Zu neuen Verfassungshorizonten  

erstellt am
20. 09. 07

Expertentagung zum Thema Verfassungsreform im Hohen Haus
Wien (pk) - "Können Verfassungsreformen gelingen?" Dieser Frage geht eine hochkarätig besetzte Fachtagung nach, die am 19. und 20. im Hohen Haus internationale Erfahrungen zum Thema austauschen und zu diskutieren beabsichtigt. Auf Einladung des Instituts für Föderalismus an der Universität Innsbruck und des "Forum of Federations" hielten am 19.09. unter anderen Südtirols Landeshauptmann Luis Durnwalder, der schweizerische Altbundespräsident Arnold Koller und Bundesratsvizepräsident Jürgen Weiss Grundsatzreferate, die in der Folge intensiv debattiert wurden.

Peter Bußjäger vom Institut für Föderalismus wies nach Begrüßung der Referenten darauf hin, dass innerhalb wie außerhalb Europas derzeit eine Vielzahl an verfassungsrechtlichen Prozessen abliefen, die als Erfahrungsquelle herangezogen werden könnten. Grundintention der Veranstaltung sei es daher, internationale Erkenntnisse auf dem Gebiet der Verfassungsreform praktisch nutzbar zu machen. Die Konferenz könne zudem direkt vor dem Hintergrund der Arbeit des Österreich-Konvents gesehen werden. Besonderer Dank gebühre Bundesrat wie Bundeskanzleramt, die sich maßgeblich an der Organisation der Veranstaltung beteiligt hätten, so Bußjäger.

Wolf Okresek, Mitglied im Vorstand des Forum of Federations, skizzierte den Themenbereich der Konferenz und merkte hierbei an, dass der Vergleich einzelner Systeme und der damit verbundene globale Dialog in besonderem Maße Lösungsansätze für den eigenen Weg aufzeigen könnten.

Lienbacher: Vom Österreich-Konvent zur Verfassungsreform
Georg Lienbacher, Leiter des Verfassungsdienstes im Bundeskanzleramt, ging auf Stand und Perspektiven der Staatsreform in Österreich ein, wobei er pointiert meinte, bisher habe es viele Anläufe zu einer solchen Reform gegeben, die jedoch kaum reale Ergebnisse gezeitigt hätten. So seien in den letzten 40 Jahren immer wieder Versuche unternommen worden, die österreichische Bundesverfassung den veränderten Bedingungen anzupassen, etwa im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt Österreichs, wobei vor allem das "Perchtoldsdorfer Paktum" von 1992 zu nennen sei.

Auch der "Europäische Konvent" habe wichtige Impulse gebracht, sodass schließlich ein eigener "Österreich-Konvent" installiert worden sei, der in den 19 Monaten seiner Tätigkeit eine Vielzahl von Vorschlägen erarbeitet habe, ohne dass in der Folge eine Einigung über eine konkrete Reform der Verfassung habe erzielt werden können. Lienbacher analysierte die damaligen Rahmenbedingungen und nannte konkrete Gründe, an denen ein positiver Abschluss der Arbeiten des Konvents aus seiner Sicht gescheitert seien.

Es sei allerdings im Regierungsprogramm für die XXIII. Gesetzgebungsperiode eine Staats- und Verwaltungsreform auf Basis der Arbeiten des Österreich-Konvents vorgesehen, die auch eine zeitgemäße Bundesverfassung zum Ziel habe, führte Lienbacher weiter aus. Zu diesem Zweck sei eine entsprechende Expertengruppe eingesetzt, die bereits konkrete Vorschläge erarbeitet habe, wobei man von dem Ziel, eine gänzlich neue Verfassung zu schaffen, abgegangen sei, so Lienbacher, der sodann auf die Inhalte der beabsichtigten Reform einging und den aktuellen Stand der Arbeit darlegte.

Caravita: Der italienische Weg zum Föderalismus
Beniamino Caravita von der Universität "La Sapienza" in Rom setzte sich mit den Auswirkungen der neuen italienischen Verfassung von 2001 auseinander und bettete die diesbezüglichen Vorgänge in den historischen und juristischen Kontext ein, die dem Reformprozess zugrunde lagen. Die italienische Verfassung von 1948 sei eine starre Verfassung gewesen, die keine Totalrevision vorgesehen habe. Dementsprechend schwierig sei das Procedere gewesen, eine Reform ins Werk zu setzen.

In diesem Zusammenhang wies der Professor auch darauf hin, dass manche Aspekte der Verfassung – etwa die republikanischen und demokratischen Grundsätze der Konstitution – unrevidierbar seien. Der diesbezügliche Artikel 139 stelle damit unmissverständlich klar, dass die Monarchie auf konstitutionellem Wege nicht mehr in Italien eingeführt werden könne. Dies gelte auch für den Artikel 1, der das demokratische Prinzip für Italien festschreibe, sowie für die Grundrechte, die in den ersten 12 Artikeln der Verfassung dargelegt seien. Diese Grundrechte seien unverletzlich und daher verfassungsrechtlich unmodifizierbar.

Vor diesem Hintergrund referierte Caravita die verfassungsrechtlichen Diskussionen ein, die in Italien um die Frage gekreist seien, auf welche Weise und unter welchen Bedingungen eine Revision der Verfassung vorgenommen werden könne. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass die Verfassung von 1948 von einer breiten Mehrheit unter Einschluss der Opposition – mit Ausnahme von Monarchisten und Neofaschisten – beschlossen worden war, was ihr den Mythos, Produkt einer goldenen Ära zu sein, einbrachte. Dementsprechend selten sei es im vorigen Jahrhundert zu Verfassungsänderungen gekommen, die zudem nur punktuelle Änderungen beabsichtigt hatten. Erst seit 1999 sei die Diskussion über eine Reform in ein neues Stadium eingetreten. Im Zentrum der Debatten sei dabei von Anfang an die Frage des Regionalismus und damit des Föderalismus gestanden. Nach einer ersten Reform 1999 sei es 2001 zu einer weiteren Reform gekommen, die auch durch eine Volksabstimmung approbiert worden sei. Seitdem könne man von einem italienischen Weg zum Föderalismus sprechen, hielt Caravita fest, der schließlich auf die Details der neuen Verfassung einging.

Durnwalder: Erfolgsmodell Südtirol
Südtirols Landeshauptmann Luis Durnwalder betonte die europäische Dimension der Verfassungsdiskussion. Gerade vor dem Hintergrund regional unterschiedlicher Zugänge sei es wichtig, über den Föderalismus zu sprechen. Nicht zuletzt ob der Mentalitätsunterschiede in den einzelnen Staaten gebe es unterschiedliche Regelungen, und gerade in Italien bestehe in dieser Hinsicht nach wie vor Handlungsbedarf, komme es doch auf die praktische Umsetzung jener Absichtserklärungen an, die sein Vorredner angesprochen habe.

Durnwalder illustrierte anhand konkreter Beispiele die Verfassungsrealität im heutigen Italien, dabei vor allem auf die Rechte von Regionen mit Normal- und Regionen mit Sonderstatut – Sizilien, Sardinien, Friaul-Julisch Venetien, Aostatal, Trentino und Südtirol - eingehend. Neben diesen Formen regionaler Autonomie gebe es aber noch eine weitere Ebene, und diese betreffe eben Südtirol, habe Südtirol doch eine Autonomie auf Basis eines internationalen Vertrages. Gerade um diesen Vertrag habe es in den fünfziger und sechziger Jahre zum Teil heftige Debatten gegeben. Mit dem so genannten Paket, welches die Interpretation des ersten Autonomiestatus darstelle, sei die ganz besondere Stellung von Südtirols Autonomie allgemein anerkannt worden, wobei Österreich hierbei eine Schutzfunktion zukomme.

Durnwalder referierte sodann über die Vorteile und Möglichkeiten der Autonomie, von denen auch die Regionen mit Normalstatut, zumal im Lichte der Erfahrungen, die in Südtirol gemacht wurden, profitieren könnten. Man müsse die Autonomie dynamisch begreifen, was konkret bedeute, dass man ständig im Verhandlungswege die Regelungen der Autonomie der jeweils aktuellen Realität anpassen müsse. Diesen Ansatz illustrierte der Landeshauptmann im Lichte der ökonomischen, verkehrspolitischen und infrastrukturellen Politik Südtirols. Die Autonomie habe sich so als Erfolgsgeschichte erwiesen, wie die beachtlichen Kennzahlen Südtirols eindrucksvoll belegten. Die Autonomie sei somit wichtig für die wirtschaftliche Entwicklung, aber auch für die Kultur der Region und damit ein Modell für die Zukunft, schloss Durnwalder.
   

Hueglin: Kanadische Besonderheiten
Thomas Hueglin von der Universität in Waterloo sprach sodann über den kanadischen Weg "zwischen Scheitern und Verfassungsreformen und pragmatischen Lösungen". Viele Jahre sei das Interesse an Kanada eher peripherer Natur gewesen, doch habe er, Hueglin, schon vor langer Zeit darauf hingewiesen, dass die EU wesentlich eher dem kanadischen als dem amerikanischen Modell entspreche, und in der Tat werde Kanadas Bundesstaat heute mit anderen Augen gesehen.

Der Redner setzte sich sodann mit den Besonderheiten des kanadischen Raumes auseinander, dabei nicht nur auf unterschiedliche ökonomische Interessen, sondern vor allem auf die "Bikommunalität" Kanadas eingehend. Quebec sei eine französische Insel in einem nordamerikanisch-englischen Kulturozean, was der bikommunalen Problematik besondere Sensibilität verleihe.

Die kanadische Verfassungskonstruktion von 1867 weise dementsprechend einige nennenswerte Besonderheiten, aber auch einige Anomalien auf. Von dieser speziellen Gemengelage seien die diversen Verfassungsreformprozesse geprägt, so Hueglin. 1982 habe es ein erstes großes Verfassungsänderungspaket gegeben, danach habe es 1987 und 1992 zwei Versuche gegeben, eine Einigung mit Quebec, das der Reform von 1982 nicht zugestimmt habe, doch noch herbeizuführen. Beide Versuche seien jedoch gescheitert, führte der Redner aus, dabei auf die jeweiligen Gründe eingehend. Daraus sei zu folgern, dass es keine klare bundesstaatliche Regelungen für Kanada geben könne, vielmehr seien politische Übereinkünfte auf Exekutivebene im Rahmen einer bilateralen Prozedur auch weiterhin der folgerichtige kanadische Weg, den Föderalismus in der Praxis umzusetzen.

Schweiz mit Baukastenprinzip bei Verfassungsreform erfolgreich
Der Schweizer Alt-Bundesrat Professor Arnold Koller leitete seine Ausführungen zur Totalrevision der Schweizerischen Bundesverfassung mit einem historischen Rückblick ein: Die Reformarbeiten an der aus dem Jahre 1874 stammenden, durch unzählige Teilrevisionen unübersichtlich gewordenen und teilweise obsoleten und im Bereich der Grundrechte lückenhaften Verfassung haben bis zum Inkrafttreten der neuen Schweizer Bundesverfassung im Jänner 2000 35 Jahre in Anspruch genommen.

Als Ziel galt, das geschriebene und ungeschriebene Verfassungsrecht "nachzuführen", es verständlich darzustellen, systematisch zu ordnen und sprachlich zu vereinheitlichen. Nach Ablehnung des EWR-Vertrages 1992 wurde ein Drei-Punkte-Programm unter dem Motto "Ordnung schaffen im eigenen Haus" erarbeitet. Als Erfolgsrezept erwies sich ein kombiniertes Vorgehen zwischen Nachführung des Bundesverfassungsrechts und mehreren Reformpaketen wie im Baukastensystem.

Der Nachführungsauftrag durch das Parlament aus dem Jahr 1987 richtete sich laut Professor Koller auf die Definition, was gültiges ungeschriebenes Verfassungsrecht sei und welche Normen verfassungswürdig seien. Die Verfassungswirklichkeit sei dabei die Leitlinie der Totalrevision gewesen.

Als einen wichtigen Teil der Reformarbeiten bezeichnete Koller die Vervollständigung des Grundrechtskatalogs, wobei vor allem die Schaffung von Transparenz eine wesentliche Rolle gespielt habe. Erfolgreich sei auch die Justizreform gewesen: Wichtige Bundeskompetenzen seien in die Verfassung aufgenommen worden, man habe eine Vereinheitlichung der Straf- und Zivilprozessordnungen erreicht. Weniger erfolgreich sei die Reform der Volksrechte gewesen, die in der direkten Demokratie der Schweiz ein heikles Thema darstelle.

Zusammenfassend stellte Bundesrat Koller fest, das Baukastenprinzip habe sich sehr gut bewährt; ohne dieses gäbe es vermutlich heute keine neue Bundesverfassung. Die unprätentiöse Nachführung habe verfassungsrechtlich mehr gebracht als man anfangs erwartet habe. Die neue Verfassung sei mit einer klaren Volksmehrheit und einer knappen Ständemehrheit angenommen worden. Es sei gelungen, der schweizerischen Alltagspolitik, die immer polarisierter und emotionaler werde, Halt und Richtung zu geben.

Jürgen Weiss erwartet eine beachtliche Reform
Vizepräsident des Bundesrates Jürgen Weiss leitete seine Antwort auf die Frage "Kommt diesmal wirklich eine Verfassungsreform zustande?" mit einem Rückblick in die jüngere österreichische Verfassungsentwicklung ein und hielt die Kritik am missbräuchlichen Einsatz von Verfassungsbestimmungen, vor allem durch "große Koalitionen alten Stils" für berechtigt, machte aber zugleich darauf aufmerksam, dass es gute Verfassungsreformen gegeben habe, etwa dann, wenn die Realisierung von Wünschen des Bundes mit Zugeständnissen an die Bundesländer kompensiert wurden.

Das Scheitern des Paktums von Perchtoldsdorf im Vorfeld des EU-Beitritts wertete Jürgen Weiß als Zeichen für die geänderten Rahmenbedingungen der Föderalismusdiskussion in den neunziger Jahren, als nicht mehr der Zentralismus, sondern der Föderalismus in der Kritik stand, der Föderalismus als Mobilitätshindernis dargestellt wurde und Forderungen nach einer neuen Architektur Österreichs erhoben wurden.

Der Verfassungskonvent, der auf eine neue Verfassungsurkunde gerichtet war, konnte den hochgesteckten Erwartungen nicht gerecht werden, weil unterschiedliche politische Interessenslagen nicht ausgeblendet werden konnten. Dem Österreich-Konvent komme aber das Verdienst zu, die Problemlage strukturiert und wichtige Vorarbeiten geleistet zu haben. Mittlerweile haben sich auch die politischen Voraussetzungen geändert. Die Regierungsparteien haben im Nationalrat und im Bundesrat die Verfassungsmehrheit und das Regierungsprogramm enthalte sehr detaillierte Passagen zur Verfassungsreform. Außerdem herrschen auch auf der Ebene der Bundesländer neuerdings ausgewogene politische Stärkeverhältnisse.

Vor diesem Hintergrund wagte der Vizepräsident die Prognose, es werde auf jeden Fall eine beachtliche Reform zustande kommen. So bestünden für die Landesverwaltungsgerichtsbarkeit bereits klare Lösungsmöglichkeiten. Ob es DIE große Verfassungsreform wird, müsse aber dahingestellt bleiben. Denn nach wie vor seien beachtliche Hürden zu überwinden. Weiss wies auf die Grundkritik an der Bundesstaatlichkeit hin und warnte vor übertriebenen und unrealistischen Einsparungserwartungen. Das Einsparungspotenzial sei in der Praxis geringer als erwartet, zeigte sich Weiss überzeugt, unter anderem erfordere der Aufbau des Rechtsschutzes auch Investitionen. Voraussetzung für eine Senkung der Verwaltungskosten sei eine Reduzierung der Aufgaben, und nicht zuletzt sei zu bedenken, dass die Verwaltungskosten in Österreich bereits jetzt unter dem EU-Durchschnitt liegen.

Weitere Hürden sah der BR-Vizepräsident in dem in Österreich weit verbreiteten Besitzstandsdenken, das die Bereinigung des Verfassungstextes erschwere, weil viele Organisationen Wert darauf legen, im Verfassungstext "vorzukommen". Offene sei auch die Frage, wie der Schutz der Länder zu organisieren sei, eine Aufgabe, für die Weiß den Bundesrat nannte. Skeptisch zeigte sich Weiss gegenüber Tendenzen zum Vollzugsföderalismus, weil dadurch der kontrollierende Einfluss der Landtage gegenüber dem Landeshauptmann zurückgedrängt werde. Als eine wichtige Frage bezeichnete Jürgen Weiss, wie namhaft die Gesetzgebungszuständigkeiten der Landtage künftig bleiben.

Schließlich ließ er eine Präferenz dafür erkennen, nicht dem Prinzip "alles oder nichts" zu folgen, sondern die Verfassungsreform in kompromissfähigen Teilschritten zu realisieren. Dabei werde es auf die Kraft ankommen, dem Einfluss interessenpolitischer Positionen zu widerstehen. Klar sei auch, dass man ohne das Festhalten an Ziel und Ablauf in der Verfassungspolitik keine Fortbewegung zustande bringen könne.
 
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