Wissenschaftler aus Berlin zeigen in einem theoretischen Modell, wie eine Landkarte im Gehirn
entsteht
Berlin (idw) - Zur Orientierung brauchen wir vor allem zwei Informationen: Wo bin ich und in welche
Richtung schaue ich gerade? Aus Experimenten an Ratten weiß man, dass diese Informationen im Gehirn sehr
direkt und unabhängig voneinander zugänglich sind. Wenige Minuten nachdem die Ratte eine neue Umgebung
erkundet hat, haben sich so genannte Ortszellen und Kopfrichtungszellen etabliert. Ortszellen sind aktiv, wenn
sich die Ratte an einem bestimmten Ort aufhält, egal in welche Richtung sie schaut. Kopfrichtungszellen kodieren
dagegen, in welche Richtung die Ratte blickt - unabhängig von ihrem Aufenthaltsort. Auch beim Menschen gibt
es vermutlich solche und weitere Zelltypen, die spezifisch zur Orientierung dienen. Mathias Franzius, Henning Sprekeler
und Laurenz Wiskott, Wissenschaftler an der Humboldt- Universität und am Bernstein Zentrum für Computational
Neuroscience Berlin, haben nun ein theoretisches Modell entwickelt, das die Entstehung aller bekannten Orientierungszellen
im Gehirn von Ratten und Primaten erklären kann. Die Arbeit wird in der wissenschaftlichen Zeitschrift "PLoS
Computational Biology" publiziert.
Das Modell der Berliner Forscher analysiert realistische Bilddaten, die den visuellen Eindruck einer Ratte bei
ihrem Gang durch den Käfig wiedergeben. Der Kern ihres Modells ist ein mathematischer Algorithmus namens "Slow
Feature Analysis", der die für die Orientierung relevante Information aus den Bilddaten extrahiert. Mit
Hilfe dieses Algorithmus lässt das Modell Ortszellen und Kopfrichtungszellen entstehen - ohne dass dies eine
Vorgabe des Modells gewesen wäre.
Jeder Rezeptor im Auge erfasst nur einen sehr kleinen Ausschnitt des visuellen Gesamtbildes. Lenken wir die Blickrichtung
beispielsweise nur ein wenig nach links, wird jeder einzelne Rezeptor eine ganz andere Information weitergeben
als vorher. Während die Sensoren ständig wechselnde Daten liefern, verändern sich die für die
Orientierung relevanten Informationen sehr viel langsamer - der Gesamtbildeindruck in diesem Beispiel bleibt fast
konstant. Merkmale, die sich nur langsam verändern, können mit Hilfe der Slow Feature Analysis aus den
Bilddaten gewonnen werden.
Mit ihrem Modell konnten die Wissenschaftler zeigen, dass mit der Slow Feature Analysis aus der zeitlichen Folge
von visuellen Eindrücken, die die Ratte bei ihren Erkundungsgängen erhält, eine Art kognitive Landkarte
im Gehirn entstehen kann. Positionen werden in dieser Karte durch Ortszellen und Himmelsrichtungen durch Kopfrichtungszellen
wiedergegeben. Erst nach diesem Lernprozess können völlig unterschiedliche visuelle Eindrücke die
gleichen Orts- oder Kopfrichtungszellen aktivieren - sitzt die Ratte beispielsweise in der nördlichen Ecke
ihres Käfigs, sind die gleichen Ortszellen aktiv, egal ob sie nach Osten oder Westen schaut.
Originalveröffentlichung: Mathias Franzius, Henning Sprekeler und Laurenz Wiskott (2007). Slowness and sparseness
lead to place, head direction and spacial view cells. PloS Computational Biology, 31. August 2007 |