeborene Immunsystem
"auf Trab bringen" lässt - dazu gehört auch die Interferon-Antwort. Nicht nur die Behandlung
von Hepatitis C könnte so schlagkräftiger und kostengünstiger werden. Die Gruppe erhofft sich auch
neue Waffen gegen Krebs.
"Ich bewege mich in meiner Laufbahn als Forscher gewissermaßen rückwärts", sagt Dr. Winfried
Barchet mit einem Augenzwinkern: "Mein Fokus hat sich verlagert: Von der erworbenen Immunabwehr, die erst
Tage nach der Infektion einsetzt, hin zu den Prozessen, die direkt nach Eindringen des Erregers ablaufen."
Denn hier, bei der in der Evolution früh entstandenen "angeborenen" Immunabwehr, sehen viele Forscher
inzwischen großes therapeutisches Potenzial. So auch Barchet. Seine Vision: Ein Cocktail aus künstlichen
Gensequenzen könnte in Zukunft das Immunsystem fit machen und bisher unheilbaren Krankheiten ihren Schrecken
nehmen.
Wenn ein Virus den Körper befällt, läuft eine komplexe Verteidigungs- Maschinerie an. An ihrem Ende
steht im Idealfall die Produktion von Antikörpern und Killerzell-Geschwadern, die der Erreger-Flut den Garaus
machen. Macht der Körper zum ersten Mal Bekanntschaft mit einem Virus, dauert es etliche Tage, bis diese Verteidigungstruppen
mobilisiert sind. Beim nächsten Mal geht es dann schneller, weil der Körper einige "Erinnerungszellen"
in der Hinterhand behält. Daher spricht man auch von der "erworbenen" Immunabwehr. Die "angeborene"
Abwehr besteht dagegen aus Prozessen, die schon unmittelbar nach der Viren-Invasion anlaufen. Dieser Teil des Immunsystems
galt als vergleichsweise "primitiv" - ein Grund, warum die Forschung ihn lange vernachlässigte.
"Heute wissen wir aber, dass die angeborene Abwehr zur Bekämpfung von Infektionen von entscheidender
Bedeutung ist und auch die erworbene Immunantwort lenkt", betont Barchet.
Die erworbenen Immunmechanismen richten sich meist gegen Proteine des Krankheitserregers - beispielsweise gegen
Bausteine der Virenhülle. Ansatzpunkt der angeborenen Abwehr ist dagegen das Erbgut des Virus - seine Bauanleitung
aus Nukleinsäuren. Viren injizieren ihre genetische Information in Körperzellen und zwingen diesen so
gewissermaßen ihren "Willen" auf. In der Folge produzieren die Zellen Unmengen neuer Virusbestandteile,
die sich zu kompletten Erregern zusammensetzen und neue Zellen befallen. "Das virale Erbgut unterscheidet
sich aber von den körpereigenen genetischen Informationen", erläutert der Leiter der neuen Emmy-Noether-Gruppe.
"Die angeborenen Abwehrmechanismen erkennen diese Unterschiede und versetzen dann das gesamte Immunsystem
in Alarmbereitschaft - beispielsweise durch Ausschüttung von Alpha- Interferon."
Ausrufezeichen für's Immunsystem
Diese Steuerfunktion der angeborenen Immunantwort ist es, die die Fantasie der Forscher beflügelt:
Könnte man nicht auf diesem Weg das Immunsystem zu völlig neuen Höchstleistungen anspornen? "Inzwischen
kennt man sieben unterschiedliche Rezeptoren, über die die angeborene Abwehr das Erbgut feindlicher Invasoren
erkennt", sagt Barchet. "Wir versuchen nun, künstliche Nukleinsäuren zu finden, die ebenso
in der Lage sind, diese Rezeptoren anzusprechen. So wollen wir gewissermaßen ein Ausrufezeichen setzen, das
die Aufmerksamkeit des Immunsystems in die richtige Richtung lenkt."
Der 34-jährige Gruppenleiter hat an der FU Berlin und der ETH Zürich studiert. Seine Doktorarbeit beim
renommierten EMBL (European Molecular Biology Laboratory) führte ihn nach Rom, seine Postdoc-Zeit ins US-amerikanische
St. Louis. Dort wäre er wohl auch geblieben - "wenn sich nicht am Institut von Prof. Hartmann und mit
der Emmy- Noether-Förderung eine attraktive Perspektive geboten hätte", meint er.
Einige aussichtsreiche neue Gensequenzen hat das Team schon gefunden, mit denen sich das Immunsystem gezielt stimulieren
lässt. Noch fehlt allerdings der Beweis, dass sich daraus ein Cocktail mischen lässt, mit dem sich virale
Infektionen erfolgreich behandeln lassen. Die Forscher haben aber auch Krebserkrankungen im Visier. "Das angeborene
Immunsystem wird bei Tumoren nicht ausreichend aktiv, weil es sich ja um körpereigene Zellen handelt. Diese
werden nicht als fremd erkannt und vermehren sich unkontrolliert, erklärt Barchet. "Wenn es uns aber
gelingt, in Tumorzellen die angeborene Abwehr künstlich zu aktivieren, geht damit vielleicht auch die gegen
den Tumor gerichtete Immunantwort soweit in die Höhe, dass der Körper die entarteten Zellen zerstört
und den Krebs besiegt." |