Wien (wifo) - Mit der fünften Erweiterung in den Jahren 2004 und 2007 ist die EU auf 27 Mitgliedsländer
angewachsen. Der Prozess der stetigen Erweiterung deutet zwar auf eine – zumindest ökonomisch betrachtet –
zunehmende Attraktivität der EU hin. Andererseits ist damit die "Europamüdigkeit" der Bevölkerung
gestiegen. Die letzte Erweiterung um vorwiegend osteuropäische Staaten hat hauptsächlich politische Motive:
Sie trägt zur politischen Stabilität Europas bei. Dasselbe wird für die künftige Aufnahme der
anderen Balkanstaaten gelten. Im Falle der Türkei sind die Meinungen in Europa gespalten. Wenn der Prozess
der Erweiterung in dieser Form anhält, ist eine EU der 40 Länder langfristig durchaus vorstellbar. Als
Alternative zu einer künftigen Erweiterungsstrategie verfolgt die EU die Europäische Nachbarschafts-
und Mittelmeerpolitik. Darüber hinaus unterhält die EU vielfältige Handelsbeziehungen mit allen
Regionen der Welt.
Neben der reinen Erweiterungspolitik verfolgt die EU mit der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) eine
alternative Strategie, um die Nachbarländer politisch und ökonomisch an die EU zu binden, ohne sie integrieren
zu müssen. Nach der großen EU-Erweiterung 2004 und 2007 werden weitgehend sicher die anderen Länder
des Westbalkans beitreten. Das vorrangige Ziel ist hier die politische Stabilisierung dieser Region. Am schwierigsten
erscheint derzeit die Integration der Türkei; die 2005 begonnenen Beitrittsverhandlungen gerieten aus mehreren
Gründen (Zypernfrage, Ablehnung durch einige Länder der EU 15) ins Stocken. Grundsätzlich billigt
die EU zwar jedem "europäischen" Land das Recht zu, einen Antrag auf Mitgliedschaft zu stellen;
sie hat aber mit den Kopenhagener Beitrittskriterien (institutionelle Stabilität, funktionsfähige Marktwirtschaft
und Fähigkeit, alle Pflichten der Mitgliedschaft zu übernehmen, auf der Seite des Beitrittslandes, Aufnahmefähigkeit
auf der Seite der Union) genügend Spielraum, um nicht jedes Land aufnehmen zu müssen. Wenn der Prozess
der Erweiterung in dieser Form anhält, ist eine EU der 40 Länder langfristig durchaus vorstellbar.
Obwohl die europäische Integration von Anfang an ein "Friedensprojekt" war, hatten die ersten vier
Erweiterungen (zwischen 1973 und 1995) hauptsächlich ökonomische Motive. Die große (fünfte)
EU-Erweiterung von 2004 und 2007 war dagegen ein vorrangig politisch motivierter Schritt, um die Teilung Europas
zu beenden. Angesichts der großen Einkommensunterschiede zwischen West- und Osteuropa bedeutet sie entsprechende
wirtschaftliche Probleme. Für viele Unternehmen aus Westeuropa eröffneten sich dadurch neue Expansionschancen,
dennoch wird dieser politisch wohl begründete Integrationsschritt vielfach als eine kostspielige "Entwicklungshilfepolitik"
empfunden und von der Bevölkerung der EU 15 teilweise mit Skepsis betrachtet.
Die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) wurde im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung im Jahr 2004 als
Alternative für künftige Erweiterungen entwickelt. Ihr Ziel ist es, die Entstehung neuer Trennlinien
zwischen der erweiterten EU und den Nachbarländern zu verhindern und stattdessen Wohlstand, Stabilität
und Sicherheit aller Beteiligten zu stärken. Das Konzept der ENP ("A Ring of Friends") wurde erstmals
im Dezember 2002 in Brüssel vom damaligen Kommissionspräsidenten Romano Prodi vorgestellt. Die ENP umfasst
die 16 unmittelbaren Nachbarländer der EU; die Beziehungen zu Russland werden im Rahmen einer Strategischen
Partnerschaft entwickelt, die vier "gemeinsame Räume" umfasst (Gemeinsamer Wirtschaftsraum, Gemeinsamer
Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, Gemeinsamer Raum der äußeren Sicherheit, Gemeinsamer
Raum der Forschung, Bildung und Kultur).
Zugleich verfolgt die EU im Rahmen des seit November 1995 laufenden Barcelona-Prozesses eine Mittelmeerpolitik,
um 10 Mittelmeerländer (in Nordafrika, aber auch Israel, Jordanien, der Libanon sowie die Palästinensische
Autonomiebehörde) handelspolitisch in die EU einzubinden.
Die EU unterhält darüber hinaus vielfältige Handelsbeziehungen zu allen Regionen der Welt: einerseits
zu den früheren Kolonien der Mitgliedsländer in Afrika, der Karibik und im Pazifik (AKP-Staaten), andererseits
zu Entwicklungsländern. Freihandelsabkommen mit Staaten oder Integrationsgemeinschaften in Lateinamerika,
Südafrika und Asien bestehen oder sind geplant. Die zahlreichen Freihandelsabkommen mit dem Balkan werden
durch ein einziges Freihandelsabkommen der EU mit der Freihandelszone CEFTA-neu ersetzt: CEFTA-neu (Central European
Free Trade Agreement) umfasst 7 Balkanstaaten und Moldawien und bildet so eine einheitliche Freihandelszone auf
dem Balkan. Die Ausweitung der bilateralen Handelsaktivitäten der EU mit dieser Region wird auch das Wirtschaftswachstum
in diesem Raum stimulieren.
Quelle: WIFO, Autor: Fritz Breuss |