Expertentagung zum Thema Verfassungsreform im Hohen Haus
Wien (pk) - "Können Verfassungsreformen gelingen?" Dieser Frage geht eine hochkarätig
besetzte Fachtagung nach, die am 19. und 20. im Hohen Haus internationale Erfahrungen zum Thema austauschen und
zu diskutieren beabsichtigt. Auf Einladung des Instituts für Föderalismus an der Universität Innsbruck
und des "Forum of Federations" hielten am 19.09. unter anderen Südtirols Landeshauptmann Luis Durnwalder,
der schweizerische Altbundespräsident Arnold Koller und Bundesratsvizepräsident Jürgen Weiss Grundsatzreferate,
die in der Folge intensiv debattiert wurden.
Peter Bußjäger vom Institut für Föderalismus wies nach Begrüßung der Referenten
darauf hin, dass innerhalb wie außerhalb Europas derzeit eine Vielzahl an verfassungsrechtlichen Prozessen
abliefen, die als Erfahrungsquelle herangezogen werden könnten. Grundintention der Veranstaltung sei es daher,
internationale Erkenntnisse auf dem Gebiet der Verfassungsreform praktisch nutzbar zu machen. Die Konferenz könne
zudem direkt vor dem Hintergrund der Arbeit des Österreich-Konvents gesehen werden. Besonderer Dank gebühre
Bundesrat wie Bundeskanzleramt, die sich maßgeblich an der Organisation der Veranstaltung beteiligt hätten,
so Bußjäger.
Wolf Okresek, Mitglied im Vorstand des Forum of Federations, skizzierte den Themenbereich der Konferenz und merkte
hierbei an, dass der Vergleich einzelner Systeme und der damit verbundene globale Dialog in besonderem Maße
Lösungsansätze für den eigenen Weg aufzeigen könnten.
Lienbacher: Vom Österreich-Konvent zur Verfassungsreform
Georg Lienbacher, Leiter des Verfassungsdienstes im Bundeskanzleramt, ging auf Stand und Perspektiven der Staatsreform
in Österreich ein, wobei er pointiert meinte, bisher habe es viele Anläufe zu einer solchen Reform gegeben,
die jedoch kaum reale Ergebnisse gezeitigt hätten. So seien in den letzten 40 Jahren immer wieder Versuche
unternommen worden, die österreichische Bundesverfassung den veränderten Bedingungen anzupassen, etwa
im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt Österreichs, wobei vor allem das "Perchtoldsdorfer Paktum" von
1992 zu nennen sei.
Auch der "Europäische Konvent" habe wichtige Impulse gebracht, sodass schließlich ein eigener
"Österreich-Konvent" installiert worden sei, der in den 19 Monaten seiner Tätigkeit eine Vielzahl
von Vorschlägen erarbeitet habe, ohne dass in der Folge eine Einigung über eine konkrete Reform der Verfassung
habe erzielt werden können. Lienbacher analysierte die damaligen Rahmenbedingungen und nannte konkrete Gründe,
an denen ein positiver Abschluss der Arbeiten des Konvents aus seiner Sicht gescheitert seien.
Es sei allerdings im Regierungsprogramm für die XXIII. Gesetzgebungsperiode eine Staats- und Verwaltungsreform
auf Basis der Arbeiten des Österreich-Konvents vorgesehen, die auch eine zeitgemäße Bundesverfassung
zum Ziel habe, führte Lienbacher weiter aus. Zu diesem Zweck sei eine entsprechende Expertengruppe eingesetzt,
die bereits konkrete Vorschläge erarbeitet habe, wobei man von dem Ziel, eine gänzlich neue Verfassung
zu schaffen, abgegangen sei, so Lienbacher, der sodann auf die Inhalte der beabsichtigten Reform einging und den
aktuellen Stand der Arbeit darlegte.
Caravita: Der italienische Weg zum Föderalismus
Beniamino Caravita von der Universität "La Sapienza" in Rom setzte sich mit den Auswirkungen der
neuen italienischen Verfassung von 2001 auseinander und bettete die diesbezüglichen Vorgänge in den historischen
und juristischen Kontext ein, die dem Reformprozess zugrunde lagen. Die italienische Verfassung von 1948 sei eine
starre Verfassung gewesen, die keine Totalrevision vorgesehen habe. Dementsprechend schwierig sei das Procedere
gewesen, eine Reform ins Werk zu setzen.
In diesem Zusammenhang wies der Professor auch darauf hin, dass manche Aspekte der Verfassung – etwa die republikanischen
und demokratischen Grundsätze der Konstitution – unrevidierbar seien. Der diesbezügliche Artikel 139
stelle damit unmissverständlich klar, dass die Monarchie auf konstitutionellem Wege nicht mehr in Italien
eingeführt werden könne. Dies gelte auch für den Artikel 1, der das demokratische Prinzip für
Italien festschreibe, sowie für die Grundrechte, die in den ersten 12 Artikeln der Verfassung dargelegt seien.
Diese Grundrechte seien unverletzlich und daher verfassungsrechtlich unmodifizierbar.
Vor diesem Hintergrund referierte Caravita die verfassungsrechtlichen Diskussionen ein, die in Italien um die Frage
gekreist seien, auf welche Weise und unter welchen Bedingungen eine Revision der Verfassung vorgenommen werden
könne. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass die Verfassung von 1948 von einer breiten Mehrheit unter
Einschluss der Opposition – mit Ausnahme von Monarchisten und Neofaschisten – beschlossen worden war, was ihr den
Mythos, Produkt einer goldenen Ära zu sein, einbrachte. Dementsprechend selten sei es im vorigen Jahrhundert
zu Verfassungsänderungen gekommen, die zudem nur punktuelle Änderungen beabsichtigt hatten. Erst seit
1999 sei die Diskussion über eine Reform in ein neues Stadium eingetreten. Im Zentrum der Debatten sei dabei
von Anfang an die Frage des Regionalismus und damit des Föderalismus gestanden. Nach einer ersten Reform 1999
sei es 2001 zu einer weiteren Reform gekommen, die auch durch eine Volksabstimmung approbiert worden sei. Seitdem
könne man von einem italienischen Weg zum Föderalismus sprechen, hielt Caravita fest, der schließlich
auf die Details der neuen Verfassung einging.
Durnwalder: Erfolgsmodell Südtirol
Südtirols Landeshauptmann Luis Durnwalder betonte die europäische Dimension der Verfassungsdiskussion.
Gerade vor dem Hintergrund regional unterschiedlicher Zugänge sei es wichtig, über den Föderalismus
zu sprechen. Nicht zuletzt ob der Mentalitätsunterschiede in den einzelnen Staaten gebe es unterschiedliche
Regelungen, und gerade in Italien bestehe in dieser Hinsicht nach wie vor Handlungsbedarf, komme es doch auf die
praktische Umsetzung jener Absichtserklärungen an, die sein Vorredner angesprochen habe.
Durnwalder illustrierte anhand konkreter Beispiele die Verfassungsrealität im heutigen Italien, dabei vor
allem auf die Rechte von Regionen mit Normal- und Regionen mit Sonderstatut – Sizilien, Sardinien, Friaul-Julisch
Venetien, Aostatal, Trentino und Südtirol - eingehend. Neben diesen Formen regionaler Autonomie gebe es aber
noch eine weitere Ebene, und diese betreffe eben Südtirol, habe Südtirol doch eine Autonomie auf Basis
eines internationalen Vertrages. Gerade um diesen Vertrag habe es in den fünfziger und sechziger Jahre zum
Teil heftige Debatten gegeben. Mit dem so genannten Paket, welches die Interpretation des ersten Autonomiestatus
darstelle, sei die ganz besondere Stellung von Südtirols Autonomie allgemein anerkannt worden, wobei Österreich
hierbei eine Schutzfunktion zukomme.
Durnwalder referierte sodann über die Vorteile und Möglichkeiten der Autonomie, von denen auch die Regionen
mit Normalstatut, zumal im Lichte der Erfahrungen, die in Südtirol gemacht wurden, profitieren könnten.
Man müsse die Autonomie dynamisch begreifen, was konkret bedeute, dass man ständig im Verhandlungswege
die Regelungen der Autonomie der jeweils aktuellen Realität anpassen müsse. Diesen Ansatz illustrierte
der Landeshauptmann im Lichte der ökonomischen, verkehrspolitischen und infrastrukturellen Politik Südtirols.
Die Autonomie habe sich so als Erfolgsgeschichte erwiesen, wie die beachtlichen Kennzahlen Südtirols eindrucksvoll
belegten. Die Autonomie sei somit wichtig für die wirtschaftliche Entwicklung, aber auch für die Kultur
der Region und damit ein Modell für die Zukunft, schloss Durnwalder. |
Hueglin: Kanadische Besonderheiten
Thomas Hueglin von der Universität in Waterloo sprach sodann über den kanadischen Weg "zwischen
Scheitern und Verfassungsreformen und pragmatischen Lösungen". Viele Jahre sei das Interesse an Kanada
eher peripherer Natur gewesen, doch habe er, Hueglin, schon vor langer Zeit darauf hingewiesen, dass die EU wesentlich
eher dem kanadischen als dem amerikanischen Modell entspreche, und in der Tat werde Kanadas Bundesstaat heute mit
anderen Augen gesehen.
Der Redner setzte sich sodann mit den Besonderheiten des kanadischen Raumes auseinander, dabei nicht nur auf unterschiedliche
ökonomische Interessen, sondern vor allem auf die "Bikommunalität" Kanadas eingehend. Quebec
sei eine französische Insel in einem nordamerikanisch-englischen Kulturozean, was der bikommunalen Problematik
besondere Sensibilität verleihe.
Die kanadische Verfassungskonstruktion von 1867 weise dementsprechend einige nennenswerte Besonderheiten, aber
auch einige Anomalien auf. Von dieser speziellen Gemengelage seien die diversen Verfassungsreformprozesse geprägt,
so Hueglin. 1982 habe es ein erstes großes Verfassungsänderungspaket gegeben, danach habe es 1987 und
1992 zwei Versuche gegeben, eine Einigung mit Quebec, das der Reform von 1982 nicht zugestimmt habe, doch noch
herbeizuführen. Beide Versuche seien jedoch gescheitert, führte der Redner aus, dabei auf die jeweiligen
Gründe eingehend. Daraus sei zu folgern, dass es keine klare bundesstaatliche Regelungen für Kanada geben
könne, vielmehr seien politische Übereinkünfte auf Exekutivebene im Rahmen einer bilateralen Prozedur
auch weiterhin der folgerichtige kanadische Weg, den Föderalismus in der Praxis umzusetzen.
Schweiz mit Baukastenprinzip bei Verfassungsreform erfolgreich
Der Schweizer Alt-Bundesrat Professor Arnold Koller leitete seine Ausführungen zur Totalrevision der Schweizerischen
Bundesverfassung mit einem historischen Rückblick ein: Die Reformarbeiten an der aus dem Jahre 1874 stammenden,
durch unzählige Teilrevisionen unübersichtlich gewordenen und teilweise obsoleten und im Bereich der
Grundrechte lückenhaften Verfassung haben bis zum Inkrafttreten der neuen Schweizer Bundesverfassung im Jänner
2000 35 Jahre in Anspruch genommen.
Als Ziel galt, das geschriebene und ungeschriebene Verfassungsrecht "nachzuführen", es verständlich
darzustellen, systematisch zu ordnen und sprachlich zu vereinheitlichen. Nach Ablehnung des EWR-Vertrages 1992
wurde ein Drei-Punkte-Programm unter dem Motto "Ordnung schaffen im eigenen Haus" erarbeitet. Als Erfolgsrezept
erwies sich ein kombiniertes Vorgehen zwischen Nachführung des Bundesverfassungsrechts und mehreren Reformpaketen
wie im Baukastensystem.
Der Nachführungsauftrag durch das Parlament aus dem Jahr 1987 richtete sich laut Professor Koller auf die
Definition, was gültiges ungeschriebenes Verfassungsrecht sei und welche Normen verfassungswürdig seien.
Die Verfassungswirklichkeit sei dabei die Leitlinie der Totalrevision gewesen.
Als einen wichtigen Teil der Reformarbeiten bezeichnete Koller die Vervollständigung des Grundrechtskatalogs,
wobei vor allem die Schaffung von Transparenz eine wesentliche Rolle gespielt habe. Erfolgreich sei auch die Justizreform
gewesen: Wichtige Bundeskompetenzen seien in die Verfassung aufgenommen worden, man habe eine Vereinheitlichung
der Straf- und Zivilprozessordnungen erreicht. Weniger erfolgreich sei die Reform der Volksrechte gewesen, die
in der direkten Demokratie der Schweiz ein heikles Thema darstelle.
Zusammenfassend stellte Bundesrat Koller fest, das Baukastenprinzip habe sich sehr gut bewährt; ohne dieses
gäbe es vermutlich heute keine neue Bundesverfassung. Die unprätentiöse Nachführung habe verfassungsrechtlich
mehr gebracht als man anfangs erwartet habe. Die neue Verfassung sei mit einer klaren Volksmehrheit und einer knappen
Ständemehrheit angenommen worden. Es sei gelungen, der schweizerischen Alltagspolitik, die immer polarisierter
und emotionaler werde, Halt und Richtung zu geben.
Jürgen Weiss erwartet eine beachtliche Reform
Vizepräsident des Bundesrates Jürgen Weiss leitete seine Antwort auf die Frage "Kommt diesmal wirklich
eine Verfassungsreform zustande?" mit einem Rückblick in die jüngere österreichische Verfassungsentwicklung
ein und hielt die Kritik am missbräuchlichen Einsatz von Verfassungsbestimmungen, vor allem durch "große
Koalitionen alten Stils" für berechtigt, machte aber zugleich darauf aufmerksam, dass es gute Verfassungsreformen
gegeben habe, etwa dann, wenn die Realisierung von Wünschen des Bundes mit Zugeständnissen an die Bundesländer
kompensiert wurden.
Das Scheitern des Paktums von Perchtoldsdorf im Vorfeld des EU-Beitritts wertete Jürgen Weiß als Zeichen
für die geänderten Rahmenbedingungen der Föderalismusdiskussion in den neunziger Jahren, als nicht
mehr der Zentralismus, sondern der Föderalismus in der Kritik stand, der Föderalismus als Mobilitätshindernis
dargestellt wurde und Forderungen nach einer neuen Architektur Österreichs erhoben wurden.
Der Verfassungskonvent, der auf eine neue Verfassungsurkunde gerichtet war, konnte den hochgesteckten Erwartungen
nicht gerecht werden, weil unterschiedliche politische Interessenslagen nicht ausgeblendet werden konnten. Dem
Österreich-Konvent komme aber das Verdienst zu, die Problemlage strukturiert und wichtige Vorarbeiten geleistet
zu haben. Mittlerweile haben sich auch die politischen Voraussetzungen geändert. Die Regierungsparteien haben
im Nationalrat und im Bundesrat die Verfassungsmehrheit und das Regierungsprogramm enthalte sehr detaillierte Passagen
zur Verfassungsreform. Außerdem herrschen auch auf der Ebene der Bundesländer neuerdings ausgewogene
politische Stärkeverhältnisse.
Vor diesem Hintergrund wagte der Vizepräsident die Prognose, es werde auf jeden Fall eine beachtliche Reform
zustande kommen. So bestünden für die Landesverwaltungsgerichtsbarkeit bereits klare Lösungsmöglichkeiten.
Ob es DIE große Verfassungsreform wird, müsse aber dahingestellt bleiben. Denn nach wie vor seien beachtliche
Hürden zu überwinden. Weiss wies auf die Grundkritik an der Bundesstaatlichkeit hin und warnte vor übertriebenen
und unrealistischen Einsparungserwartungen. Das Einsparungspotenzial sei in der Praxis geringer als erwartet, zeigte
sich Weiss überzeugt, unter anderem erfordere der Aufbau des Rechtsschutzes auch Investitionen. Voraussetzung
für eine Senkung der Verwaltungskosten sei eine Reduzierung der Aufgaben, und nicht zuletzt sei zu bedenken,
dass die Verwaltungskosten in Österreich bereits jetzt unter dem EU-Durchschnitt liegen.
Weitere Hürden sah der BR-Vizepräsident in dem in Österreich weit verbreiteten Besitzstandsdenken,
das die Bereinigung des Verfassungstextes erschwere, weil viele Organisationen Wert darauf legen, im Verfassungstext
"vorzukommen". Offene sei auch die Frage, wie der Schutz der Länder zu organisieren sei, eine Aufgabe,
für die Weiß den Bundesrat nannte. Skeptisch zeigte sich Weiss gegenüber Tendenzen zum Vollzugsföderalismus,
weil dadurch der kontrollierende Einfluss der Landtage gegenüber dem Landeshauptmann zurückgedrängt
werde. Als eine wichtige Frage bezeichnete Jürgen Weiss, wie namhaft die Gesetzgebungszuständigkeiten
der Landtage künftig bleiben.
Schließlich ließ er eine Präferenz dafür erkennen, nicht dem Prinzip "alles oder nichts"
zu folgen, sondern die Verfassungsreform in kompromissfähigen Teilschritten zu realisieren. Dabei werde es
auf die Kraft ankommen, dem Einfluss interessenpolitischer Positionen zu widerstehen. Klar sei auch, dass man ohne
das Festhalten an Ziel und Ablauf in der Verfassungspolitik keine Fortbewegung zustande bringen könne. |