Fast die Hälfte der Patienten wieder vollständig gesund
Innsbruck (universität) - Innsbrucker Mediziner haben erhoben, wie es Patienten zweieinhalb
Jahre nach ihrer Entlassung aus der neurologischen Intensivstation geht. Das Resultat: Knapp die Hälfte jener
Patienten, die wegen akuter, lebensbedrohlicher Gehirnerkrankungen - wie zum Beispiel einer Gehirnblutung oder
einem Schlaganfall - intensivmedizinisch versorgt worden waren, stehen heute wieder nahezu vollständig gesund
und arbeitsfähig im Leben. Der Studie, mit der weltweit erstmals der Langzeiterfolg neurologischer Intensivmedizin
erforscht wurde, widmet das renommierte Journal "Critical Care Medicine" in seiner aktuellen Ausgabe
den Feature-Artikel.
1.155 Patienten im Durchschnittsalter von 55 Jahren, die während eines Zeitraumes von 36 Monaten an der Intensivstation
der Innsbrucker Universitätsklinik für Neurologie unter Leitung von Univ.-Prof. Dr. Erich Schmutzhard
behandelt worden waren, wurden in die Studie eingebunden. 476 davon (41 Prozent) waren Frauen. Knapp die Hälfte
leben heute wieder ihr eigenes Leben, können ihre Familie erhalten und sind weitgehend symptomfrei. Zwei Drittel
dieser Patienten haben dies sogar bereits ein Jahr nach der Behandlung geschafft", erklärt Univ.-Prof.
Dr. Erich Schmutzhard, der Leiter der Studie. Bisher hat es laut Schmutzhard in der neurologischen Intensivmedizin
keine derartige Forschung gegeben, bei der Überleben, Sterblichkeit sowie die langfristige gesundheitliche
Verfassung einer großen Gruppe unausgewählter Intensivpatienten über einen längeren Zeitraum
kontinuierlich erhoben wurde.
"In der Öffentlichkeit herrscht, verbunden mit unreflektierter Scheu vor einer vermeintlichen Apparatemedizin,
leider immer noch die Furcht, dass jemand, der über einen längeren Zeitraum auf einer neurologischen
Intensivstation liegt, ein so genannter hoffnungsloser Fall sei. Unsere Studie zeigt klar, dass es sich lohnt,
Patienten in organspezifisch hochspezialisierten Intensivstationen zu behandeln; schließlich besteht eine
Chance von annähernd 50 Prozent, dass diese sehr schwer kranken Menschen wieder vollständig gesund werden",
betont der Mediziner. Die Studie des insgesamt neunköpfigen Teams soll für die weitere Spezialisierung
neurologischer Intensivstationen - so genannter Neurological Intensive Care Units, kurz Neuro-ICU genannt - sowie
für gesundheitspolitische Entscheidungen eine Grundlage bieten.
Das Team hat im Zuge der Studie auch analysiert, welche möglichen Faktoren dazu führen, dass ein Patient
langfristig gut überlebt. "Dass mit höherem Alter das Risiko steigt, trotz bester Behandlung nach
einer Hirnerkrankung dauerhaft schwer behindert zu bleiben, ist wenig überraschend. Allerdings konnten wir
feststellen, dass ein längerer Aufenthalt in einer Intensivstation kein ungünstiges Ergebnis bedingt.
Auch längere Intensivmedizin macht durchaus Sinn", so Dr. Gregor Broessner, der Erstautor der Studie.
Das Team der Innsbrucker Neurologie will nun weitere Studien für einzelne Krankheitsbilder durchführen.
Ziel ist dabei, die Diagnostik zum Zeitpunkt der Einlieferung weiterhin akribisch zu verfeinern und Faktoren herauszufinden,
die die Genesung positiv beeinflussen. Geplant ist auch der Aufbau einer Datenbank für neurologische Intensivpatienten,
die ähnlich wie zum Beispiel das bestehende Tumorregister oder das Schlaganfallregister qualitativ hochwertige
Informationen als Entscheidungsgrundlage auch in der Notfallmedizin bieten kann.
Insgesamt wurden 1.155 Patienten in die Studie eingebunden. Sie waren wegen Gehirnblutung, malignen, ischämischen
Schlaganfalles, Gehirnhautentzündung, traumatischen Kopfverletzungen sowie Epilepsie (status epilepticus)
in der neurologischen Intensivstation behandelt worden. 213 Patienten (18 Prozent) erlagen in der Intensivstation
den Folgen dieser schweren Erkrankungen. Bei 662 Patienten konnten die Neurologen mittels Telefoninterview erheben,
wie es ihnen heute, im Durschnitt zweieinhalb Jahre danach, geht. Demnach sind rund die Hälfte dieser Patienten
in bester Verfassung und vollständig genesen. Weniger als ein Drittel der befragten Patienten sind dauerhaft
behindert. 95 weitere Patienten waren zum Zeitpunkt dieses Interviews nicht mehr am Leben. 280 überlebende
Patienten hielten sich im Ausland auf und konnten nicht befragt werden.
Publikation: Survival and long-term functional outcome in 1,155 consecutive neurocritical care patients, Gregor
Broessner, MD; Raimund Helbok, MD; Peter Lackner, MD; Michael Mitterberger, MD; Ronny Beer, MD; Klaus Engelhardt,
MD; Christian Brenneis, MD; Bettina Pfausler, MD; Erich Schmutzhard, MD. Feature Article Critical Care Medicine,
Sept. 2007. |